ZUM 100. GEBURTSTAG VON KURT WEILL Weill zu hören gibt es viele Gründe. In Deutschland hat man zusätzlich weitere erfunden, ihn zu verachten. Das Vorurteil hat ihn zu einem ...
Weill zu hören gibt es viele Gründe. In Deutschland hat man zusätzlich weitere erfunden, ihn zu verachten. Das Vorurteil hat ihn zu einem Schlager-Komponisten gemacht, daran hält es fest wider besseres Wissen, und wenn ihm zu Gehör, was dazu nicht passt, dann verpasst es ihm eine: Eben doch nicht so gut, eben doch mehr »Hollywood», naja, das war nicht seine Sache. In Amerika hat er seine Seele verkauft; er wollte ja gar kein Deutscher mehr sein, er mochte keine deutsche Musik.
Letzteres wenigstens könnte man zu seinem Ruhme sagen. Das, was das Vorurteil für deutsche Musik hält, ist nicht Weill. Für das Vorurteil heißt deutsche Musik »Warum ist es am Rhein so schön im schönsten Wiesengrunde der Maschendrahtzaun mit de
aun mit dem Knalltütengemüt». Dieses Jahr begeht man den 100. Geburtstag und den 50. Todestag von Kurt Weill, da werden die Reden vorübergehend milder. Aber er bleibt ein Ärgernis. Unter dem vielen Unverständlichen, das die Musik des vorigen Jahrhunderts hervorbrachte, ist er verständlich, und das gilt als unverständlich. Im musikalischen Gotha geht die Ahnenlinie vorzugsweise von Stockhausen zurück zu Webern und Schönberg, und diese Komponisten werden vor allem wegen der Theorien, die sich aus ihren Musiken herstellen lassen, geschätzt. Was ein Irrtum ist. Ihre Musik ist besser. Man kann auch anders zählen, zurück von Hans Werner Henze, Bernd Alois Zimmermann, Paul Dessau zu Kurt Weill und seinem Lehrer Ferruccio Busoni, und auf beiden Linien gelangt man zu Gustav Mahler als dem Ausgangspunkt der musikalischen Moderne. In seiner Jugend wollte Kurt Weill übrigens bei Arnold Schönberg studieren, und nur der Geldmangel hatte es im Jahre 1919 verhindert. So ging er nach Berlin statt nach Wien und kam zu Busoni, statt der Mitschüler von Hanns Eisler zu werden. Das wäre vielleicht nicht gut gegangen, später jedenfalls konnte er Eisler nicht leiden. Der Punkt war Brecht, obwohl Weill seine Zusammenarbeit mit ihm von selbst aufgekündigt hatte, weil er ein anderer, ein eigener werden wollte. Das war schon zu Beginn der 30er Jahre, vor dem Exil und nach dem Leipziger Skandal-Erfolg der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny. In Paris folgte noch das Ballett Die sieben Todsünden auf einen Text von Brecht, und in Amerika gab es den gemeinsamen Plan einer Schweyk-Oper und des Guten Menschen von Sezuan; beides scheiterte. Die Stücke wurden dann von Eisler und Dessau komponiert.Kurt Weill wurde im Jahre 1900, am 2. März, in Dessau geboren. Sein Vater war ein Kantor der Dessauer Synagoge, und dass es dort heute keine Synagoge und keinen Kantor mehr gibt, dafür aber ein Kurt-Weill-Zentrum, das ist ein bedenkenswerter Umstand der deutschen Geschichte. Seine frühe musikalische Ausbildung verdankte Weill dem Dessauer Kapellmeister Albert Bing, der seinen Schüler, der bald geniale Züge offenbarte, auch durch Aufführungen zum öffentlichen Erfolg verhalf. Das Musikstudium begann in Berlin bei Engelbert Humperdinck, aber bald kam mit Ferruccio Busoni eine prägende und fordernde Gestalt ins Blickfeld. Busoni schärfte seinen Blick für Qualitäten und vermittelte ihm handwerkliches Können und Urteilskraft. In seinen ersten Werken - Royal