Eine Spezies wird besichtigt

Männerforschung In den Gazetten und Magazinen sind Männer en vogue, und auch an den Universitäten gilt es als chic, über den "Mythos Mann" nachzudenken. Dabei ...

In den Gazetten und Magazinen sind Männer en vogue, und auch an den Universitäten gilt es als chic, über den "Mythos Mann" nachzudenken. Dabei scheint die Forschung über Männer noch reichlich unterentwickelt und kippt gelegentlich neuen Wein in alte Schläuche

Der Mann ist in aller Munde. Nach Jahrzehnten ermüdender radikalfeministischer Angriffe kommt er aufs prinzipiell Männliche zu sprechen. "Der Mann fühlt sich in der Zivilisation einfach nicht heimisch. Ihm das vorzuwerfen hieße, einem Büffel darüber Vorhaltungen zu machen, dass ein Antiquitätenladen nicht seine natürliche Umwelt darstellt."

Der Mann ist Professor für Englische Literatur an der Uni Hamburg, und spätestens seit der Verfilmung seines Romans Campus ist Dietrich Schwanitz republikweit bekannt. Seine sarkastische Abrechnung mit der ganzen Emanzenwirtschaft in seinem neuerlichen Bestseller Männer. Eine Spezies wird besichtigt wird von den Magazinen von Hamburg bis München goutiert, doch ähnelt sie eher einer höhnischen Vivisektion des Mannes. Genauer betrachtet provoziert das Elaborat nicht gestandene Feministinnen, sondern ist eine Ohrfeige für jeden aufrechten Mann: "Für den Aufenthalt in der Zivilisation muss er erzogen werden. Die Zivilisation wurde also von den Frauen erfunden. Ihr eigentliches Ziel war die Zähmung der Männer."

Der Entwurf des Schwanitz´schen Geschlechterverhältnisses hat inzwischen den Hautgout einer längst überlebten Ideologie. Er gehört aber als süffisant geschriebene Groteske zur intellektuelleren Variante des allseits beliebten Gender-Gedräus. Als Botschaft hat der 60-jährige Professor das konservative Axiom parat, dass Frauen von der Venus stammen und Männer vom Mars. Nach dem Vaterrechtler Matthias Mattussek hat der Markt endlich mal wieder ein Männerbuch mit antifeministischem Krawall-Effekt.

Mit größerer Ernsthaftigkeit nimmt sich der weibliche Campus des Mannes an. Männlichkeiten - The Dark Continent (?) nennen die Potsdamer Studien zur Frauen- und Geschlechterforschung ihr Schwerpunktheft. Freud trieb die Frage um "Was will das Weib?", und ein Jahrhundert lang erkundeten Männer den schwarzen Kontinent der Weiblichkeit. Den Spieß drehen die Gender Studies nun um: Frauen widmen sich nicht wie gewohnt dem Geschlecht par excellence, sondern dem Männlichen, das zum "schlechthin Objektiven und sachlich Maßgebenden verabsolutiert wird", wie es bereits Freuds Zeitgenosse Georg Simmel formulierte.

So rückt der Mann als Objekt der wissenschaftlichen Begierde in den Mittelpunkt. Im letzten Herbst kam die Philosophin mit dem Schwerpunkt Männerforschung / Männlichkeitsforschung heraus, die Feministischen Studien folgten mit Männlichkeiten. Die Zeitschrift figurationen - gender literatur kultur stellt gerade eine Männernummer zusammen.

Auch in Uni-Seminaren hat die Männlichkeit Konjunktur. Ernsthaft besorgt mühen sich Feministinnen um die "Krisen der Männlichkeit" oder den "Mythos Mann". Im Februar veranstaltete der vor kurzem gegründete Arbeitskreis für interdisziplinäre Männerforschung in den Kultur-, Geschichts- und Sozialwissenschaften (AIM Gender) seine erste Tagung in Stuttgart, und einige Ergebnisse darf man in dem in Kürze erscheinenden Sammelband von Peter Döge und Michael Meuser erwarten.

Darüber, wie das Kind getauft werden soll, wird noch gestritten. Männerforschung, manchmal mit dem Zusatz "Kritische Männerforschung" versehen, definieren Oliver Geden und Johannes Moes in der Philosophin als "Forschung von Männern über Männer und Männlichkeit". Den Begriff "Männlichkeitsforschung" halten sie für sinnvoller, weil er sich auf den Gegenstandsbereich bezieht, nicht aber auf das Geschlecht der Forschenden.

"Bewusste Männerperspektiven" für eine kritische Männerforschung, in der sich Männer als Männer mit ihrem Geschlecht und ihren Geschlechtsgenossen beschäftigen, fordert dagegen Willi Walter, der sich als Kritischer Männerforscher bezeichnet, in dem von Christina von Braun und Inge Stephan herausgegebenen Einführungsband Gender-Studien. Wiederholt sich mit dieser reinlichen Scheidung der frühere Separatismus der Forschung von Frauen für Frauen, die betonte, dass Wissenschaft an der eigenen Erfahrung anzuknüpfen habe? Die kritische Auseinandersetzung mit feministischen Theorien motiviert einen Kreis von Männern, die männerbewegte Ziele vertreten, an den Unis aber eher randständig vertreten sind.

