Während das Jüdische Museum in Berlin - es soll im Herbst eröffnet werden - inzwischen voll vom Bund finanziert wird, lehnt Staatsminister Nida-Rümelin (SPD) eine solche Verantwortung für das NS-Dokumentationszentrum Topographie des Terrors auf dem Gelände der einstigen Gestapo-Zentrale Prinz-Albrecht-Straße nach wie vor ab. Es soll bei einer 50-prozentigen Beteiligung bleiben, während den anderen Teil das Land Berlin zu tragen hat. Derzeit werden 76 Millionen DM als Höchstgrenze gesetzt, nachdem anfangs von 45 Millionen ausgegangen wurde. Die teils groteske Baugeschichte des Dokumentationszentrums widerspiegelt nicht nur Planungsmängel, sondern auch einen Umgang mit Geschichte, der entsorgt und verdrängt, wo Erforschung und Erinnerung
Wiederkehr des Verdrängten
VOM SCHUTTPLATZ ZUM INTERNATIONALEN DOKUMENTATIONSZENTRUM Die unendliche Geschichte der "Topographie des Terrors" in Berlin
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nd Erinnerung gefragt sind.Bekanntlich wurden die stark zerstörten Gebäude auf dem Areal an der Berliner Wilhelmstraße, auf dem die Zentrale des NS-Terrors, das Reichssicherheitshauptamt (RSHA), der Reichsführer SS und der SD ihren Sitz hatten, in den fünfziger Jahren sämtlich abgerissen. Zumindest eines davon - das Haus der früheren Kunstgewerbeschule, die berüchtigte Prinz-Albrecht-Str. 8 - war weniger beschädigt als das benachbarte Kunstgewerbemuseum, das wieder aufgebaut wurde. Wäre das Gebäude erhalten worden, hätte es sich als idealer Platz für ein künftiges Museum über diesen historischen Ort angeboten.Man hat die Tabula-rasa-Methode der Nachkriegszeit, die systematisch alle Spuren vernichtete, aus dem Wunsch nach Verdrängung der NS-Vergangenheit erklärt. Festzuhalten ist, dass dieses Vorgehen auch bei Verfolgten und Antifaschisten auf keinen Protest stieß. Widerstandskämpfer wie der Dramatiker Günther Weisenborn und der Regisseur Falk Harnack haben bezeugt, dass sie sich nach 1945 für diesen Ort nicht mehr interessierten, man hatte andere Prioritäten. So kam es, dass sogar das Zellengefängnis, das die SS in den früheren Bildhauerateliers des Souterrains eingerichtet hatte, und dessen Mauern mit Sicherheit letzte Spuren seiner später hingerichteten Insassen aufwiesen, der Abrissbirne zum Opfer fiel.Niederschmetterndes ErgebnisJahrzehnte vergingen, bis der Stadthistoriker Dieter Hoffmann-Axthelm Ende der Siebziger an die Geschichte des vergessenen Geländes erinnerte, auf dem sich inzwischen eine Erdverwertungsfirma und ein Autodrom niedergelassen hatten. 1980, als das frühere Kunstgewerbemuseum (heute: Gropiusbau) für die große Preußen-Ausstellung restauriert wurde, machte die Internationale Liga für Menschenrechte in einem Offenen Brief an den Innensenator darauf aufmerksam, dass auf dem Nachbargrundstück die Gestapo-Zentrale ihren Sitz hatte und forderte, durch einen Gedenkstein oder eine Tafel (!) an diesen Ort des braunen Terrors und seine Opfer zu erinnern. Auch die Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten bat im Namen weiterer Verfolgtenverbände bescheiden, dem berechtigten Wunsch der überlebenden Opfer durch Einplanung einer Gedenkstätte beim Straßenbau Rechnung zu tragen. Dazu muss man wissen, dass die Stadtplanung über das Gelände, das sie zunächst als Landeplatz für Helikopter vorgesehen hatte, nunmehr eine Schnellstraße legen wollte. Auf den Gedanken, das ganze Areal als Gedenkort zu fordern, kam niemand.Wie nah man schon damals dem Konzept einer Lösung war, um die in den Folgejahren erbittert gestritten wurde, zeigte 1982 ein Antrag der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, der ein Mahnmal für alle Opfer des