Die Zeiten des Improvisierens und der wohlkalkulierten Bescheidenheit sind endgültig vorbei. Die Bonner Republik, die als wirtschaftliche Großmacht in ihren öffentlichen Bauten provinzielle Zurückhaltung übte und die, wie Günter Behnisch aus eigener Tätigkeit bemerkte, "Demokratie als ein mühseliges Geschäft betrieb", sie gehört zum Altenteil einer über 40 Jahre währenden Nachkriegsgeschichte. Gleichwohl, die Politik wie ihre Kritiker haben mit der Formel "Demokratie als Bauherr" ihre Probleme. Denn in solch einem Dialog liegt eine Brisanz, die auch in einem öffentlichen Diskurs nicht auszuräumen ist.
"Das Gleichgewicht des Menschen in sich selbst und das Gleichgewicht des Menschen mit dem Raum" wie Adolf Arndt in seinem
in seinem berühmten Aufsatz formulierte, setzt Kontinuität nicht nur in allen Phasen der Planung, sondern auch eine begleitende Funktion durch die Architekturkritik voraus. Die Bundesrepublik Deutschland hat durch die staatliche Vereinigung ihren politischen Einfluss vergrößert und die Befangenheit gegenüber staatlicher Selbstdarstellung weitgehend abgelegt. Doch verrät die Forderung nach einer "identitätsstiftenden Architektur" etwas von der inneren Unsicherheit, in welcher sich Staat und Gesellschaft befinden: Das sympathische Understatement der Bauten eines Sep Ruf oder eines Günter Behnisch wäre, auf die Berliner Verhältnisse übertragen, nicht frei von politischer Koketterie.Die Diskrepanz zwischen banalem Pragmatismus und hochfahrender Utopie ist nicht nur ein rhetorisches Problem. Wer sich heute auf das hohe Lied "Demokratie als Bauherr" beruft, den beschleicht ein leichtes Unbehagen. Der idealistische Ton, das Anmahnen von politischen Tugenden scheint den herrschenden Verhältnissen nicht mehr zu entsprechen. Und wenn der Staat in seinen programmatischen Vorgaben als Bauherr versagt, dann wäre es unbillig, vom Bürger Mündigkeit und Mitsprache bei der Unübersichtlichkeit von Planungsprozessen zu erwarten.In diesem triadischen System: Bauherr - Architekt - Öffentlichkeit ist der Architekt Nutznießer und Prügelknabe zugleich. Von ihm wird erwartet, die fragile Konstellation zwischen Staat und Bürger zu stabilisieren und eine Form zu finden, die sich vom Pathos monumentalen Bauens distanziert und statt verbrauchter Embleme ihre Glaubwürdigkeit aus der Geschichte bezieht.Ulrich Conrads nannte "öffentlich Planen eine Annäherung an die Utopie". Die Schwierigkeiten liegen auf der Hand, und sie sind im Laufe der Jahre angewachsen. Längst geht es nicht mehr um die Verfügbarkeit von Daten, vielmehr um ihre Umwandlung: Die Transformation von Zahlen, Zeichen, Fakten in die dritte Dimension. Das Dilemma: Wenn der Planungsstand veröffentlicht wird, sind die meisten Entscheidungen bereits gefallen; die Recherche der Kritik ändert daran nichts mehr. Blickt man zurück auf die Geschichte demokratischer Staaten, so trifft das Wort demokratisch nur auf wirklich wenige Staaten zu, die Parlamente für ihre Volksvertreter bauten.Das Missverhältnis zwischen Fassadenpomp und sachbezogener Parlamentsarbeit gehört zu den unaufgehobenen Widersprüchen, die die Geschichte der Parlamentsbauten in Europa begleiten.Was in der Wirtschaft leicht erscheint, das muss die "Demokratie als Bauherr" erst mühsam lernen: Offenheit und Vertrauen zurückgewinnen, um die wachsende Distanz zwischen Staat und Bürger