Zu dem Rummel um die französischen Literaturpreise gehört auch ihre Schmähung in der Öffentlichkeit. Die Medien verlästern sie regelmäßig, wenn jedoch der November anbricht und jeden Montag ein anderer Roman gekrönt wird, dann stehen sie mit Notizblock, Mikrofon und Fernsehkamera vor dem Restaurant, in dem die Preisrichter zu Mittag speisen und dabei ihren Entscheid fällen.
Um 13 Uhr, also genau zur Zeit der Mittagsnachrichten, wird der Name des jeweiligen Preisträgers verkündet. Das hört sich an wie die Rangliste eines Pferderennens. Mitgeteilt wird in der Tat nicht nur der Name des Auserwählten, sondern ebenso die hinter ihm Zweit- oder Drittplazierten samt Angabe ihrer Stimmenzahl. Auf diese Weise wird dem Publikum offengel
m offengelegt, wie die Mehrheitsverhältnisse unter den jeweils zehn Preisrichtern aussahen. Die Bauchbinde, die wenige Tage später die betreffenden Romane ziert, führt die erhaltene Stimmenzahl ebenfalls an.Fünf Stunden nach der Siegerverkündigung trifft sich "ganz Paris" beim Verleger des Preisträgers, der seine Gäste mit Häppchen und Champagner bewirtet.Eine solche Feier, wieviel immer sie kostet, zahlt sich unmittelbar aus in Form von Good will, haben doch Verleger und Autor durch die Preiszuerkennung das große Los gezogen. Zum ersten erfreuen sie sich einer etliche Tage anhaltenden Beachtung in den Medien. Auf der ersten Seite der Zeitungen wie dem Figaro oder dem Monde ist mindestens eine Spalte dem ins Licht gestellten Buch gewidmet. Die Literatur genießt damit dasselbe Aufsehen wie die Politik. Das ganze Land hatte ja bereits Wochen zuvor den Lasten mit Buchtiteln, die die Preisrichter veröffentlichten, Aufmerksamkeit geschenkt. Gut und gern 300 Romane bringen die französischen Verleger im Hinblick auf die Prämierungen des Herbstes auf den Markt. Sechs davon werden schließlich ausgezeichnet und damit einem breiten Publikum nachhaltig empfohlen. Außerhalb des Preisrummels und eine Woche vor ihm verleiht die Académie francaise ihren "Großen Romanpreis", aber so werbewirksam wie ein Goncourt- oder Renaudotpreis ist der Lorbeerkranz der "Unsterblichen" nicht. Wen die "alte Dame", wie die Académie respektlos tituliert wird, mit Ruhm bedeckt, der hat bei den anderen Preisen keine Chance mehr. Und da der Akademie immer ein konservativer Geruch anhaftet, kann der Autor auch nicht mit vergleichbaren Buchhandelserfolgen rechnen.Traditionellerweise steht Frankreich im Ruf eines literatursüchtigen Landes. In der Tat dient Literatur in Frankreich nach jahrhundertealtem Brauch in stärkerem Maße als Konversationsstoff, spielt also eine bedeutungsvoll verbindende Rolle im Umgang der Gesellschaft. Pferdezucht und Pferderennen mögen die Briten auf Trab halten, Romanerfindung und vor allem ihre sprachliche Umsetzung bewegen die Franzosen. Bedenkt man das unverbrüchliche Interesse der Leser in Frankreich an jeder Art von literarischer Äußerung, versteht man Mallarmés Ausspruch: "Die Welt ist dazu ausersehen, in ein Buch einzugehen".In der Tat hat keine Demystifizierung die Leser bislang abgehalten, den gekrönten Romanen im Herbst untreu zu werden. Immer wieder lästerte die Presse, dass es sich bei dieser Buchauszeichnung um ein Geschäft erster Größe handle, dass die Preise dazu dienten, ein allgemein anerkanntes Weihnachtsgeschenk zu benennen. Jahrelang verteilten die Preisrichter, die sich selbst aus Schriftstellern und Kritikern rekrutieren ihre Auszeichnungen an Autoren mehrheitlich aus immer denselben drei oder vier Pariser Verlagen, in denen sie selbst publizieren. Preiswürdig waren und sind heute noch Bücher etwa aus dem "Stall" Gallimard, Le Seuil, Grasset. Da in den verschiedenen Jurys Autoren Einsitz nehmen, die