Kein Schild warnt den Besucher beim Eintritt ins Pariser Centre Georges Pompidou: "Achtung Sprengsatz!" Dabei hatte das Thema der Ausstellung Die Jahre der Pop-Art " von 1956 bis 1968 seinerzeit die Gemüter wegen der Kessheit ihrer realistischen Darstellung beträchtlich revolutioniert. Beim Verlassen der Schau vermisst der Betrachter heute indes eine solche Tafel nicht. Was mit grellen Farben in Amerika antrat, den Unterschied zwischen "hoher" und populärer Kunst einzuebnen, das ist historisch geworden, wird als Einleitung einer Kunstentwicklung in seinen Mitteln überschaubar. Die Ausstellung in der Beaubourg stopft so viele Kunstäußerungen jener Jahre, die vom Pop sich herleiten können, in ein und denselben Sack, dass man vor lauter Wald keinen Baum mehr sieht.
Eines liegt der Schau vor allem am Herzen - nachzuweisen, dass neben amerikanischem Pop auch europäischer auf seine Anerkennung pocht. Und wenn europäischer Pop zu seinem Recht kommen soll, dann in erster Linie die Kunst, die die damaligen französischen Zeitgenossen produzierten. Eine Wiedergutmachung ist fällig, als Bahnbrecher wird man sie aber trotzdem nicht auffassen. Dass Popkunst in London einen Stammvater besitzt namens Richard Hamilton, das will die Ausstellung allerdings nicht verleugnen. Schule machte sein Riesengemälde mit dem kolloquialen Titel Just what is it that makes our todays home so different, so appealing. Es läutete die Vorherrschaft der Konsumgüter sowie die Monumentalisierung stereotyper Verhaltensweisen der Menschen im Bild ein. Das moderne Paar, das da halbnackt sein Bodybuilding aufdringlich zur Schau stellt inmitten einer Anhäufung häuslicher Konsumgüter, bringt zugleich den Unterschied zur Geltung, der Ende der Fünfzigerjahre die neorealistischen Plakatzerfetzungen eines Raymond Hains oder Villeglés vom Pop unterscheidet. Was der Kunstkritiker Pierre Restany in jenen Jahren als Nouveau réalisme propagierte, das brachte pittoreske Abzeichen verrottender Stadtlandschaft vor Augen. Abgerissene Plakate an Staketenzäunen waren ein beliebtes Motiv. Modernität durch Massenabrieb in der Außenwelt reicht dabei der Erinnerung an die ehemals "sauberen Verhältnisse" die Hand. Damit kommt die im überlieferten Sinn apart geformte Vergangenheit ins Spiel und die Nostalgie des "sic transit gloria mundi" regt sich im gerührten Betrachter.
Dem gegenüber zeichnete die Amerikaner eine Vorurteilslosigkeit aus, die von Anfang an die genaue Wiedergabe in übersteigertem Maßstab der Lebenswirklichkeit im Sinne hatte. Die Konsumwelt fern aller Seelenbewegung liefert ihnen das Material für eine Kunst, die die Adelung des Sujets mit Spott und Hohn über Bord gehen lässt. Kunst und Leben sind von einander nicht zu scheiden. Rauschenberg: "Malen bezieht sich ebenso sehr auf die Kunst wie aufs Leben. Für ein Gemälde eignen sich ein Paar Socken genau so wie Holzschnitzel, Zehennägel oder Stoffreste." Was die Gesellschaft im Leben als nicht gesellschaftsfähig einstufte, das sollte jetzt überdimensional erhöht und aggressiv gefärbt Kunst werden. Dazu gehören Serienprodukte, Sexkitzel, leichtlebiges Gut, alles was austauschbar oder provisorisch ist, was die Beständigkeit zur Explosion bringt und noch wichtiger: was von einem Abdruck seinerseits einen Abdruck liefert. Roy Lichtenstein versenkte sich in Werbeanzeigen, aber "wenn es irgend etwas gab, das jedermann hasste, so war es die Reklame", gestand er ein. Warhols Stellwand aus Brillo-Kartons entsprang einem Zorn, der das massive Auftreten der Werbesprache überleitet in die Unverschämtheit als ästhetisches Prinzip.
Ausdrucksträger ist das Ding in jeder denkbaren Ausprägung. Etwa in der künstlichen. die in der Untergrundszene Kurs hat. Daraus lugt mehr oder weniger provokativ eine gesellschaftskritische Stellungnahme hervor Warhol, der Filmemacher der "Factory", gibt den Ton an, wenn er sagte: "Ich mag Hollywood. Alles ist dort aus Plastik und Plastik mag ich eben."
Spielerisch ist in Amerika zumindest bis zur Ermordung Kennedys 1963 die Angriffslust der Pop-Aussage. Die Ausstellung macht in ihrem der Malerei gewidmeten Teil tatsächlich einen gewissen Apolitismus deutlich, der erst in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre in Europa korrigiert wurde. Architekturpläne und Modelle finden sich zuhauf, geschart um den Kronzeugen Hans Hollein samt dessen vieldeutiger Devise "Architektur transformiert unablässig die Gegenstände." Seine Ovni-Kapseln, die inmitten von Wüstensträuchern gelandet sind, spielen auf die Pop-Bilderwelt an. Ihr Herkommen aus der Reklamegraphik überhöhen sie zum Triumph der Künstlichkeit.
Innenausstattungen aus aufblasbaren Plastiksitzgruppen entspringen ebenfalls dem Geist des Pop, drücken allerdings ihre Abweichung von der Ideologie der Massenfertigung bestenfalls ironisch aus. In der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre verschärft sich die Weltpolitik und steuert auf die Vietnamkrise zu. Ästhetik wird zur Lanzenspitze einer schneidenden Konsumkritik. In Straßburg tritt ein junger Philosoph, Guy Debord, auf den Plan, der das bislang in sich beschlossene Spektakel aufgeputschter Dinglichkeit zuspitzt zu einem Pamphlet über Die Gesellschaft des Spektakels. In der radikalen Diktion seiner situationistischen Prosa hört sich diese Grundsatzerklärung so an: Es sei notwendig, den Einfluss der Propagandamethoden des entwickelten Kapitalismus zu bekämpfen. "Bei jeder Gelegenheit soll man den Spiegelungen der kapitalistischen Mode andere wünschenswerte Lebensweisen entgegenstellen. Mit allen politikübersteigenden Methoden die bürgerliche Vorstellung von Glück zerstören." Die situationistische Internationale, die sich diese Glücksauswechslung aufs Banner schreibt, läuft unterirdisch durch "die Jahre des Pop" hindurch. Pop Art erscheint uns heute als eine Kostprobe der Rebellion des 20. Jahrhunderts.
Centre Pompidou, Paris, noch bis zum 18. Juni, Katalog 440 F
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