Die Phantasie lebt, solange der Mensch lebt, der sich wehrt" (Peter Weiss)
Der Bildhauer Wieland Förster - ich habe es von der ersten Begegnung mit seinen Skulpturen empfunden, und er hat es in Gesprächen bestätigt - sieht und erschafft seine plastischen Arbeiten aus der Spannung existentieller Erfahrungen, die sich mit den Totalworten Leben und Tod, Eros und Chaos, Entsetzen und Schönheit fangen lassen.
Und es ist das Bestürzende und zugleich Befreiende, das uns bei ihrem Anblick packt, dass sie diesem großen Anspruch, den er in sie legte und zum Ausdruck bringen konnte, dass sie diesem Entwurf standhalten, ihn in seinen geglücktesten Figurationen erfüllen, also Gestalt werden lassen. Welcher Künstler kann das von seinen Projekten schon sagen?
Ich habe nach einer zutreffenden Definition für die Ästhetik von Försters Arbeiten gesucht und finde sie - in Variation zu "Ästhetik des Widerstands", wie Peter Weiss sie unvergesslich formulierte - in dem mir lebendiger erscheinenden Begriff von einer "Ästhetik des Widerstehens", der mir Wieland Försters Schaffen unmittelbar zu entsprechen scheint. Unter widrigen und günstigen Umständen des eigenen Lebens dem zu widerstehen, was dem Lebensentwurf, dem man glaubt folgen zu müssen, entgegenwirkt, was nicht weniger heißt, als allen Unbilden des Alltäglichen das Bleibende abzuverlangen. Mehr als vierzig Jahre Arbeit, nicht mehr und nicht weniger. Vierzig Jahre Kunst - das Bleibende.
Wieland Förster hat, krasser Einschnitt in seinem Leben, am Tage nach seinem fünfzehnten Geburtstag, an jenem 13. Februar 1945, den Untergang seiner Heimatstadt Dresden in Bombenhagel und Feuersturm erlebt. Er wurde 1946 vom sowjetischen Sicherheitsdienst - unschuldig - wegen angeblichen Waffenbesitzes zu 7 1/2-jähriger Zwangsarbeit verurteilt und war vier Jahre in einem Sonderlager bei Bautzen. Ich will das nicht kommentieren. Woher er die Kraft nahm, aus seinem ausgemergelten jungen Körper die Energie aufzubringen, danach an der Dresdner Kunsthochschule Bildhauerei zu studieren - ich weiß es nicht. Aber ich lese es seit Jahren seinen Steinen und Skulpturen ab, die die Spannweite zwischen Martyrium, Leid und Schmerz - also existentieller Bedrohung und ihrer Überwindung verkörpern (man sollte das Wort nachklingen lassen). Körper - und er beharrt auf ihrem Sinnbild - vom menschlichen Torso des Opfers und der Passion bis zum arkadischen Akt sinnlicher Befreiung und Schönheit, die vor unseren Augen Gestalt annehmen, was ein vager und nur annäherungsweiser Begriff ist für Försters vitale, Plastik genannten Gebilde, mit denen wir durch ihn konfrontiert werden.
Wieland Förster ist, seit wir uns begegnet sind - in seinem Berliner Atelier im Hinterhof der Greifswalder Straße, seit seiner ersten großen Ausstellung - nach Jahren der Behinderung und ersten Anerkennung, wie es euphemistisch heißt - im Refraktorgebäude der Astrophysiker in Potsdam, seit unseren Gesprächen mit Franz Fühmann, Erich Arendt, Paul Eliasberg, seit allen sporadischen Treffen über die Jahre hinweg, er ist und bleibt für mich ein Phänomen. Einer, der ohne ständige Arbeit, rastlos, als Bildhauer, Maler, Grafiker und Schriftsteller, also Poet dazu, nicht leben kann, sich dabei - und er hält damit keineswegs hinterm Berge - nicht im mindesten schont, sich, solange ich ihn kenne, eigentlich nie gesund fühlt, sich von Krankheit bedroht, in einem ständigen Willensakt eben nur in seiner Arbeit von diesem Druck und der Unzulänglichkeit des Körpers befreit. Hinfälligkeit, die er oft beklagt, der er aber immer widersteht und dann diese kühnen sinnlichen Zeichnungen, Einblicke genannt, diese Landschaftsentwürfe - Flug-Bilder und Labyrinthe - aufs Papier wirft oder in die raumgreifende Form bringt, diese Figuren, die er in einem autonomen Schöpfungsakt - allen Abbildungstheorien eines gängigen Realismus oder Vorgaben der Abstrakten zuwider - aus sich herausstellt: von der Großen Neeberger Figur bis zu den Torsen der Daphne und Nike aus den letzten Jahren - Personifikationen unwiderstehlicher, sieghafter Überwindung aller Bedrängnisse.
Daphne, nach der griechischen Sage, Tochter eines Flußgottes, entflieht dem Zugriff des allgewaltigen Apoll und verwandelt sich mit Hilfe erdgebundener Gottheiten in einen Lorbeerbaum, sich selbst behauptend, Weib und Natur in einem, wie Förster sie sieht. Er sagt, dass ihm jetzt alles souveräner von der Hand geht als früher, so eine Form herauszutreiben, sicher, weil er immer selbstgewisser über das ihm Widerfahrene und Erträumte verfügt: wie sich ein Körper als Natur darbietet, wie sich eine Landschaft in humaner Körperlichkeit entfaltet - ein Prozess, dem er in vielen Skizzen nachgeht.
Förster zitiert einmal den Satz Baudelaires: "Es ist das wunderbare Vorrecht der Kunst, dass das Schreckliche, kunstvoll ausgedrückt, zur Schönheit wird". Er kommentiert den Satz mit den Worten: dass "die eigentliche Tragik des Künstlers darin besteht, dass er Vollkommenheit anstrebend, selbst das Böse, das, was er zu geißeln gedenkt, zur ÂKunstschönheit treibt, und damit das Böse als ästhetischen Genuss darbietet".
Aber - heißt es am Beginn von Rilkes berühmter erster Duineser Elegie wie in Entgegnung zu Baudelaire:
Denn das Schöne ist nichts Ich sehe Wieland Försters Gebilde in ihrem Widerstreben zwischen solchen grundsätzlichen Antinomien. Die Verkörperung menschlichen Triumphs in der Adaption der griechischen Nike geschieht bei ihm als rauher Torso, als Fragment, das seinen schöpferischen Impuls nicht in Siegesfreude findet, mehr in der skeptischen Erkenntnis, wie sie Rilke am Schluss seines Gedichts "Der Schauende" findet: Die Siege laden ihn nicht ein. Wieland Förster sieht als Gleichnis für das vergangene Jahrtausend nicht Daphne und Nike, sondern den geschundenen Marsyas. Wieland Förster wird am 12. Februar siebzig Jahre alt. Försters Ausstellung "Arbeiten aus vier Jahrzehnten" ist in der Galerie Forum, Amalienpark Berlin-Pankow, zu sehen.
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören ...
Sein Wachstum ist: der Tiefbesiegte
Von immer Größerem zu sein.
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