Schon bei Adam und Eva fängt die Geschichte an, kompliziert zu werden – die Geschichte der Frauen und der Männer. Von Anfang an ist sie auch eine Geschichte des Sowohl-als-auch, des Weder-noch und der vielen Zwischenräume. Wer war eigentlich Adam, bevor er Eva aus seiner Seite gebar? Erst mit ihrer mythischen Geburt wurde er zum anderen Geschlecht. Denn bevor es den ersten weiblichen Menschen gab, verkörperte Adam beide Geschlechter. Oder anders herum: Repräsentierte Adam ein Paradies ohne Geschlechter? Seine hermaphroditischen Eigenschaften verwirrten Heerscharen von Theologen des Mittelalters.
„Als Mann und Frau schuf er sie“ – diese dualen Verhältnisse versucht Er in der christlichen Schöpfungsgeschichte eindeutig zu fixieren. Doch wer ist dieses Er? Überirdisch wie er ist, darf er weder Mann sein noch Frau, darauf legten Kirchenväter von Anfang an großen Wert. Solche Genderstudien avant la lettre befassten sich damit, dass Gott grammatikalisch zwar als Mann auftritt (Gender), dem aber kein soziales oder körperliches Geschlecht (Sex) entspricht. Gott habe die Menschen „nach seinem Bilde“ erschaffen. Wenn Gott die Geschlechter aber transzendiert oder sich als androgyn versteht, vereint der einzelne Mensch dann nicht ebenfalls beide Geschlechter?
Die Überwindung des geschlechtlichen Dualismus ist seit Platons androgynem Kugelmenschen, der in vielen anderen Schöpfungsmythen wiederkehrt, ein Menschheitstraum. Doch statt den Androgynen ob seiner Gottgleichheit zu verehren, landete er in der Realität eher auf dem Scheiterhaufen, wurde ausgegrenzt, diskriminiert, ja als Monster verteufelt. Im 19. Jahrhundert wurde der Intersexuelle Abel Barbin als Hermaphrodit in den Suizid getrieben. „Brauchen wir wirklich ein wahres Geschlecht?“, fragte Michel Foucault, der Barbins Erinnerungen herausgegeben hat, in seinem Vorwort. „Mit einer Beharrlichkeit, die an Starrsinn grenzt, haben die Gesellschaften des Abendlandes dies bejaht. Hartnäckig haben sie diese Frage nach dem ‚wahren Geschlecht‘ in einer Ordnung der Dinge ins Spiel gebracht.“
Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts kam das Zweigeschlechter- und Zweikörpermodell endlich ins Fließen, in Deutschland begleitet von der neu entstehenden Sexualwissenschaft Magnus Hirschfelds. Erst der Fortschritt bei medizinischen Eingriffen ermöglichte es, zwischen Transsexualismus und Transvestitismus zu differenzieren. Es entwickelte sich ein chirurgisches „Schnittmuster des Geschlechts“, wie es der Kulturwissenschaftler Rainer Herrn formuliert. Männer, die sich zur Frau formen ließen, avancierten zu Lieblingen der Medien. Die Dänin Lili Elbe, geboren als Einar Mogens Wegener, wurde 1930/31 in Berlin und Dresden wohl als Erste operiert. Um die transsexuelle Amerikanerin Christine Jorgensen, die sich 1952 einer operativen Geschlechtsangleichung vom Mann zur Frau unterzogen hatte, entstand ein regelrechter Hype. Der Geschlechtswechsel wurde machbar – nicht mehr nur mythologisch wie bei Teiresias, dem griechischen Seher, der sich durch Schlangenbisse zur Frau und dann wieder zu einem Mann wandelte.
Facebook als Vorreiter
Zunächst scheint eine solche Veränderung das binäre Geschlechtersystem durchlässiger zu machen, gleichzeitig wirkt sie im höchsten Maße aber: affirmativ. Denn wenn sich das neue Selbst durch „Passing“ anpasst, oft überanpasst, also das ganze Register von Chirurgie, Kosmetik und Mode einsetzt, geht es dann nicht darum, zu verhüllen, im falschen Geschlecht geboren worden zu sein, einen Wandel durchgemacht zu haben? Die erzählte Biografie fordert Eindeutigkeit von Geburt an.