Palace, Der neue Orpheus, folgte Weill auch stilistisch dem Lehrer, und er hätte in den 20er Jahren einer der vielen hochbegabten Modernen werden können, die die Musik revolutionieren wollten. In der »Novembergruppe», einer Vereinigung fortschrittlicher Künstler, der er 1922 beitrat, traf er sie alle, Stefan Wolpe und Wladimir Vogel, Hanns Eisler und Heinz Tiessen, und nicht zuletzt den Kritiker Hans Heinz Stuckenschmidt. Im Berliner Konzerthaus, wo in dieser Woche eine Serie von 10 Weill-Konzerten veranstaltet wird, rekonstruieren einige Programme diesen musikhistorischen Zusammenhang, wie auch den mit Schönberg und Webern. Da hört man tief hinein in die Geschichte.Zurück in die zwanziger Jahre. 1927 kam der Bruch mit der isolierten Moderne - die Begegnung mit Brecht 1927, und mit Georg Kaiser, die für ihn ebenso wichtig werden sollte. Die Dreigroschenoper war der Start in eine neue Welt. Für die Gedichte von Brecht und Kaiser fand er eine neue Sprache, die als »Songstil« in die Geschichte einging und fälschlicherweise mit dem Operetten- und Schlagerstil verwechselt wurde, weil die Melodien, die Weill erfand, eine schlagerhafte Popularität erreichten. Wo Unverstandensein seit langem als Qualitätsausweis galt, musste solch ein Erfolg irritieren. Weill war zweifellos ein genialer Melodiker, aber nicht das hob ihn heraus, sondern sein besonderes musikalisches Verhältnis zum Text. Das hatte kein anderer. Nehmen wir eine seiner bekanntesten (und einfachsten) Melodien, die Moritat vom Macky Messer. Brechts Gedicht handelt von den Untaten eines Serienmörders. Das müßte eigentlich eine »entlarvende« Musik erfordern, die den Mörder an den Pranger stellt und die bürgerliche Moral gegen solche Unholde verteidigt. Stattdessen umgibt ihn Weill mit der sanften Weise eines Schlummerliedes, mit dem Mütter ihre Kinder in den Schlaf singen. Dieser grauenvolle Macky wird so zur Sehnsuchts-Figuration, und eine boshafte Freude mischt in das hingebungsbereite Sentiment, dass die Polizei diesen Outlaw nicht erwischen kann. Anklage ereignet sich nicht. Dieser Macky Messer wird zum Wunschbild - einmal so mit den Dicken und Aufgeblasenen verfahren können, wie er es tut. Louis Armstrongs spätere berühmte Jazz-Version hat das Lied in dieser Weise gedeutet. Es ist die Marseillaise der Armen und Ausgestoßenen geworden.Das wird von nun an Kurt Weills Ziel - eine Musik für die einfachen Leute zu schreiben, eine Musik, die sie als die ihre, als ureigene Wesenseigentümlichkeit erkennen. Man muss sich die Zeitläufte vergegenwärtigen. Auf der einen Seite gab es die versunkene Adelswelt, die Richard Strauss, Emmerich Kálman oder Franz Lehár in idyllischen Bildern auf die Bühne zurückholten. Auf der anderen Seite: Weill, Eisler, die Novemberleute, deren Ideal die Musik der Großstädte war. Am Anfang war das »Maschinenmusik« und »Massenmusik«, daraus wurde der Bruitismus großer Orchesterkompositionen wie das neue Arbeiterlied. Weill interessierte das nicht. Er wollte »Menschenmusik», Musik, die vom Leben der Leute erzählte. In Mahagonny, in Der Silbersee nach Georg Kaiser, in Die Bürgschaft von Caspar Neher geschah das. Das sind musikalische Epen über Deutschland, obwohl sie teils in fernen, teils in mythischen Ländern spielen. Sie gingen im Februar 1933 buchstäblich im völkischen Geschrei und Gekreisch unter. Die letzten Weill-Aufführungen waren in