Bush zieht die Farbe blau

Let´s Roll Die UNO ist aufgefordert, den USA zu folgen oder ihnen freie Hand zu lassen

Jahrzehntelang hat die Fiktion einer militärischen Bedrohung durch die Sowjetunion den Amerikanern gestattet, als Führungsmacht der nicht-kommunistischen Welt aufzutreten und ihre ökonomischen und strategischen Interessen auf allen Kontinenten offensiv durchzusetzen. Unter dem Vorwand, eine Ausdehnung der sowjetischen Einflusssphäre zu verhindern, konnten sie überall in der Dritten Welt sozialrevolutionäre Bewegungen wie demokratischen Reformen verpflichtete Regierungen ausschalten, wenn sie die Macht nordamerikanischer Konzerne einzuschränken drohten.

Der Kreuzzug gegen den Terrorismus gibt den USA nun eine unerwartete Chance, ihre frühere Politik aus der Zeit des Kalten Krieges unter anderen Vorzeichen fortzusetzen, ein gigantisches Rüstungsprogramm anzukurbeln und geografisch unbeschränkt ihre imperialen Interessen durchzusetzen. Das neue Feindbild erlaubt die Rückkehr zu einem manichäischen Weltverständnis, das in seiner Simplizität nur die eigene gottgefällige Welt des Guten und das fremde Reich des Bösen kennt, gegen das jedes Mittel recht ist. Die daraus abgeleitete Forderung nach bedingungsloser Gefolgschaft definiert nicht nur die Rechte und Pflichten der eigenen Bürger neu, es konstituiert auch ein verändertes Verhältnis zu den Verbündeten.

Die inzwischen erfolgte einseitige Änderung der Geschäftsgrundlage stellt sie vor eine völlig neue Situation: Der Krieg gegen Afghanistan ließ sich noch mit der schwachen Hoffnung begründen, Osama bin Ladens Hauptquartier zu treffen. Die Herrschaft der Taleban zu beseitigen, galt damals nur als willkommener Nebeneffekt. Mit dem jetzt propagierten Krieg zum Sturz Saddam Husseins sind wir endgültig bei einem anderen Programm angekommen, das die "Allianz gegen den Terror" jedenfalls nicht betreffen kann.

Als das erste Mal die Formel von der "Achse des Bösen" auftauchte, kritisierte alle Welt die Unhaltbarkeit dieses Konstrukts, das in einem Atemzug drei ganz unterschiedliche Regimes nannte, denen man alles Mögliche vorwerfen kann, nur nicht eine Unterstützung des islamistischen Terrorismus. Inzwischen muss man sich fragen, ob hier bereits die nächsten drei Kriegsziele benannt wurden, deren erstes jetzt ins Visier genommen wird.

Israel ist in der Tat bedroht

Es lohnt sich, die Argumente zu prüfen, die gegen das Regime in Bagdad vorgebracht werden: Diktatorische Ein-Mann-Herrschaft? Verstöße gegen UN-Resolutionen? Krieg gegen ethnische Minderheiten auf dem eigenen Territorium? Besitz von ABC-Waffen? Offensichtlich zerfällt unsere Welt in Staaten, denen solche Privilegien zugestanden werden, und andere, denen sie verwehrt sind. Man muss sich nur einen Augenblick lang vorstellen, welche Folgen die konsequente Anwendung dieser Kriterien für einige der wichtigsten Verbündeten der Vereinigten Staaten im Kalten Krieg gehabt und in mehr als einem Falle noch heute hätte. Zu Ende gedacht, müssten die USA selbst Hand an sich legen.