NS-Terrors forderte, verbunden mit einer Ausstellungs- und Forschungsstätte, in deren Zentrum die Shoah stehen sollte. Der Antrag fand die Zustimmung aller Parteien, aber die Senatsvorlage vom Juni desselben Jahres sah nur noch ein Mahnmal vor. Es sollte auf dem Grundstück des zerstörten Prinz-Albrecht-Palais´ errichtet, das übrige Gelände unbebaut belassen werden. Ein Hearing des Senats, das einen Wettbewerbs zur Gestaltung des "Prinz-Albrecht-Palais-Geländes" vorbereitete, führte zu keiner Korrektur der getroffenen Entscheidung.Ende April 1983 legte ich dann den im Kulturrat zusammengeschlossenen Verbänden im Namen einer Initiativgruppe den Vorschlag zur Gründung eines Aktiven Museums vor. Darin hieß es: "Eine Gedenkstätte, die diesen Namen verdient, kann nicht nur Mahnmal sein, sondern muss im Sinne politischer Aufklärungs- und Bildungsarbeit aktiv werden. Sie sollte, um ihre Aufgabe zu erfüllen, Archiv, Ausstellungs- und Arbeitsstätte, Veranstaltungs- und Kommunikationszentrum zugleich sein." Es ging um ein Aktives Museum, da ein Mahnmal, zu dem jeder Besucher politisch und historisch beliebige Bezüge herstellen konnte, dem Sinn einer solchen Gedenkstätte widersprach.Der vage und widersprüchliche Ausschreibungstext zum erwähnten Wettbewerb ließ viele Fragen offen. Misstrauen erweckte das Wort "Totalitarismus", weil es die Befürchtung nahe legte, hier solle der konkrete Bezug zum NS-Regime relativiert werden. Besonders problematisch erschien die Forderung nach Vereinbarung des Unvereinbaren - gewünscht war eine Gedenkstätte für die Opfer, aber auch ein Freizeitpark für die Berliner. Völlig offen blieb, welcher Aufgabe man Vorrang einräumte.Die Folgen zeigten sich an den eingereichten Entwürfen. Sie schwankten nicht nur unentschlossen zwischen Gedenkstätte und Erholungspark, sondern spiegelten auch die Ungenauigkeit der Vorstellungen vom Thema wider. Unkenntnis der historischen Fakten und mangelndes Geschichtsbewusstsein waren unübersehbar. Leere Theatralik und dumpfe Beklemmung dominierten. Es war, wie es Jurypräsident Eberhard Roters im Rückblick nannte, "ein niederschmetterndes Ergebnis". Daraufhin plädierte man für eine "Phase des Nachdenkens ohne Termindruck". Die Debatten in der Stadt über die Zukunft des Geländes gingen jedoch weiter. Das Aktive Museum, dessen Antrag auf Projektförderung abgelehnt wurde, veranstaltete zum 8. Mai 1985 auf dem Gestapogelände eine symbolische Aktion "Nachgegraben". Welche Pläne der Berliner Senat für das Gelände hatte, war unklar.Schließlich wurde Ende 1985 mit der Initiative zum Umgang mit dem Gestapo-Gelände ein weiteres Forum gegründet, das zahlreiche Persönlichkeiten und Einrichtungen des kulturellen Lebens vereinte. Zu den ersten Aktivitäten zählte ein Offener Brief an den Regierenden Bürgermeister. Eberhard Diepgen reagierte umgehend mit der Einladung zu einer Aussprache, die weitreichende Folgen haben sollte. Eine Erinnerung an das Haus der Wannsee-Konferenz, dessen Umwandlung in eine Gedenkstätte, wie in den Jahrzehnten zuvor, anlässlich des 40. Jahrestages der Konferenz 1982 erneut gefordert und vom Senat, der sich zu diesem Zeitpunkt dem Gestapogelände zugewandt hatte, abgelehnt worden war, wurde überraschend positiv aufgenommen. Wie sich herausstellte, hatte man diese Orte bislang als austauschbare Alternativen gesehen. Die Begründung, warum beide die gleiche Aufmerksamkeit verdienen, war rasch akzeptiert. Diepgen machte sich den Gedanken einer Trias der Berliner Gedenkstätten zu eigen, zu der auch die Gedenkstätte Deutscher Widerstand zählte, und vertrat diese Position von nun an auch in der Öffentlichkeit. Vermeidbares FiaskoDie provisorische