abzubauen. Hält man weiterhin am Modell einer offenen Gesellschaft fest, dann muss dies auch für die Bauten des Bundes gelten.Noch ist das Verhältnis zwischen legitimer Repräsentation durch die Reichsstadtplanung eines Albert Speer belastet, die Angst, den städtebaulichen Maßstab zu verlieren, verständlich. Eine irritierende, immer wieder aufbrechende Identitätskrise, auf die Architekten wie Bauherren keine gemeinsame Antwort finden und die mit dem Einzug des Bundeskanzlers den alten Diskurs neu belebt.Es liegt in der Natur der Sache, dass ein 465 Millionen teurer Regierungssitz im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht: Macht braucht Anschaulichkeit, doch die Schalthebel bleiben den Bürgern verborgen. Es gehört zu den Aufgaben der Architektur, diese Schnittpunkte offen zu legen, die Bewegung von Innen nach Außen sichtbar zu machen.Der problematische Vergleich, die Dimensionen eines Bauwerkes mit dem Machtanspruch und dem Repräsentationsbedürfnis gleichzusetzen, führt zu einer weiteren Fehleinschätzung. Übertrüge man die städtebauliche Dimension des einen Kilometer langen "Band des Bundes" auf die politische Potenz der Bundesrepublik, so entstünde eine neue Großmachtkonstellation im europäischen Machtgefüge.Gleichwohl, das Preisgericht honorierte die unmissverständliche Geste lustwandelnder Machtentfaltung der Berliner Architekten. Es lobte nicht nur die "eigenwillige, kraftvolle städtebauliche Struktur", sondern auch die "mutige Selbstdarstellung, die dem demokratischen Staat gerecht wird". Obwohl Schultes und Frank mit dem "Band des Bundes" eine richtungsweisende städtebauliche Ost-West-Orientierung vorwegnahmen, gab es in dem 1994 veranstalteten Wettbewerb für die Architekten nur eine knappe Mehrheit.Die Fachöffentlichkeit, des Streites über das Reglement "kritischer Konstruktion" längst überdrüssig, entdeckte in der geschlossenen, städtebaulichen Figur eine Chance, dem Repräsentationsbedürfnis des Staates nachzukommen: Das stärkere Selbstbewusstsein eines Staates sollte in einer dominanten städtebaulichen Figur seine symbolische Entsprechung finden. Als 1995 Helmut Kohl als Bundeskanzler für Axel Schultes Entwurf votierte, waren die Konturen für das Regierungsviertel bereits klar umrissen. Das Kanzleramt: zwei lange Büroriegel an der Nord- und Süd-Allee; in der Mitte der Anlage ein gedrungener Klotz von 36 Meter Höhe, der die vorgegebene Raumhöhe durchbricht. Im neunten Obergeschoss, auf höchstem Niveau, die Privaträume des Kanzlers: Raumfluchten, die kaum bewohnbar sind. Wohnen und Regieren in einem Gebäude: Kein Wechsel der Maßstäbe, kein Rückzug in intime Räume. Stattdessen eine aufgeschnittene, bogenförmige Fassade mit einem Panoramablick auf die Metropole.Nicht nur der Kanzler, auch der Architekt sieht sich in globaler Verantwortung. Der stereometrische Bau atmet Erhabenheit, zeigt, dass seine schwelgenden, kurvenreichen Formen auf große Empfänge ausgerichtet sind, dass die Architektur sich der großen Oper nähert: Eine Architekturmaskerade, die statt tektonischer Gliederung auf Bildeffekte zielt.Hoch oben in der Loge des Kanzlers ahnt man etwas von der Kabalistik dieser Erhabenheitsarchitektur, die Bundesforum, Reichstag und Kanzlerkubus zu einem imaginären Dreieck bindet. Im Zentrum harte, flache Fensterschnitte, die die Kubatur dünnhäutig erscheinen lassen; nach Osten