Schmerzvoller Maskenball

Tragik und Farce Eine Max-Beckmann-Retrospektive in Paris

Max Beckmann hat um Paris und die Anerkennung von Paris gerungen. Er wollte anerkannt sein, er stellte sich in einem Teil seines Werkes als Mann von Welt dar, der im schwarzen Anzug fast wie ein Teufel aus der Box den Betrachter anspringt. Der andere Teil seiner zahlreichen Selbstporträts führt mit gleicher Sprengkraft Beckmann als Clown sowie als Randständigen vor Augen. Aber Paris und seine eingefleischte klassizistische Gesellschaft haben nichts von ihm wissen wollen. Das beste Beispiel für diese sture Ablehnung der Pariser Museumsgänger bot die von Günter Busch, damals Leiter der Bremer Kunsthalle im "Musée d´Art moderne" 1968 organisierte Werkschau. Durch die hohen Säle an der Avenue d´Iéna streifte kopfschüttelnd eine Handvoll Besucher und trat ohne Federlesens den Rückweg an. Sie sah sich in allen Vorurteilen über deutsche Kunst bestätigt: fehlender Sinn für Ausgewogenheit, ziellose Aufgewühltheit der Aussage, die sich jeder Form verschließt, das wurde ihr vorgeworfen.

Was in den darauffolgenden Jahrzehnten allmählich positiv bewertet wurde: der Zugriff auf die hinter der Einfalt des Bildes liegende "transzendentale Malerei", dafür fehlte dem Pariser Publikum, aber auch dem Großteil der Kritik, jeglicher Sinn. Der Surrealismus hatte von der Mitte der Zwanzigerjahre an einen Verständniscode für Surreales entwickelt, der jeden anderen, mochte er auch verwandte Zielrichtungen anpeilen, in den Köpfen blockierte. Er ging vom Formalen aus, verwandelte Wirklichkeit in einen Rebus und zollte dabei häufig dem Spielerischen Beifall. Mochte Beckmanns Malerei auch jedes Ding in eine Maske verwandeln, es damit denaturieren, was eine schmerzvolle Umgestaltung mit sich brachte, diese enthüllende Verfremdung weckte nur allergischen Widerstand statt Verständnis.

Obendrein war die Epoche Kunstdarbietungen ungünstig gesonnen. Von den Inhalten her war Beckmanns schrille Palette allerdings nicht unzeitgemäß: der wilde Zusammenprall der Studenten mit der Polizei schuf nicht nur in Saint-Germain ein aufgeregtes Kampfklima, das innerhalb wie außerhalb der Museumshallen der Brachialgewalt verschworen war. Nein, ungünstig waren die Zeitläufte, weil die politischen Ereignisse jede Kunstform a priori in Acht und Bann taten. Kunst galt als Verrat an den politischen Verhältnissen. War sie dann noch in Beckmanns Stil in die Bildformate mit Gewalt hineingequetscht, konnte sie nicht anders, als uralte Voreingenommenheiten der wenigen Kunstbeflissenen, die ins Museum zu gehen überhaupt bereit waren, neu anzufachen. Das Unharmonische, das Durchgeknüppelte wurde hier Ereignis.

Ganz anders sind die Umstände heute. Wer das Weltblatt Le Monde zur Hand nimmt, liest unter der Feder des Kunstkritikers Philippe Dagen folgendes: "Max Beckmann ist einer der wesentlichsten Maler des 20. Jahrhunderts. Einer der Tiefsinnigsten und einer der Erfindungsreichsten, und er ist ganz offensichtlich der größte deutsche Maler der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Und das nimmt niemand in Frankreich zur Kenntnis, wo er nie gebührlich ausgestellt wurde. So einfach ist das!"

Nun ist diese Fehleinschätzung im Centre Pompidou korrigiert worden, wo Didier Ottinger eine Retrospektive konzipiert hat. Sie umfasst an die hundert Bilder sowie drei Plastiken und einen repräsentativen Querschnitt durch das grafische Werk. Ihr Titel deutet einen Brückenschlag zwischen Maler und Epoche an; er lautet Max Beckmann, ein Maler in der Geschichte. Die ausfahrende Zackigkeit seiner Bildkomposition, ein Signal der Einsturzbereitschaft dieser Bilderwelt, überträgt geschichtliche Gebrochenheit in einen künstlerischen Diskurs. In Paris will es der Zufall des Kunstkalenders, dass Beckmanns Werkschau im Grand Palais in Parallele gesetzt wird durch eine Ausstellung des Doppelgestirns, das für Paris ohnehin Klassikerrang besitzt, nämlich Matisse und Picasso.

Von diesen drei Zeitgenossen ist zweifellos Beckmann derjenige, in dessen Kunst die politische Entwicklung am tiefsten einschnitt. Als Sanitäter erlebte er im ersten Krieg den Schrecken hautnah, in den Dreißigerjahren prägte ihn zutiefst Existenzangst, so dass er in seiner Kunst die Erfahrung übermittelte, wie laut Ernst Blochs Wort, "eine Hölle zu einer Straßenecke zurückschrumpfen kann". Darin liegt die umstürzlerische Grundierung seiner Welt, die Gegenwart aus ihrer Unangefochtenheit reißt, selbst wo der Maler sich ein "harmloses" Thema, ein Porträt Quappis beispielsweise, vornimmt. Um die geliebte Frau stechen spitz aufragende Agaven in die Luft und geben einer lauernden Bedrohung Ausdruck. Was das Pariser Publikum verstörte und abstieß, war genau die unauflösliche Mischung von Tragik und Farce, die in eine groteske Komödie eingeht, welches allen Bildwerken ihren Stempel aufdrückt und dem Betrachter keine Ruhe gönnt. Carl Einstein hörte zu Recht aus den Bildern, die sich gegen Lebensende immer verbissener um mythologische Überhöhung bemühten "dauernde Todesschreie".

Ausschwingende Harmonie, mit der zum Beispiel ein Matisse, den er genau studierte, den Betrachter erhebt, schiebt Beckmann weit von sich. Seine Bildwelt hat etwas Zwanghaftes, möchte man sagen, in die Enge gesperrt, wie sie ist, wo die Linien über sich herfallen und sich Gewalt antun. Sie haben sich heute endlich gegen die Pariser Widerspenstigkeit durchgesetzt, was erfreuliche Publikumszustrom belegt. Eine neue Generation ist herangewachsen, die den Umgang mit kaum mehr haltbaren Strukturen der Welt gewohnt ist. Einst ein verlachter Vorläufer wird Beckmann durch diese Pariser Ausstellung zum Zeitgenossen.

Max Beckmann: Retrospektive. Centre Pompidou, Paris, noch bis zum 3. Januar 2003. Katalog 56 EUR

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