Einer der wenigen Professoren ist Lothar Böhnisch von der TU Dresden, der für eine Männerforschung plädiert, die sich nicht mehr an Bezugspunkten der Frauenforschung misst. "Kritische Männerforschung hat ihr eigenes Paradigma", proklamiert er in dem von Doris Janshen herausgegebenen Band Blickwechsel. Der neue Dialog zwischen Frauen- und Männerforschung. Auch Männer litten an patriarchalen Strukturen und müssten ihre Bedürfnisse unterdrücken, Jungen würde ebenso viel verwehrt wie zugestanden, und männliche Gewalt und Bedürftigkeit lägen eng beieinander. Derlei psychische Defizite manifestieren sich für Böhnisch gerade in äußerer Selbstsicherheit und Machtstreben, während die Frau nach innen selbstsicherer und damit dem Mann überlegen sei. Sind Männer vielleicht doch das unterdrücktere Geschlecht?

Von solchen Fragestellungen zeigt sich die soziologische Männlichkeitsforschung, die in Deutschland von Cornelia Behnke, Michael Meuser und ihren (früheren) KollegInnen an der Uni Bremen geprägt wird, unbeeindruckt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten selbstverständlich gemeinsam und verstehen ihre Analysen in Anschluss an Bob Connell als Forschung über hegemoniale Männlichkeiten. Im Sammelband von Janshen fährt Meuser dem postmodernen Geschlechter- und Männlichkeitsdiskurs scharf an den Karren und wirft ihm Voluntarismus vor. Zwar sei die Kritik am Essenzialismus - also der Idee eines genuin männlichen beziehungsweise weiblichen Wesens - berechtigt, doch vernachlässigten die KonstruktivistInnen aller Couleur die soziale Gebundenheit des Menschen. Wer Männlichkeit lediglich als Spektakel, als Maskerade oder Zeichen auffasse, erzeuge die Illusion, die Geschlechterverhältnisse schnell verändern zu können. Die festgefügte Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit lasse sich nicht nach Gusto ablegen.

Im Zuge von Enttraditionalisierung und Individualisierung nämlich scheint dem postmodernen homo optionis auch sein Geschlecht frei wählbar zu sein. Für den Soziologen Meuser dagegen ist es unhaltbar, wenn die prinzipielle Veränderbarkeit sozialer Praktiken als beliebig gestaltbare Alltagspraxis gedeutet wird: Jemand erwacht morgens, sieht den Schrank der Rollenkostüme auf eine Geschlechtsidentität eigener Wahl durch, legt diese Geschlechtsidentität tagsüber an, um sie abends wieder zurückzulegen. In den men´s studies sieht Meuser die Gefahr, Mannsein nur noch als eine Vielzahl von beliebig austauschbaren Praxen zu verstehen, die den Blick für fundamentale soziale Ungleichheiten verstellen.

Wie Männer sich selbst definieren und sich in ihrem sozialen Milieu situieren, haben Behnke, Meuser und KollegInnen akribisch untersucht. Nicht so sehr Angehörige von Männergruppen im akademischen Milieu mit ihren proklamierten emanzipativen Ansprüchen, sondern eher junge Facharbeiter leben - ganz pragmatisch - Gleichberechtigung. Wie bereits bei DDR-Männer Praxis, reden auch sie nicht darüber, sondern tun es dem schlichten Sachzwang gehorchend. Die Männerbewegten hingegen kommen bei dieser Inspektion schlecht weg: Statt ihre Männerprivilegien anzutasten, ginge es ihnen nur darum, sich die psychischen Folgekosten der Modernisierung ("therapeutischer Individualismus") vom Hals zu halten.

Aus Behnkes Vergleich in verschiedenen Schichten gingen recht unterschiedliche Deutungsmuster hervor: Der Bürgersmann versteht sich als verantwortlich von A bis Z, will von Gefühlen absehen und den Überblick behalten, während er die Frau für Feinsinn und Ästhetik zuständig erklärt. Der Arbeiter versteht die Geschlechtsunterschiede ganz handfest: Während die Frau Kinder gebärt, kann der Mann etwa als Gerüstbauer schwere Geländer hochziehen - was die Frau ja nicht vermag. Behnkes Beitrag findet sich in einem von Hans Bosse und Vera King herausgegebenen Sammelband Männlichkeitsentwürfe, der das quasi psychologische "Innenfutter" - also, das was ansonsten nur als Ratgeber-light-Literatur verfügbar ist - mit den soziologischen Analysen von Macht und Beruf zusammenführen will.

Welchen Einfluss die Trennung von der Mutter für den Jungen hat, steht im Zentrum des ebenfalls in den Männlichkeitsentwürfen abgedruckten Beitrags des Frankfurter Soziologen und Gruppenanalytikers Bosse. Die körperlich-sexuelle Reifung des Jungen "fördert und fordert eine eindeutige Geschlechtsidentität als Mann", so Bosse. Wenn in der Adoleszenz der Körper geschlechtlich eindeutig werde, nehme der kleine Junge den anatomischen Unterschied zur Mutter wahr und begreife sich als "Anderer". Diese Trennungserfahrung verbinde sich, so Bosse, unauslöschlich mit der Erfahrung, männlich zu sein. "Um die männliche, Leben hervorbringende Position des Vaters einnehmen zu können, muss er sich von weiblichen Identifikationen ablösen."

