Aus größerer Höhe ähnelt die weich geschwungene Linie einem riesigen Konzertflügel. Ein Implantat am Rande des Tiergartens, exterritorial und ein wenig befremdlich und doch von einer Souveränität, die jeden Einwand zur Sicherheit strikt von sich weist. Die Botschaften der fünf nordischen Länder: Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland und Island sind hier durch eine grüne Lamellenwand vereint. Fünf Botschaftsgebäude und ein außerhalb der Sicherheitszone liegendes Gemeinschaftshaus bilden ein ungewöhnliches Ensemble.
Architektur aus der Landschaft herausgeschnitten. Fünf souveräne Staaten, die sich einer gemeinsamen Idee verpflichtet fühlen, fünf einzelne Baukörper, die nachbarschaftlich zusamm
ich zusammenstehen und Distanz durch einen leeren Platzraum wahren: ein Novum, ein Modell für die Zukunft Europas? Denn was sonst als Wunschbild des Bauens gilt, ist hier, am Rande des Tiergartens, als überzeugendes, architektonisches Konzept verwirklicht worden. Ein kommunikativer Ort als Ausdruck von Planungskultur, formenreich in seiner architektonischen Sprache und doch in seiner Grundstruktur sachbezogen. Ein architektonisches und diplomatisches Kunststück, das die Grenze zwischen individiueller Freiheit und gemeinschaftlicher Verantwortung neu regelt.Die Berliner Architekturdebatte, die zwischen Glas und Stein seit längerem eine Art Glaubenskrieg über Stadtbild und Stadtraum führt, wird ihre festgefahrenen Positionen überdenken müssen. Die grüne Botschaftsinsel am Berliner Tiergarten beschreitet nicht nur architektonisch, sondern auch konzeptionell einen anderen Weg: das Verbindende von Kultur und Geschichte, von Landschaft und Architektur als eine vielfältige Einheit darzustellen.Dieser europäische, politisch sehr naheliegende Gedanke, nationale Identität nicht in Repräsentation oder gar in architektonischen Machtansprüchen auszudrücken, war vielleicht die wichtigste Grundlage für eine produktive Zusammenarbeit von Bauherren und Architekten.Doch der föderative Zusammenschluss der fünf nordischen Staaten hat auch eine längere Vorgeschichte. Seit gut vier Jahrzehnten haben sich die skandinavischen Länder in einem nordischen Rat zusammengeschlossen, so dass man das unkonventionelle Botschaftsgebäude durchaus als erfolgreichen Abschluss einer kontinuierlich verlaufenden Arbeit interpretieren kann.Für Berlin eine Bereicherung, für die Berliner Architekturdebatte ein wichtiger Impuls. Der preisgekrönte Entwurf des österreichisch-finnischen Architektenpaares Alfred Berger und Tina Parkkinen hat auf ganz unorthodoxe Weise festgefahrene Spielregeln über Sicherheitszonen widerlegt. Das Gesamtkonzept von Alfred Berger und Tina Parkkinen basiert auf einem ebenso einfachen wie anschaulichen Grundgedanken: das Gemeinsam-Verbindende symbolisch zu überhöhen. Das 15 m hohe, von Lamellen durchbrochene Kupferband wirkt wie ein weitgeschnittener Mantel, den man locker trägt. Nur am südlichen Eingangsbereich findet man eine offene Flanke, von der man die innere Anlage mit ihren herausgeschnittenen Baukörpern überblickt. Der leere, in Stein gefasste Platz nimmt die Schnittstellen der Gebäudefronten auf, schafft Flucht- und Raumbilder, die bildkräftig sind.Alfred Berger und Tina Parkkinen beschränkten sich dabei nicht auf das gewohnte Repertoire von Glas, Holz, Beton, Stahl und Stein. Die räumliche Grundstruktur ist wohldurchdacht und auch ein selektiver Schnitt verständlich. Die für die Architekten so wichtige Balance zwischen funktionaler Grundstruktur und emotionaler Ausstrahlung wird durch subtile Details wie durch eine sehr wohnliche, ganz auf den jeweiligen Raum zugeschnittene Möblierung erreicht. Die kleinen, bisweilen bis ins Intime ausgeformten Büro- und Arbeitsräume, die in ihrer sorgfältigen Detaillierung an Schiffskabinen erinnern, stehen in schroffem Kontrast zu den Fluchten und Schneisen des Platzes, der vergleichbar einem Binnenhafen eine Art Schutzfunktion für die Baukörper übernimmt. Mehr Bühnenraum denn intimer Platz, schließt der nach Norden schmaler werdende Raum mit einer Lamellenwand die Fluchten der aufgeschlitzten Fassaden ab.Die offene Südseite setzt mit einer Segeltuchüberdachung eine deutliche Zäsur zwischen dem internen Platzraum und der spitzwinkligen Piazetta, die als Vorplatz dem Gemeindehaus