"Mamma Medea" an den Münchner Kammerspielen

Bühne Die Fremde kann ganz schön beschissen sein. Das wissen auch die Münchner Kammerspiele, die ihre laufende Spielzeit unter das Motto Migration gestellt ...

Die Fremde kann ganz schön beschissen sein. Das wissen auch die Münchner Kammerspiele, die ihre laufende Spielzeit unter das Motto Migration gestellt haben: "Da kann ja jeder kommen." Bislang waren Ödipus (Ödipus auf Kolonos, Regie: Jossi Wieler) und Prospero (Der Sturm, Regie: Stefan Pucher) unterwegs, nun schickt Stephan Kimmig die Kolcherin Medea ins Exil. Mamma Medea heißt die Neufassung des Belgiers Tom Lanoye, die sich stark an die antiken Vorbilder hält und die Konflikte um Fremde und Asyl, um Ehe und Ehebruch leicht verständlich erzählt. Mit seiner Mixtur aus hohem Ton und Alltagssprache bringt Lanoye Tempo und Witz in die Sache, einen Witz freilich, der oft genug in der Kehle stecken bleibt.

Zurückhaltend, trocken entfaltet sich in den Kammerspielen der Konflikt zwischen den vermeintlich zivilisierten Griechen mit Herrenmenschenattitüde in Lederjacken und Springerstiefeln und den barfüßigen, sittenstrengen Kolchern mit ihren archaischen Riten. Von Anbeginn erweist sich die Beziehung zwischen Steven Scharfs Gefühlspragmatiker Jason und Sandra Hüllers leidenschaftlich-moralischer Medea als ein Missverständnis. Er vermag durchaus einen virilen Charme zu entwickeln, wenn er nur will, behandelt sie aber wie ein sonderbares Kind. Sie umschleicht ihn - und die Wandversatzstücke, die Katja Haß vereinzelt auf die Drehbühne gestellt hat -, quittiert seine Worte mit einem scheuen Lächeln und liebt ihn mit einer kreatürlichen Unbedingtheit, die sich in wenigen, katzenhaften Berührungen und in langen Blicken äußert.

Leichen pflastern den gemeinsamen Weg. Jeder Gewaltakt tritt scharf hervor, auch wenn er nur geflüstert wird: Ungeheuerlich das Bild, wenn Aietes nach Medeas Flucht ihre Neffen wie Lämmer schlachten will, mit der einen Hand die Halsschlagader fühlend, mit der anderen das Messer haltend, während die Jungs mit nacktem Unterkörper still, mit aufgerissenen Augen ihres Schicksals harren.

Kimmig hievt keine aktuellen Kindermorde oder Immigrantenschicksale auf die Bühne. Er weiß, dass Brutalität, Liebe und Verzweiflung bereits im Mythos enthalten sind, dem er seine archaische Größe lässt. Antike Zauberkunst und bürgerlicher Ehekrieg, Konsum und Fanatismus, Nichtzurückkönnen und Nichtankommendürfen der Einwanderin gehen hier unspektakulär zusammen in einer Erzählung, die an- und abschwillt wie das Meeresrauschen und doch nie an Spannung verliert.

Im Griechenland nach der Pause wirken die Bühnen-Wandfragmente wie eine ruinenhafte Stadtlandschaft. Sie ist mit schwarzen Ascheflocken übersäht; in diesem Dreck liegt Medea lethargisch, bis Jason kommt und ihr die Scheidung nahe legt. Leise und deutlich schmettert sie ihm ihre angestaute Wut entgegen, manchmal zögerlich, als müsse sie sich stark konzentrieren, und nur das Zittern einer Hand verrät, dass es sie beinahe zerreißt. Als Lena Lauzemis´ Kreusa im weißen Kostüm auftaucht, wird Medea selbst zum cocktailschlürfenden Girlie, nur um aus diesem Hinterhalt schärfer schießen zu können. Wenn sie Jason das tödliche Kleid für Kreusa andreht, liest sie ihr falsches Friedensangebot vom Spickzettel ab, um sich nicht durch einen Ausbruch zu verraten.

Am Ende, nach dem Tod ihrer Kinder, sitzen die Ausländerin und der Karrierist an der Rampe, Medea lehnt sanft ihren Kopf gegen Jasons Schulter, und was wäre das für ein idyllisches Bild, wüsste man nicht um Mord und Hass. Kimmigs Mamma Medea ist mehr als Szenen einer Ehe oder Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, eindringlich und inkommensurabel wie ein Schrei Sandra Hüllers: schmerzlich klar und zugleich ein Zeichen, das sich nicht vollständig entziffern lässt.

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