In diesem präödipalen Dreieck versteht auch der Psychoanalytiker Kai von Klitzing Vaterschaft, die für ihn die triadische Fähigkeit darstellt: Der Vater unterstützt das Kind, sich aus der symbiotischen Verknüpfung mit der Mutter zu lösen und hilft ihm, seine personale und geschlechtliche Identität auszubilden. Deshalb kann die Abwesenheit des Vaters, menetekelt Bruno Hildenbrand im gleichen Band, zur verzweifelten Suche nach Ersatzvätern oder zu psychischen Krankheiten führen.

Das erinnert an Lehren von Margaret Mahler und Nancy Chodorow, die in den siebziger und achtziger Jahren lebhaft diskutiert und wegen ihres konservativen Gehalts vielfach verworfen worden waren; dass sie nun in diesen selbst ernannten Psycho-Analysen wiederauferstehen und zu neuen Ehren kommen, hat nicht nur mit wissenschaftlichem Erinnerungsverlust zu tun, sondern mit handfesten Interessen: Hier wird die Triade Vater-Mutter-Kind samt ihrer angeblich symbiotischen Gefahren einmal mehr festgeschrieben und das System der Zweigeschlechtlichkeit dingfest gemacht.

Die neuen Männlichkeitsstudien werden, wie Geden und Moes konstatieren, dominiert von den Sozialwissenschaften. Doch psychologische Studien ihrerseits verbreiten Erkenntnisse, die den kritischen Gehalt längjähriger Genderstudien ignorieren. Der "neue Dialog von Männern und Frauen" (Janshen) mag schon sehr fortgeschritten sein, was sich in der Normalität gemeinsamer Projekte etwa auch bei den HistorikerInnen zeigt. Doch der Dialog zwischen den Fachdisziplinen, auch zwischen den Sozialwissenschaften und den eher diskurstheoretischen Ansätzen in den Kulturwissenschaften scheint noch einen langen Weg vor sich zu haben.

Immerhin florieren die postmodernen queer studies, getragen von Schwulen, Lesben, Bis, Transen, von sämtlichen Geschlechtern also, vielleicht kräftiger als die von heterosexuellen, weißen Mittelschichtsmännern dominierten men´s studies. Ein Schwuler auf dem Stuhl des Regierenden Bürgermeister zeigt, dass die Ein- oder Zweideutigkeit der Geschlechter brüchig geworden ist.

Die Philosophin Käthe Trettin konnte sich einmal vorstellen, dass wir mit 17 oder 87 Geschlechtsbegriffen wunderbar zurechtkommen würden, vorausgesetzt, wir hätten sie nur lange genug eingeübt. Damit wird ein Konzept der Männlichkeit von Frauen durchaus plausibel. Wenn Männlichkeit nicht der soziale und kulturelle Ausdruck von Mannsein ist, also der Kurzschluss zwischen Männerkörper und Männlichkeit nicht mehr tragbar ist, dann wäre Männlichkeit auch eine Option für Frauen. Female Masculinity (Judith Halberstam) gehört zur Pluralität der Männlichkeiten. Jenseits der Hosenrolle auf der Bühne oder der Zurschaustellung des Dragking leben Frauen Männlichkeit im Alltag. Männlichkeit wäre dann nicht mehr exklusiv reserviert für Männer. Aber das ginge Männern - nicht nur solchen wie Schwanitz - dann wirklich zu weit.

Hans Bosse/Vera King (Hg.): Männlichkeitsentwürfe. Wandlungen und Widerstände im Geschlechterverhältnis. Campus-Verlag, Frankfurt am Main, New York 2000

Christina von Braun/ Inge Stephan (Hg.): Gender-Studien. Eine Einführung. Metzler-Verlg, Stuttgart, Weimar 2000

Peter Döge/ Michael Meuser (Hg.): Männlichkeit und soziale Ordnung. Neuere Beiträge zur Geschlechterforschung. Verlag Leske + Budrich , Opladen 2001.

Doris Janshen (Hg.): Blickwechsel. Der neue Dialog zwischen Frauen- und Männerforschung. Campus-Verlag, Frankfurt am Main, New York 2000

Dietrich Schwanitz: Männer. Eine Spezies wird besichtigt. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001

Klaus Schwerma: Stehpinkeln - Die letzte Bastion der Männlichkeit? Identität und Macht in einer männlichen Alltagshandlung. Kleine-Verlag, Bielefeld 2000

Judith Halberstam: Female Masculinity. Duke University Press, Durham, London: 1998

Arbeitskreis für interdisziplinäre Männerforschung in den Kultur-, Geschichts- und Sozialwissenschaften (AIM Gender): www.ruendal.de/aim/gender.html

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