Flucht in die Mitte

BAUMEISTERFUROR Wie mit neuen Völkerkundemuseen die Völkerkunde verschwinden kann

Völkerkunde ist heutzutage kein unverfänglicher Stoff mehr. Um ein Völkerkundemuseum kann sich neuerdings sogar Polemik entfachen. In Berlin wie in Paris sind die entsprechenden Museen im Stadtbild exzentrisch angelegt: in Dahlem oder an der "Porte dorée". In beiden Städten geht die Entwicklung dahin, sie mittels Neubauten ins Zentrum der Stadt zu verpflanzen. In diesem Sinn gibt es Äusserungen des Präsidenten der Stiftung für Preussischen Kulturbesitz, Dieter Lehmann. Was in Berlin noch als blosse Absichtserklärungen zählt mit dem Ziel urbanistischer Aufwertung der "exotischen" Ausstellungsstücke, das treibt Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac zur eiligen Ausführung. Ein neues Museum, zuerst betitelt "Musée des arts premiers", soll dem Eiffelturm benachbart bereits in drei Jahren von Stararchitekt Jean Nouvel fertiggestellt werden.

Natürlich verwahrt sich jeder der am Projekt Beteiligten gegen die Vorstellung, der heutige Präsident erliege der Versuchung, sich in die die Geschichte der Stadt Paris mit einer Museumsgründung einzuschreiben. Kunstberater Jacques Kerchache, ein Freund des Präsidenten, hat diesem man kann nicht anders sagen als: einzureden vermocht, Paris habe an einem exzentrisch gelegenen "Musée national des arts d'Afrique et d'Océanie" sowie an dem für seine Sammlung sowie Bibliothek weltberühmten Völkerkundeinstitut mit Namen "Musée de l'homme" der außereuropäischen Kunst nicht genug Tribut gezollt. Jetzt sei die Zeit reif für ein Museum der "frühen" Kunst, vor allem auch deshalb, weil die beiden anderen Museen ihr Alter von weit mehr als einem halben Jahrhundert zur Schau stellen. Ein Neubau drücke auch eine veränderte Denkweise aus.

Unrichtig ist diese Überlegung mitnichten. Wurde diese Kunst bislang "primitiv" genannt, verrät auch dieser Terminus in klarer Weise eine veraltete Gesinnung. Die Wissenschaftler, die nicht erst auf die Neuschöpfung eines Museums warteten, um die "primitiven", das heißt ursprungsnahe Kunstschöpfungen aus Afrika, Australien oder Ozeanien zu preisen, liefen gegen den undefinierbaren zeitlichen Begriff Sturm. Er ist mittlerweile in der Versenkung verschwunden, und eingeweiht wird 2003 das "Museum des quai Branly", das sich bis dahin die Stücke aus den beiden Vorgängerbeständen einverleibt haben wird. Was nach deren Ausweidung mit ihnen geschehen wird, darüber herrscht in der Öffentlichkeit bis heute Schweigen. Der Baumeisterfuror, der die Staatsspitze gepackt hält, befasst sich nicht mit solchen Kleinigkeiten.

Er konnte aber nicht ein paar Fehlschläge bei der Durchführung des ehrgeizigen Programms übersehen. Für das kommende Museum wird beim Besucher des Louvre bereits heute geworben. In den ehemaligen Stallungen samt Mannschaftsräumen am Seine-Ufer sind Prachtstücke des späteren Branly-Museums aufgestellt. Dazu zählen auch die drei Nok-Statuetten aus Nigeria, von denen man munkelt, sie seien auf krummen Wegen, d.h. ein nigerianisches Ausfuhrverbot unterlaufend, an die Seine gelangt. So grossartig intensiv diese Terrakotten sich darbieten, so unausbleichbar erweist sich bis heute in der Presse der Vorwurf der Kunstpiraterie aus dem Geist von Kolonialherrenübermut.

Die Schau im Louvre ist im wahren Sinn des Wortes fabelhaft, die Qualität ihrer Werke hat so schnell nicht ihresgleichen. Vielleicht bietet sie gerade deshalb der Polemik neue Nahrung, denn da triumphiert ein Ästhetizismus, der dem Museum in erster Linie Betörungskraft zuschreibt und auf komplexe Erklärungen von Kunstäußerungen fremder Zivilisationen verzichtet.

Für diese wissenschaftlichen Erklärungen machte sich der reputierte Ethnologe Maurice Godelier stark. Er gerade trat nun vor kurzem von seinem Posten zurück mit dem Hinweis, für die wünschenswerte wissenschaftliche Aufarbeitung der neuzubildenden Sammlung seien im Haushaltplan zu wenig Mittel eingesetzt. Imponierendes Schaugepränge gewinne damit unweigerlich über Erkenntnisanregung die Oberhand. Noch kann niemand abschätzen, ob das neue Museum der Idealkonkurrenz mit den zahlreichen Baudenkmälern François Mitterrands seinen Ursprung verdankt. Unleugbar ist jedoch nach diesem Pariser Beispiel, dass auf Machthaber nichts so elektrisierend wirkt wie die Baukunst.

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