diesen Häusern verbunden sind, fällt die Annahme schwer, dass dabei eine Hand nicht die andere wäscht.Ein abgekartetes Spiel, was die Auszeichnung der Verlage betrifft, seien die Literaturpreise, mit solchen Worten prangert immer häufiger die Presse dieses Verfahren an. Sie weist darauf hin, dass selten einem Außenseiterverlag wie vor einigen Jahren Albin Michel oder im vergangenen Herbst die "Editions de Minuit" diese Ehre oder besser ein solcher geschäftlicher Volltreffer zuteil wird.Der Goncourtpreis liefert ein treffendes Beispiel für die Umfunktionierung der literarischen Zielsetzungen. Die Brüder Goncourt wünschten, mit ihrem Preis ein unbekanntes Talent zu fördern. Als vor ein paar Jahren Marguerite Duras, bereits in allen Literaturgeschichten abgehandelt, für ihren Roman Der Liebhaber prämiert wurde, gab es keinen Zweifel mehr, dass der ursprüngliche "Entdeckerpreis" diese Funktion aufgegeben hatte. Die Preise entlarvten sich selber als Marketingantrieb. Ein Goncourt bringt ohne besondere Werbeanstrengung des betreffenden Verlags einen Absatz von vierhunderttausend Exemplaren mit sich. Mit annähernd eben soviel kann der Preisträger des Femina-Preises rechnen. Was den Médici-Preis anlangt, schwanken die Auflagen, doch sinken sie kaum unter 200.000.Damit ist bereits angedeutet, dass die Buchpreise Gefahr laufen, einem Konformismus innerhalb der Leserschaft Vorschub zu leisten, den sie bei ihrer Schöpfung zu bekämpfen vorgaben. Kritische Beobachter argwöhnen nicht zu unrecht, bei der Abfassung ihrer Romane könnten Autoren in Handlung und Stil bereits auf die unausgesprochenen Vorlieben der Preisrichter abzielen. Eine stilkritische Untersuchung der neuerdings im Buchhandel als Kassette vorrätigen Gesamtausgabe aller bisherigen Goncourt-Preise könnte Früchte tragen. Welche Rezepte bei der Fabrikation eines Buches, das die betuchten Damen des Pariser Westens verführen und den Femina-Preis davon tragen könnte, zur Anwendung kommen, das glauben Auguren voraussagen zu können. Camille Laurens überreichten sie dieser Tage die Palme. Sie liefert dafür eins gutes Beispiel. Sprachliche Eleganz, verbunden mit leichtem Einstieg in die Identifikation mit den auftretenden Personen sind in der Tat die gute Voraussetzung eines "Femina-Buches". Verrät der Titel der diesjährigen Preisrichterin In diesen Armen bereits das Prinzip autobiographischer Erlebnisabfolge mit Vertretern des männlichen Geschlechts, die an der Hauptperson vorbeidefilieren, dann kitzelt die angedeutete erotische Perspektive im Leser die Bereitschaft mitzugehen und teilzuhaben.Ein "Medicis-Buch" verrät demgegenüber eher zeitbezogenes Problembewusstsein. Es sind ja auch jüngere, nennen wir sie denkfreudige Juroren, am Werk. Sie haben diesen Herbst Michel Ondaatjes Gespenst von Anil prämiert, die Erzählung der Rückkehr des Autors in seine srilankäische Heimat zwecks Aufklärung "außergerichtlicher Exekutionen". Ondaatje ist fortgeschrittenen deutschen Lesern bekannt, etliche seiner Werke liegen im Hanser-Verlag vor; ein französischer Autor ist er mitnichten. An ihm kann man eine Neuerung ablesen, der sich Femina- wie Medici-Preis seit einer Reihe von Jahren hingeben: sie krönen in einer speziellen Rubrik ausländische Bücher, denen stärkere Beachtung seitens des französischen Publikums zu wünschen ist. Umsatzinteressen treten dabei zurück: die Preisrichter urteilen in diesem Fall nicht als Verfechter von Verlagsstrategien, sondern von sachbezogenen Interessen. Summa summarum: Wo das Romanverfassen ein nationaler Sport ist, da liegt in Paris im Spätherbst für eine Handvoll ausgesuchter Schreiber eine Goldgrube bereit.
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