Grunewaldsee

Berliner Abende Kolumne

A. war auf die Idee gekommen: "Wie wär´s mit einer kleinen Runde um den Grunewaldsee?" - "Nichts dagegen!" Warum hatten wir diesem schönen Fleckchen Berliner Erde eigentlich so lange keinen Besuch mehr abgestattet?

Wir parken das Auto, alles sieht nach einem einsamen Spaziergang aus. Doch da kommt uns eine Frau mit zwei Hunden entgegen. Der kleinere von beiden stürzt auf uns zu und begrüßt uns freudig, sein wedelnder Schwanz gräbt den weichen Waldboden auf. Schade, dass wir ihn nicht mit nach Hause nehmen können! Auch die nächsten Spaziergänger sind statt mit Kindern mit Vierbeinern unterwegs, doch noch denken wir uns nichts dabei. Am Ufer dann ein seltsames Szenario: Ein gutes Dutzend Menschen steht in Zweiergruppen an ein Holzgeländer gelehnt - wie Liebespaare, die einen Rest Wintersonne einfangen wollen. In Wirklichkeit genießen sie den Anblick ihrer Rottweiler, die Löcher in den Strand buddeln und um die Hackordnung rangeln. Auf jeden Spaziergänger kommen bisher eineinhalb Hunde. Doch prompt begegnen uns nur noch Spaziergänger mit zwei bis drei Hunden, Terrier, Boxer, Riesenschnauzer, Collies, Labradors. Ausgelassen toben sie durchs Gelände, dicht an uns vorbei oder zwischen uns hindurch - als ob wir Luft wären. Ein struppiger Schäferhundabkömmling legt mir eine rote Plastikkugel vor die Füße. Ich versuche, sie wegzuschießen, aber nach zwanzig Zentimeter Flug hat er sie schon in der Schnauze - der Geifer tropft mir auf den Schuh. A. ist mutiger, bückt sich nach dem Objekt der Begierde und wirft es in weitem Bogen in den Wald. Doch auch diesmal steht der Kläffer Sekunden später wieder vor uns - stolz, aber noch lange nicht bereit, uns weiterziehen zu lassen. Zum Glück trifft jetzt Frauchen ein und erlöst uns aus der Geiselhaft.

Längst fragen wir uns, ob wir etwas falsch gemacht haben. Stand am Waldrand ein Schild mit zwei dämlich dreinblickenden Spaziergängern und den Worten: Wir dürfen hier nicht rein!?

Inzwischen werden die Hunde immer größer und schießen immer dichter an uns vorbei. Leine und Maulkorb scheinen noch nicht erfunden, das Beifußgehen ebenso wenig, des Menschen bester Freund nutzt seine Freiheit schamlos aus. Wenig später ist es dann soweit: Wir geraten in eine kleine Beißerei. Zwei kalbsgroße Monster bilden ein einziges Knäuel und rollen um sich beißend auf uns zu. "Rufen Sie doch ihren Hund zurück!", brüllt eine Stimme aus dem Off. Aber von Herrchen Nr.2 fehlt jede Spur. Wie versteinert stehen wir da, überleben aber unverletzt.

"Am anderen Seeufer wird es besser", tröstet mich A., nachdem sich ihr Puls soweit beruhigt hat, dass sie wieder in ganzen Sätzen sprechen kann. Leider hat sie Unrecht! Auch dort hören wir immer wieder drohendes Hecheln in unserem Rücken. Wir trauen uns kaum, uns umzudrehen, besonders wenn aus weiter Ferne hilflose Kommandos wie "Tyson!", "Nero!" und "Wotan!" an unser Ohr dringen.

Endlich kommt uns jemand ohne Hund entgegen - ein Jogger, der sich entweder verlaufen hat oder masochistisch genug ist, am Spießrutenlauf Gefallen zu finden. Oder ein Selbstmörder, dem ein Sprung vor den ICE nicht grausam genug ist?

Wir erreichen den Strand am Westufer. Hier haben wir einmal gebadet, in guten alten Zeiten. Leider ist die schöne Sandfläche jetzt eine riesige Hundetoilette. Unvorstellbar, hier jemals wieder sein Handtuch auszubreiten. "Riechst Du ihn auch", frage ich A., "diesen unsäglichen Gestank nach nassen Kötern?" - "Du hast schon ´ne Paranoia!" Wahrscheinlich. Aber ich hätte schwören können, dass der Duft tierischer Ausdünstungen wie ein zäher Nebel über dem Waldboden schwebt.

Wieder am See-Ende angekommen resümieren wir: Circa 200 Tölen in allen Farben und Kampfgewichtsklassen, etwa 80 bis 90 stolze Besitzer beiderlei Geschlechts, fünf Zeitgenossen ohne Hund, uns beide eingerechnet, keine Blessuren, aber von Pfotenabdrücken gezeichnete Hosen und abgeschleckte Hände, die wir hin und wieder als Friedensangebote hinstrecken mussten.

Kurz vor dem Autoparkplatz dann ein kleiner Menschenauflauf. Eine braunweiße Bullterrierwelpe kämpft mit dem Rad eines Kinderwagens. Herrchen schafft es nicht, das Untier in spe zum Weitergehen zu bewegen, die Frau mit dem Kinderwagen wartet brav, um dem kleinen Trottel nicht über den Hals zu fahren. Doch jetzt entdeckt er uns, lässt von seinem übermächtigen Gegner ab und folgt uns begeistert Richtung Straße. "Komm mit", flüstere ich ihm zu, "da vorne fahren riesige Sattelschlepper, denen kannst du schön in die Reifen beißen!" - Nein, keine Angst. Dem Kleinen ist nichts passiert. Irgendwann kam sein Besitzer angespurtet, klickte die Leine ein und zog ihn in Gegenrichtung davon. Sicher wird er noch einen wunderbaren Tag gehabt haben - mit all den anderen am See.


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