Endlich mal echte Landtagswahlen! In der Vergangenheit waren diese oft verkappte Bundestagswahlen. Der Kanzler wurde bestätigt oder abgestraft, die kleinere Koalitionspartei musste auch einmal durch Leihstimmen gestärkt werden, um in Bonn und später in Berlin das Regieren zu erleichtern. Dieser bundespolitische Aspekt ist diesmal schwächer. Das ergibt sich schon daraus, dass in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern eine Koalition zu verteidigen oder abzuwählen war, die auf der zentralen Ebene in absehbarer Zeit nicht zur Diskussion stehen wird. Auch dass in beiden Ländern ein sozialdemokratischer Regierungschef antrat, gehört zu den Raritäten.
Die SPD hat in Berlin weit weniger hinzugewonnen als sie in Mecklenburg-Vorpommern verloren hat. Es reichte aber aus, um wieder einmal die jubelnde Autosuggestion in Gang zu setzen, die an der Spitze dieser Partei seit Schröder üblich ist. Man schweigt auch gern darüber, dass es sich spätestens seit 1990 in Berlin eher um eine überdimensionierte Kommunalwahl handelt. Allerdings ist auch Mecklenburg ein Sonderfall: ein bevölkerungsarmes Land.
Die sozialdemokratische Zufriedenheit hat aber doch ihre Berechtigung, wenn man sich die CDU-Ergebnisse ansieht. Die Partei der Kanzlerin schnitt in beiden Ländern katastrophal ab. Dies könnte das Gewicht der SPD in der großen Koalition stärken, macht das Regieren für Angela Merkel gewiss nicht leichter, ist aber wohl noch nicht das Ende von Schwarz-Rot. Denn wenn die Mikrofone abgeschaltet sind, werden sich zumindest die Generalsekretäre eingestehen, dass keine der beiden Volksparteien in der allernächsten Zeit eine andere Option hat, schon gar nicht für Neuwahlen. Denn per Saldo drückte sich in den beiden Ergebnissen einerseits Unlust an der großen Koalition aus, andererseits sind CDU/CSU und SPD zur Zeit gewiss nicht scharf darauf, sich bei einer neuen Bundestagswahl das schlechte Ergebnis abzuholen, das für jede von ihnen zu erwarten wäre. Immerhin haben sie eine Woche vorher in Niedersachsen bei den Kommunalwahlen beide verloren.
Die Linkspartei.PDS hat in Mecklenburg-Vorpommern ihre Schlappe von 2002 nicht wettmachen können. In Berlin ist sie eingebrochen. Das Regieren ist ihr nicht bekommen. Angesichts dieses eindeutigen Ergebnisses wundert es doch sehr, wenn jetzt fast nur darüber spekuliert wird, ob Wowereit und Ringsdorff sie weiter in ihrer Regierung haben wollen oder können. Näher liegt die Frage, mit welchen Argumenten sie ihre Minister und Senator(inn)en denn im Amt halten will. Zumindest in Berlin wäre es wichtig, wenn die Linkspartei auf Landesebene über eine Art Gegenelite verfügte, die ihre bisherige Führung ablösen könnte. Denn so wie bisher wird man doch wohl nicht weitermachen wollen.
Der SPD-Vorsitzende Beck und sein Generalsekretär Heil sagten, die Berliner Linkspartei-Pleite sei auf einen Lafontaine-Malus zurückzuführen. Das müssen sie aus Gründen des Organisationspatriotismus so sehen. Aber es stimmt nicht. Mit einer Disziplin, die ihm viele nicht zugetraut hätten, hat sich Oskar Lafontaine mit seiner Meinung über die Berliner Regierungsbeteiligung zurückgehalten. Es war aber spürbar, dass er davon nicht viel hält. Darin stimmte er mit linken Wählern überein, die in Berlin sehr unzufrieden mit dem rot-roten Senat waren.
Darauf beruht auch der Achtungserfolg der WASG. Die Zustimmung zu ihren inhaltlichen Positionen war wohl geringer als ihr Stimmenanteil. Es handelt sich auch nicht in erster Linie um eine Spaltung des bisherigen Potenzials der PDS. Denn Linkspartei und WASG erhielten zusammen weniger als 2001 Gysis Liste. Dass er diesmal nicht kandidierte und man auch nicht den Bonus der Opposition gegen den abgewirtschafteten CDU/SPD-Senat von 2001 hatte, trug zu den Verlusten gewiss ebenfalls bei, aber diese betrafen ja gerade im Osten einen Teil der alten Substanz.
Die Gewinne der WASG sind in erster Linie Teil eines allgemeineren Phänomens: am meisten haben in beiden Ländern die Parteien gewonnen, die auf Bundesebene nicht in der Regierung sind. Das kam vor allem der FDP und den Grünen zugute. Als Vorsitzender der größten Nichtregierungs-Partei im Bundestag ist Guido Westerwelle seit 2005 formell der Oppositionsführer. Diese Funktion wird jetzt bestätigt, ohne dass er dafür viel tun müsste.
Zwei weitere Oppositions-Tatsachen kommen hinzu: die niedrigen Wahlbeteiligungen und die Tatsache, dass die "Sonstigen" - also die Parteien, die je für sich nicht über die fünf Prozent kamen - zusammen in Berlin mehr als 13 Prozent erhielten.
Und dann noch das Ergebnis für die NPD. In Mecklenburg-Vorpommern ist sie jetzt im Landtag, auch in Berlin hat sie - unterhalb der Fünf-Prozent-Grenze - zugelegt. Sie besitzt eine feste Kaderstruktur, macht keinerlei Abstriche an ihrer selbstimmunisierenden Nazi-Ideologie, betreibt für ihre Mitglieder insofern eine Identitätspolitik besonderer Art und hat mit den "Freien Kameradschaften" Vorfeldorganisationen mit geringem Altersdurchschnitt. Geld gibt es jetzt immer mehr aus der Staatskasse. Auch vorher hat es nicht daran gefehlt. Sekten sind in der Regel - anders als Volksparteien - gute Geldsammelstellen. Die Abgeordneten der NPD wählen in der Bundesversammlung den Bundespräsidenten mit. Seit dem für die Partei erfolgreichen Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hat sie einen staatsoffiziellen Legalitäts-Stempel. Schon in Sachsen trat die NPD mit der Parole "Schnauze voll!" auf. Es hat in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin keine linke Gegen-Losung gegeben, die zugleich Opposition signalisierte. Das müsste ein Thema der nächsten Wochen und Monate sein. Hier blieb ein Feld unbesetzt.
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