und Westen sich öffnende Fassaden, deren Höfe und Gärten genügend Raum für Peripatetiker lassen. Nach der Dramaturgie des Raumes eine Bühne der Philosophen, die nach den Redeschlachten im Parlament einen Ausgleich suchen.Politische Bauten verlieren durch das Protokoll ihren profanen Charakter. Doch eine Architektur, die Staatsräson allzu wörtlich nimmt, erliegt leicht der Versuchung, sich hinter Ritualen zu verstecken. Ihre Nähe zum Staatszeremoniell reizt die Neugier der Medien, die Räume als visuelle Ereignisse behandeln. Der Wahrnehmungsinhalt verlagert sich zugunsten des Bildes, raubt ihm die Vitalität, verwandelt Raumkörper in hohle Kisten. In Erinnerung bleibt eine harte Raumkante, die ein Gegengewicht zu Albert Speers Nord-Süd-Achse bildet. Sie ist zugleich eine scharfe Zäsur, die den Regierungsbereich vom öffentlichen Raum scheidet.Doch Schultes Entwurf folgt nicht einem rationalen Diskurs, sondern bevorzugt die spektakuläre Form der Unterhaltung. Seine imponierende, emotional aufgeladene Treppe, die über mehrere Geschosse sich bis zum Kanzlerhochsitz schwingt, huldigt dem barocken Auftritt nicht nur in ihrer Melodramatik. Preußischer Pietismus ist aus den Räumen verbannt. Was gewünscht und gesucht wird, ist eine parlierende Gesellschaft, welche die Mühen der Aufklärung hinter sich gelassen hat. Intern ein zwangloses Parlando, extern eine Zonierung in verschiedene Sicherheitsbereiche.Der Traum vom Raum: Axel Schultes und Charlotte Frank setzen unbeeindruckt von solcher Eingrenzung ihre Hoffnung auf die verbindende Kraft des Raumes. Ihr Entwurf birgt ein Versprechen: die gewonnene Einheit durch eine neue Ost-West-Achse zu verdeutlichen, ein 100 Meter breites und 335 Meter langes Band, das Büros, Gärten, Loggien und das Kanzleramt selbst an einer langen Raumkante zusammenfasst und den Spreebogen mehrfach schneidet: Aufbruch in eine neue Republik?Leiden an Deutschland, leiden an dessen Mittelmaß: Axel Schultes sucht nicht nur eine neue Dimension, sondern nach anderen Ausdrucksformen, um den philosophischen Exkurs zwischen Staatsmacht und Bürger neu zu beleben.Wer in dem städtebaulichen Entwurf die Handschrift des Bauherren erwartet, der wird enttäuscht. Die Elemente tektonischer Gliederung werden zugunsten einer theatralischen Großrauminszenierung zurückgenommen, und statt einer angekündigten Dramaturgie des Raumes wird ein Schaustück staatlicher Repräsentationskunst vorgeführt. Man mag es tragisch oder grotesk nennen: Der Traum vom aufgeklärten Staat zerbricht ausgerechnet an jener Scholle, auf welche die Architekten ihre größte Hoffnung setzten: Der Raum zwischen Kanzleramt und Abgeordnetenbüros bleibt leer, da das wichtigste Bindeglied zwischen Bürger und Staatsmacht aus dem Programm genommen wurde: Wie es scheint, wird das Bürgerforum nicht gebaut. Wer von dem Reichstagsplateau auf das "Band des Bundes" blickt, dem wird ein anderes Bild vermittelt: dünnschalige Baukörper, die schlanke Säulen tragen und flache Steindächer, die unter dem Diktat der Geometrie die nackte Kiste verraten. Die räumliche Solidarität des Bundes ist aufgekündigt: Der Kanzlerbau erscheint als Solitär, der die Gunst der Medien braucht, um über die inhaltliche Leere hinwegzueilen. Die Metropole Berlin setzt auf Events, die keiner inhaltlichen Klärung bedürfen.
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