Konkret gefragt: Bedroht der Irak die arabischen Nachbarstaaten? Sie selbst sind durchaus anderer Meinung und möchten weder beschützt noch als Vorwand benutzt werden. Bedroht der Irak Europa oder gar die USA? Eine derart absurde Behauptung lässt sich im Ernst nicht aufrecht erhalten. Ist Israel bedroht, das sich mit einem schon irritierenden Eifer den USA für einen Waffengang gegen den Irak anbietet? Auch diese Frage muss beantwortet werden, da es - Gipfel der politischen Demagogie - auch diesmal wieder als Argument herhalten muss, mit dem man alle Kritiker zum Verstummen zu bringen hofft.

Israel ist in der Tat bedroht, aber nur im Falle eines Krieges der USA gegen den Irak. Wie schon im Golfkrieg 1991 würde Saddam den jüdischen Staat als Geisel nehmen, weil er die USA selbst nicht treffen kann, und dieses Mal, will man den Kriegsbefürwortern glauben, mit weit gravierenderen Folgen. Der Versuch, Ursache und Wirkung einfach umzudrehen, bis es am Ende ausschaut, als habe man Krieg führen müssen, um das bedrohte Israel zu verteidigen, wird ein zweites Mal nicht funktionieren.

Die Beweise sind dürftig

Bei der Bewertung von "Beweismaterial" für die Aufrüstung des Irak ist, soweit es von Regierungsagenturen vorgelegt wird, nach aller Erfahrung Skepsis geboten. Man erinnert sich an alarmierende Geheimdienstberichte über die rapide anwachsenden sowjetischen Waffenarsenale, die jeweils pünktlich vor der Bewilligung neuer und höherer Rüstungsausgaben durch den US-Senat zur Hand waren, um einige Zeit nach der Abstimmung regelmäßig als falsch zurückgezogen zu werden. Im jetzigen Fall ist die Beweislage so dürftig, dass schon die theoretische Möglichkeit, die technischen Voraussetzungen für den Bau der einen oder anderen Waffe herzustellen, und die mögliche Absicht, das auch zu tun, als Belege ausreichen müssen. Bisher scheint es, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Fachleute eine akute Gefahr jetzt oder in naher Zukunft nachdrücklich bestreitet.

Dass Saddam neuerdings ein Anhänger des islamistischen Fundamentalismus ist oder in Kontakt zu dessen terroristischem Netzwerk steht, glaubt im Ernst niemand. Für Annahmen dieser Art fehlt selbst der Schatten eines Beweises. Ein Krieg gegen den Irak ist unter diesen Umständen völkerrechtlich nicht zu begründen. Gleichzeitig widerspräche er dem Gebot der Zweckmäßigkeit, denn die Risiken einer politischen Destabilisierung der ganzen Region und ihre möglichen Folgen bleiben unkalkulierbar.

Mit seiner Rede in New York ist Präsident Bush dem Rat gefolgt, die Völkergemeinschaft nicht unnötig zu brüskieren, aber er hat sich ihrer Autorität nicht unterstellt. Vielmehr sind die UN aufgefordert, den USA zu folgen oder aber freie Hand zu geben. Bush hat keinen Zweifel gelassen, dass er notfalls auch ohne die Weltorganisation handeln wird und sein Ziel der Sturz Saddam Husseins bleibt. Dem entspricht die negative Reaktion der USA auf Bagdads jüngste Erklärung gegenüber der UNO. Die bedingungslose Zustimmung zur Rückkehr der Waffeninspekteure (das heißt, unter Verzicht auf die bisher verlangten Verhandlungen über die künftige Unterbindung von Spionagetätigkeit und die Aufhebung der Sanktionen) ist für Washington nur ein "taktisches Manöver". Mit der Verlegung von Truppen und schwerer Ausrüstung nach Katar und der massiven Ausdehnung der Luftangriffe sind die Vorbereitungen für den Krieg in ihre entscheidende Phase getreten.

Wohin die Welt schon morgen geraten kann, wenn es nicht doch noch gelingt, den Prinzipien Geltung zu verschaffen, die Kofi Annan in seiner großen Rede angemahnt hat, bedarf keiner weiteren Erklärung.

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