Rückblicke auf ein Jahrhundert Berliner Baugeschichte verlangen Augenmaß, um Utopie und Realität in ein natürliches Spannungsverhältnis zu setzen. Die mit Modellen, Zeichnungen, Plänen und Fotografien reich bestückte Ausstellung auf der Berliner Museumsinsel hat es jedoch schwer, sich gegenüber dem ruinösen Charme des Neuen Museums zu behaupten. So wirken auch einige der sich gegenwärtig im Bau befindenden Projekte wie perfekte Implantate, so als müsste die Idee ihren Hoheitsanspruch selbst in der Bauphase demonstrieren. Die Distanz zum Gebauten ist in die Ruinenlandschaft des Neuen Museums eingeschrieben. Absicht oder Zufall? Die ästhetische Konzeption der Ausstellung kränkelt an ihrem selbstverordneten Kunstvertrauen.
In neu
In neun Themenbereiche aufgeteilt, münden die Turbulenzen und Höhepunkte der letzten 100 Jahre Berliner Baugeschichte in einen preußischen Mainstream: Berlin in ständigem Aufbruch, aufregend und doch schon wieder museal, so dass man nach der Chronologie der Ereignisse die Gegenkräfte aus Wirtschaft und Verwaltung kaum vermisst. Eine Ausstellung für ein Fachpublikum, das sich weniger den Gesetzen des Marktes, sondern eher der Ästhetik verpflichtet fühlt.Josef Paul Kleihues und Paul Kahlfeldt, verantwortlich für die Gesamtkonzeption, suchten die unmittelbare Handschrift der Architekten, und so findet man virtuose Zeichnungen, informative Pläne und bisweilen atemberaubende Modelle. Erklärende Texte zu den einzelnen Themenbereichen fehlen, die geistige Aufarbeitung besorgt der Katalog. Texte, Manifeste, programmatische Deklarationen, was die kurze Rebellion der 68er Generation interessierte, sie fehlen ebenso wie die Kritik an städtebaulichen Fehlleistungen wie Gropiusstadt, Marzahn und Märkisches Viertel.Berlin, in Sachen Eigenwerbung nie sonderlich zimperlich, weiß, was es seinen berühmten Baumeistern schuldet. "Stadt der Architektur - Architektur der Stadt": zwei Wahrnehmungsweisen, die es erlauben, neben Einzelobjekten auch die städtebauliche Entwicklung zu betrachten. Kleihues und sein Kollege Kahlfeldt dokumentieren mit dieser Ausstellung ihre Anfälligkeit für Ideen. Ihr Geschichtsverständnis gilt der Vielfalt der Formen, eine Attitüde, die dem Geist der kritischen Rekonstruktion nicht immer entspricht. Eine Schau, die die Niederungen der Politik vermeidet und den neuen Sound der Metropole selten trifft.Die Herrschaft der Bilder, die Privatisierung des öffentlichen Raumes, die veränderten Kommunikationsformen der Großstädte: All die Probleme, die den Stadtplanern Sorge bereiten, sind im Regelwerk des neuen Bauens meist ausgeblendet. Der Ethos der Ausstellungsmacher gleicht dem Hohenlied auf die Ideengeschichte der Stadt, die gleichsam in der Architektur ihr eigenes Spiegelbild wiederfindet. Die Rückschau auf 100 Jahre Berliner Architekturgeschichte vollzieht sich nahezu emotionslos, so als könne man ein zurückliegendes Jahrhundert durch die Chronoloie der Fakten in ein neues überführen, um den apokalyptischen Visionen der Schriftsteller und Künstler das Beharrungsvermögen der Architektur entgegenzuhalten, ein Konzept, das der Stadt weder historisch noch politisch entspricht.Das Gespenst der drohenden Überbevölkerung der Metropolen ist hier ebenso gebannt wie das Chaos der Infrastruktur. Berlin, so suggerieren Kleihues und Kahlfeldt, steht trotz der Spannungen und Verwerfungen fest in der Tradition der europäischen Stadt. Doch die lebt von widerstreitenden Interessen, die öffentlich ausgetragen werden müssen. Die Eingriffe großer Kapitalgesellschaften sind ohne strukturelle Veränderungen der Infrastruktur nicht zu lösen. Verkehrsströme und Kapitalströme bestimmen das Stadtklima im öffentlichen Raum und klassifizieren Blockrandbebauung als lokales Thema."Die Stadt der Architektur", so wie es der halbe Titel der Ausstellung in neuer Selbstbescheidung verheißt, hat zu dem werbewirksamen Slogan die passenden Porträts gefunden. Wir wissen es: Es ist die Avantgarde, die Berlins Zukunft gestaltet. Die 66 großformatigen Architektenporträts im 1. Stock sind Gesichtslandschaften erfolgreicher, manchmal ruhmsüchtiger Architekten, die mit dem genius loci Berlins nicht zu tun haben. Internationalität ist eine Visitenkarte, die es gestattet, rund um den Globus das Gleiche zu bauen.Warum also die verspätete Architekturolympiade für ein so selbstbewusstes Spreeathen? Spätestens am großen Modell der Innenstadt sind die Abenteuer der Ideen aus dem Erdgeschoss verflogen. Die Frage steht im Raum: Berlin - eine Stadt der Architektur? Vielleicht liegt es an dieser hochmütig vorgetragenen Bescheidenheit, dass dem Abenteuer der Ideen die Enttäuschung der Kritik auf dem Fuße folgt.Noch gibt es andere Möglichkeiten, die Vitalität einer Metropole zu kennzeichnen: Berlin unterhalb der Traufhöhe, Berlin im täglichen Verkehrsstau, Berlin an einem Sonntagnachmittag im Park Glienicke. So betrachtet wäre die neue Hauptstadt eine fast normale Metropole, die hin und wieder an Identitätsproblemen leidet. Im Neuen Museum kümmert man sich um solche Befindlichkeiten nicht, man will mit dem Zeitgeist auf gleicher Höhe fliegen und segelt im Zeitvergleich der Metropolen doch hinterher.Stadt der Architektur-Architektur der Stadt. Neues Museum Berlin, noch bis 3.September 2000