zugeordnet ist. Eine Fläche ohne Verbindlichkeiten. Der einzige Schmuck: Granitplatten und eingelegte Marmorstreifen, unterbrochen von flachen Bassins, die dem Platzraum Tiefe geben und das Licht der Glasfronten brechen. Ein Spiegel der Erinnerungen, nordische Wälder und Seenlandschaften, ein exterritorialer Raum. Die Weite des Nordens wird durch die Sichtachse eingesogen, die Topographie des Tiergartens wie durch ein Kaleidoskop in Einzelbilder zerlegt.Die Architekten Alfred Berger und Tina Parkkinen beleben mit den durchbrochenen Fassaden nicht nur das alte Spiel zwischen Innen- und Außenraum, sie wecken Neugier und Aufmerksamkeit, legen nahe, dass zwischen Bürgernähe und Sicherheitsbedürfnis - und im Gegensatz zur amerikanischen Botschaft am Pariser Platz - unkonventionelle Lösungen möglich sind. Ein Ensemble, das weit über den Ort hinaus Ausstrahlung besitzt.Die Architektur wirkt unmittelbar bereits durch eine verfeinerte Materialästhetik, die der Textur alle Oberflächenreize willig überlässt. Ein musikalisch anmutender Gesamt eindruck, eine nordische, klug durchkomponierte Symphonie in fünf Sätzen, welche die Klangfarbe der fünf Länder europäisch interpretiert. Ein Botschaftsensemble, das seine hoheitsrechtliche Funktion und seine kulturellen Ambitionen auf unprätentiöse Weise vereint.In dieser doppelten Verschränkung von Park und Landschaft, von Stadtraum und exterritorialer Insel tritt die gefasste Figur nicht als Hoheitsträger einer Staatsmacht hervor. Ihr mehr ziviler Habitus macht die Unterschiede zu den dahindämmernden Botschaftsgebäuden aus der Vorkriegszeit deutlich, ein Zeitsprung, der nachdenklich stimmt.Fragen drängen sich auf: ist es die Beiläufigkeit, der Takt, die kluge, ganz auf den Inhalt bezogene Entwurfsidee, oder die ungewöhnliche Synthese, dass die Architektur sich zu einer Dienstleistung verpflichtet fühlt?Schon in der Wettbewerbsausschreibung versuchte die Jury, das heikle Terrain zwischen Gemeinschaftsinteressen und individueller Selbstdarstellung zu klären, ein Prozess, der nicht zuletzt die städtebauliche Konzeption der Architekten beeinflusste. Doch die weitausschwingende Linie des kupfergrünen Lamellenbandes wäre ohne die Verdichtung der Innenräume, die nobel und zurückhaltend die nationalen Befindlichkeiten nicht nach außen tragen, bloße Attitüde, eine Geste, wie man sie aus der Zeit der Nachmoderne kennt.Alfred Berger und Tina Parkkinen, zuständig für den Masterplan, beließen den für die einzelnen Länder verantwortlichen Entwurfsarchitekten genügend Spielraum, um die nationalen Eigenheiten der einzelnen Länder bis ins Detail auszuloten. Mögen die allgegenwärtigen Lamellenschlitze das voyreuristische Spiel bisweilen auf die Spitze treiben, die Zweckmäßigkeit der Form, die ökonomisch eingerichteten Büroräume bilden ein sachliches Gegengewicht. Man kann dieses räumliche Szenario maßstabsgerecht auch nach außen übertragen. Auf eine komprimierte Innenräumlichkeit folgt die Leere eines streng abgegrenzten Außenraumes, auf die Geschlossenheit der Gebäude der überraschende Ausblick zum Tiergarten.Kommunikation intern, Kommunikation extern: Als Schaltstelle zwischen den fünf Botschaftsgebäuden erhält das an der Südseite gelegene Gemeinschaftshaus schon durch seine öffentliche Funktion eine herausragende Stellung. Als multifunktionales Gebäude angelegt, verbindet eine über mehrere Geschosse führende Glastreppe die auseinanderstrebenden Gebäudeflügel. Ein Forum für Empfänge und Ausstellungen, ein Nadelöhr als Zugang zum Botschaftsgebäude, ein interner und externer Treffpunkt, der Bürgern und Botschaftsangestellten gleichermaßen offensteht. Ein kühl inszenierter Raum aus Stahl und Glas, gemildert durch das Holz, dessen warmer Ton die Ausstellungsräume bereichert. Ist es die "bloße Idee des Nordischen Gefühls", wie einer der Juroren, Matti Mäkinen, vermutet, oder ist es vielleicht gar die unbändige Lust, der Freiheit mehr Raum zu geben, der Landschaft jenen kulturellen Wert einzuräumen, der über die Nomenklatur der achritektonischen Form nicht erreichbar ist? Eine Architektur, die sich an die Öffentlichkeit wendet, die aber auch im politischen Sinne wirken will: die Distanz verringern, die zwischen Bürgern und Staatsmacht noch immer besteht.
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