Winter des Missvergnügens

Koalitionskrach Die Reichen sorgen für sich selbst und der Staat nicht mehr für die Schwachen – so wird der schwarz-gelbe Streit um die Steuerpolitik enden

Die Startschwierigkeiten der neuen Bundesregierung erinnern an die Anfänge der rot-grünen Koalition 1998/99. Die SPD war mit einer Doppelspitze in den Wahlkampf gezogen. Schröder als der Genosse der Bosse, Lafontaine als der Kämpfer für soziale Gerechtigkeit. Nach der Regierungsbildung wurde der Kanzler von den großen Medien monatelang als führungsschwach dargestellt: In Wirklichkeit regiere sein Finanzminister. Als der im März 1999 zurücktrat, schien der Konflikt endlich behoben. Die Querelen mit den Grünen über das Tempo des Atomausstiegs waren weniger wichtig.


2009 hatte Schwarz-Gelb im Wahlkampf ebenfalls eine Doppelparole: Steuersenkungen und Sanierung des Staatshaushalts. Wie soll das zusammengehen? Darüber streitet man jetzt. Denkbar ist, dass das länger dauert als der rot-grüne Krach 1998/99: nicht nur bis März, sondern sogar bis Mai. Dann ist Wahl in Nordrhein-Westfalen. Dass zugleich zwischen Union und FDP über Erika Steinbach gestritten wird, ist für die Koalition vielleicht sogar eher nützlich: es lenkt ein bisschen davon ab, dass man finanzpolitisch in der Klemme steckt.

Woher kommt die Parallele zwischen 1998/1999 und 2009/2010? Rein politologisch betrachtet, kommt sie daher: Volksparteien müssen im Wahlkampf divergierende Interessengruppen für sich mobilisieren. Nur die Kleinen dürfen sich auf eine einzige Klientel beschränken. Soll dann aber regiert werden, helfen die Public-Relations-Agenturen nicht mehr viel weiter. Es sind Entscheidungen zu treffen: für marktradikale Reformen oder soziale Gerechtigkeit (einst), für Steuersenkungen oder Schonung der Staatskasse (jetzt).

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass es gar nicht um formale Parallelen geht, sondern um eine Fortsetzungsgeschichte mit unverändertem Thema. Als der Finanzminister Lafontaine zurücktrat, gab es ein Feuerwerk an der Börse. Es wiederholte sich nach der Ankündigung seines Nachfolgers Eichel, die Gewinne bei der Veräußerung von Betrieben und großen Aktienpaketen sollten steuerfrei bleiben. Das war eine Ermutigung der Spekulation. Die Steuersenkungen der rot-grünen Koalition verschafften zusätzliches Spielgeld für das Kasino. Das Sinken der Lohnstückkosten war gut für den Export, der seinerseits durch die US-Verschuldung forciert wurde. Als die Blase 2008 platzte, mussten Unternehmen und Banken vom Staat gerettet werden. Die Folge: eine enorme Verschuldung der öffentlichen Haushalte. Die grundgesetzlich verordnete Kreditbremse soll das Loch stopfen helfen.

Drohende Rekordverschuldung

Union und FDP wollen die Vorgängerregierung beim Steuern-Senken deutlich übertreffen. In der Wahlkampfrhetorik, insbesondere Westerwelles und Brüderles, schien sich das mit der Forderung nach Schuldenabbau sogar zu vertragen: weniger Staat eben. Nach der Regierungsbildung aber musste irgendwann einmal gerechnet werden, und da zeigt sich: Wenn der Staat weniger einnimmt, aber seine Ausgaben nicht herunterfahren kann, muss er Kredite aufnehmen. So kommt es zu einer Rekordverschuldung: Der Krater, den man mit der Krisenintervention in den Haushalt gerissen hatte, wird durch die Gefälligkeit gegenüber den Stammwählern der FDP – denn darum geht es – noch viel größer. Den dadurch Begünstigten ist das nicht genug. Es soll weitere Steuersenkungen geben.

Es ist kein Konflikt nur zwischen Union und FDP. Der Widerspruch ist in den Interessen der politisch-ökonomischen Akteursgruppen selbst angelegt, die den Sieg von Schwarz-Gelb so sehr gewünscht haben. Seien wir grob und nennen sie: das Kapital, die Unternehmer, die Geldvermögensbesitzer, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Nicht anders als sie haben die Mainstream-Medien und der Sachverständigenrat für die Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten agitiert: Steuern runter plus Senkung der Staatsquote, also Schuldenabbau. Da das auf den ersten Blick ein Widerspruch ist, sollte es nicht verwundern, dass diese Akteure sich jetzt auseinanderdividieren: die einen für Steuersenkung, die anderen für Konsolidierung der Staatsfinanzen. Man kann auch heute das Erste fordern, morgen das Zweite. So macht es die CSU.

Ist das Dilemma denn unauflöslich? Nein, wenn man sich auf eine dritte Sache einigt. Die ist ebenfalls nicht neu: Wenn ein Staat seine Steuern senkt und sich das Schuldenmachen verbietet, also nicht mehr viel einnimmt, dann darf er eben auch kaum noch etwas ausgeben. Es wird gespart werden: an Sozialausgaben und Infrastruktur. Auf dieser Linie ist eine Versöhnung zwischen Brüderle und Schäuble möglich – irgendwann ab Mai.

Das klingt wie eine böswillige Unterstellung. In Wirklichkeit hat diese Zukunft aber schon begonnen. Von November bis Dezember steigern der Städtetag und Gemeindebund nicht etwa ihre Kassandrarufe, sondern ihre fundierten Zahlenangaben: Das so genannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz zwingt die Kommunen, Schwimmbäder zu schließen und Sozialstandards zu senken. Die Besserverdienenden haben seit dem 1. Januar mehr, die Schlechter- oder gar nicht Verdienenden können sich bereits jetzt weniger auf die Öffentlichen Hände verlassen. Wenn es Schwarz-Gelb gelingt, dies als Sachzwang zu verkaufen, könnte die Operation sogar gelingen.

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