Herrichtung des Geländes zur 750-Jahrfeier 1987, die Freilegung der erhaltenen Bodendenkmäler und der Bau einer Baracke neben dem Gropius-Bau, die einen Appendix der dort gezeigten Berlin-Ausstellung, eben die Topographie des Terrors, zeigen sollte, markierte den Wendepunkt. Es waren die Qualität dieser Dokumentation wie ihr großer Publikumserfolg (bis heute zwei Millionen Besucher), die keine andere Konsequenz erlaubten, als aus dem Provisorium eine Dauereinrichtung zu machen. Der Fall der Mauer, der das Gelände von der Peripherie ins Zentrum der Stadt rückte, verlieh dem Unterfangen zusätzlich Gewicht. Eine Fachkommission wurde berufen, um ein Nutzungskonzept zu entwickeln, eine Stiftung gegründet, ein Bauwettbewerb veranstaltet, ein erster Preis vergeben. Am 8. Mai 1995 feierte man in einem Festakt die symbolische Grundsteinlegung. Aber die Euphorie verflog schnell. Erst 1997 konnte mit dem Bau begonnen werden, nach zwei Jahren wurden die Arbeiten wieder abgebrochen.Die Baukosten hatten sich inzwischen fast verdreifacht, zusätzliche Mittel sind bisher nicht bewilligt. Die Eröffnung wird von Jahr zu Jahr vertagt. Die Gründe weisen auf ernste Probleme bei der Umsetzung des vom Senat aus Prestigegründen forcierten Entwurfs, eine verspätete Überprüfung der bautechnischen Durchführbarkeit und unrealistische Kostenprognosen, von mangelnder Beachtung der für künftige Nutzer unabdingbaren Funktionalität ganz zu schweigen. Die Stiftung der Topographie hat dieses Fiasko nicht zu verantworten, aber die Folgen zu tragen. In der Zwischenzeit hat sich die Berliner Gedenkstättenlandschaft fundamental verändert. Zwei Projektgruppen verfochten ihre Vorhaben so nachdrücklich, dass Land und Bund, in deren Planung sie nicht vorgesehen waren, sich zur Übernahme der Kosten entschlossen. Ein Resultat - das Holocaust-Mahnmal - wird womöglich noch vor der Fertigstellung des Topo-Baus zu besichtigen sein. Parallel dazu ist das Jüdische Museum, ursprünglich integraler Teil des Berlin-Museums, in wenigen Jahren zu einem Unternehmen sui generis angewachsen, das bisher mehr Fragen aufwirft als beantwortet.So ist im Stadtzentrum unvorhergesehen eine ganz neue Trias entstanden, innerhalb derer sich die Topographie nun behaupten muss, wobei die Qualität ihrer Arbeit im Ensemble der deutschen Gedenkstätten überhaupt nicht zählt. Während für die beiden anderen Großprojekte, die längst jeden Kostenrahmen gesprengt haben, offenbar unbeschränkt Mittel zur Verfügung stehen, fehlt hier das Geld, den Neubau fertig zu stellen. Und das bei jener Einrichtung, die als einzige mehr als 13 Jahre erfolgreicher Arbeit und ein schlüssiges Konzept für deren künftige Erweiterung vorweisen kann, die es nicht bei der Erinnerung an die Opfer belässt, sondern sich auf die Täter und ihre Taten konzentriert, das System, das sie möglich machte und die Gesellschaft, in der es entstand. Sie, die schließlich die Befehlszentrale, von der die verbrecherischen Pläne ausgingen, zum Ort und Thema ihrer Arbeit gemacht hat, ausgerechnet diese Topographie des Terrors muss nach wie vor darauf warten, entsprechend der nationalen Bedeutung und dem internationalen Rang behandelt zu werden, die sie sich bis heute erworben hat.Gerhard Schoenberner, Autor von Büchern (u.a. Der Gelbe Stern) und Filmen zur Geschichte des Naziregimes, war in den achtziger Jahren Vorsitzender des Vereins Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. und 1992 Gründungsdirektor der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz. Die vollständige Fassung dieses Textes erscheint im Gedenkstätten-Rundbrief Nr. 100.
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