Diese Anpassung an eine eindimensionale Identität bricht auf. Die Welt des Transgender entfaltet sich immer vielfältiger, uneindeutiger und widersprüchlicher. Eine Conchita Wurst steht mit ihrem Kategorien sprengenden Äußeren für all die Cross-Dresser, Drag Queens und Drag Kings, die mit Parodie und ohne die üblichen anatomischen Zurichtungen die herrschenden Verhältnisse zum Tanzen bringen und demonstrieren, wie künstlich die Inszenierung von Mann und Frau ist.
Auch die Bewegung der Intersexuellen der letzten Jahre bricht die Frau-Mann-Polarität auf. Mit körperlichen Merkmalen geboren, welche die klare geschlechtsspezifische Dichotomie unterlaufen, wurden sie in der Vergangenheit als Kleinkinder zu „richtigen“ Frauen oder Männern zugeschnitten. Dadurch sollten sie früh eine eindeutige Geschlechtsidentität entwickeln, die den meisten Psychologen immer noch als Basis einer gesunden Persönlichkeit gilt. „Das Zwei-Geschlechter-System als Menschenrechtsverletzung“, prangerte dies die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst in einer Ausstellung in Berlin an.
Das Recht auf Unversehrtheit, auf Uneindeutigkeit, auf Offenlassen des Geschlechts als Persönlichkeitsrecht beginnt sich global durchzusetzen. Staaten wie Australien, Bangladesch, Indien, Neuseeland, Pakistan erkennen inzwischen ein unbestimmtes Geschlecht an und tragen in Reisepässe als Geschlechtsmerkmal ein X ein. In Deutschland wird die Geburt bei geschlechtlicher Uneindeutigkeit ohne Geschlechtsangabe ins Geburtenregister eingetragen.
Doch kann ein drittes Geschlecht oder Mehrgeschlechtlichkeit überhaupt gedacht werden, ohne sie sogleich wieder in ein neues Klassifikationssystem zu überführen? „Mehr als nur zwei Geschlechter: Das würde den Realitäten viel besser entsprechen“, sagt die Genderforscherin Sabine Hark. Die geschlechtlichen Übergänge sind fließend, das Rollenverhalten der Menschen erst recht. Facebook bietet mittlerweile 60 Optionen für das Geschlecht und sexuelle Vorlieben an, mit einem Klick frei zu wählen und jederzeit änderbar.
Sind Männer und Frauen tatsächlich ein Auslaufmodell? Verweist die Lebensrealität aller Trans* nicht nach wie vor auf die Rigidität der Geschlechterordnung, die von Betroffenen oft nicht in Frage gestellt wird? Transgender oder genderqueere Menschen wollen sich auf keine der naturalisierten Rollen festlegen und streben nicht unbedingt geschlechtsangleichende medizinische Eingriffe an. Ihre Kritik macht sich fest am Weg von Transsexuellen, der auf die individuelle Veränderung des Körpers beschränkt bleibt, statt die binären Codierungen zu unterlaufen und zu verändern.
Doch jenseits von Song-Contests und Laufstegen ist ein wurstiges „Genderplay“ im Alltag kaum durchzuhalten. Menschen, die mit allen Mitteln ein eindeutiges Geschlecht herstellen wollen, passen zwar nicht in den postmodernen Hype der Künstlichkeit von Identitäten und Körpern. Eine Kritik daran aus dem Mainstream der geschlechtlich eindeutig festgelegten Menschen ist allerdings fragwürdig. Dieser Mainstream lagert das „Genderbending“ oft aus in den fröhlichen Karneval von Mode und Show und lässt den Alltag unberührt.
Ist die Geschichte also wieder bei Adam und Eva angelangt, bei der fundamentalen Trennung zweier Geschlechter? Mehr denn je werden Geschlechterbilder produziert, nach strengen Diät- und Fitnessregeln geformt, qua Smartphone abgelichtet, in den sozialen Medien verbreitet und für Mädchen und Jungen aufbereitet, damit sie sich früh einüben. „Als Mann und Frau schuf er sie“ – wird heute von anderen dekretiert als vom alten Mann mit Rauschebart.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.