Leipzig, Erfurt, Magdeburg von pöbelhaften Ausbrüchen begleitet, und Weill, der sie nie vergaß und um sein Leben zu fürchten hatte, floh am 23. März 1933 nach Paris. Seine deutsche Biographie war zu Ende. Seine französische und amerikanische begann.Man hat viel Wesen darum gemacht, dass er sich später sogar weigerte, deutsch zu sprechen, und verhältnismäßig wenig darum, dass man sich in Deutschland der einfachsten Menschlichkeit verweigerte und 1933 die deutsch-jüdische bürgerliche Kultur in Stücke schlug. Der Traditionsbruch ereignete sich nicht in den Köpfen der Verjagten, sondern im teuren Vaterland. Trotzdem hat Kurt Weill ein Abschiedslied auf Deutschland geschrieben, das seinesgleichen sucht. Es ist die Oper Der Weg der Verheißung, ein Bibelspiel nach einem Text von Franz Werfel, eine Partitur, die noch im europäischen Exil entstand, aber im amerikanischen 1937 als The Eternal Road in New York uraufgeführt wurde. Der Regisseur war der ebenfalls verjagte Max Reinhardt. In dieser Partitur glänzt von Bach über Schubert und Mendelssohn bis Mahler noch einmal alles auf, was in Deutschland einst Musikkultur bedeutete und nun mit Füßen getreten wurde. Sie ist ein Abschiedslied auf ein verlorenes Vaterland. Hinfort wollte er für ein amerikanisches Publikum schreiben. George Gershwin wurde sein Idol. Er hörte die Generalprobe von »Porgy and Bess», das bei der Uraufführung übrigens durchfiel, und fand eine Geistesverwandtschaft, die ihn beflügelte, auf dem Weg des Frühverstorbenen fortzugehen. Es ist ihm gelungen, Gershwins Popularität in Amerika zu erreichen und manchmal zu überflügeln. Ira Gershwin, der viele Song-Texte für seinen Bruder verfasst hatte, wurde nun Weills Texter. Maxwell Anderson, Langston Hughes, Moss Hart, Oscar Hammerstein - alles große Namen im damaligen Amerika - schrieben ihm die Stücke - Lady in the Dark, One Touch of Venus und das bedeutendste von allen - Street Scene nach Elmer Rice, ein tragisches Musical über das Leben der Lower class in der modernen Großstadt. Wenigstens das hat in jüngerer Zeit auch in Deutschland einige bemerkenswerte Aufführungen erfahren. Während des Krieges engagierte er sich mit vielen anderen deutschen Emigranten im Kampf gegen Hitler. Er schrieb Songs und Revuen für ein amerikanisches Publikum und für alliierte Rundfunksendungen nach Deutschland, darunter auch wieder einen Brecht-Song, den letzten: Und was bekam des Soldaten Weib?1950, am 3. April, starb Kurt Weill im New Yorker Flower Hospital. Er starb an Überarbeitung. Seinen Nachruhm verdankte er nicht zuletzt seiner Frau und lebenslangen künstlerischen Gefährtin, Lotte Lenya. Nach seinem Tode setzte sie sich unermüdlich für ihn ein und schuf mit ihren Song-Interpretationen bis heute gültige Maßstäbe. Wie Hanns Eislers Lieder nicht ohne die Stimme Ernst Buschs denkbar sind, so die von Weill nicht ohne die Lenyas.Weills Credo war die Gegenwart. »Schönberg hat zum Beispiel gesagt, er schreibe für eine Zeit 50 Jahre nach seinem Tode. Aber die großen Âklassischen Komponisten schrieben für ihr zeitgenössisches Publikum. Sie wollten, daß jene, die ihre Musik hörten, sie verstanden - und so war es. Ich für meinen Teil schreibe für heute. Ich setze keine Pfifferling auf ein Schreiben für die Nachwelt.« Der Tag, für den er schrieb, ist dadurch unvergänglich geworden.
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