Die beiden deutschen Regisseure Florian Borchmeyer und Matthias Hentschler haben Anfang 2006 in der kubanischen Hauptstadt einen polemischen Dokumentarfilm realisiert, in dem sich Havannas Innenstadt nicht so malerisch verfallen wie in Wim Wenders´ Buena Vista Social Club präsentiert, sondern als schlicht in Ruinen liegende. Diese Tatsache wird auch von offizieller kubanischer Seite nicht verschwiegen, mehr als die Hälfte der Gebäude in den zentralen Stadtteilen Centro Habana und Habana Vieja sind in schlechtem bis sehr schlechtem Zustand. Durchschnittlich alle zwei Tage fällt ein Haus in sich zusammen. Meistens können die Behörden die Leute noch rechtzeitig evakuieren, doch immer wieder kommt es auch zu tragischen Todesfällen. Aber Wohnraum ist in H
m ist in Havanna so knapp, dass sich in nicht wenigen Ruinen Menschen wohnlich eingerichtet haben.Fünf von ihnen porträtiert der Dokumentarfilm Havanna - die neue Kunst, Ruinen zu bauen. Er zeigt in sorgfältig komponierten Einstellungen unterschiedliche Stufen des Verfalls: Ein Parkplatzwächter lebt in einem eingestürzten, seit 30 Jahren geschlossenen Theater; eine junge Frau hat sich in einem ehemaligen Hotel eingerichtet, in dem gelegentlich Steine von der Decke fallen; ein Taubenzüchter lebt auf dem Dach einer einsturzgefährdeten, überfüllten Mietskaserne, während ein 80-jähriger ehemaliger Großbauer am Stadtrand auf jenem Teil seines verwilderten Grundstückes lebt, das ihm die Revolution seinerzeit noch gelassen hat. Als fünfte und zentrale Figur fungiert der Schriftsteller Antonio José Ponte, der sich selber als Ruinologe bezeichnet. Er erklärt im Film seine Faszination für die Ruinen seiner Heimatstadt und entwickelt dazu eine provokative Theorie: Fidel Castro legitimiere seine politische Macht, indem er sage, eine amerikanische Invasion stehe unmittelbar bevor. "Einen politischen Diskurs architektonisch legitimieren", nennt Ponte dann die Tatsache, dass Teile von Havannas Innenstadt aussehen als hätten sie einen Krieg hinter sich, hätte die US-amerikanische Invasion tatsächlich stattgefunden. "In diesem Sinne herrscht hier eine neue Kunst, Ruinen zu bauen", führt Ponte, der zur Zeit in Spanien lebt, seine Ausführungen weiter und bezeichnet Fidel Castro als "die Grosse Ruine dieses Landes".Es mag kaum verwundern, dass solche Polemik auch bei deutschen Kuba-Freunden nicht ohne Folgen blieb. In einem gehässigen Artikel in der Jungen Welt anlässlich der Premiere des Films am Filmfest München im vergangenen Juli ist Antonio José Ponte "nach eigenen Angaben Schriftsteller". Das ist infam. Der 1964 geborene Ponte gehört unter den in Kuba lebenden Literaten zu den bedeutendsten seine Generation. Immerhin hat er von Ende der 1980er Jahre bis ins Jahr 2003 - dem Jahr seines Ausschlusses aus dem kubanischen Schriftstellerverband UNEAC - in Kuba selber mehr als ein halbes Dutzend Bücher veröffentlicht, wurde außerdem auch in Frankreich, Spanien, Mexiko verlegt. Doch der Mechanismus, jemanden wie Ponte zum Schweigen zu bringen, funktioniert: Man erkennt ihm die künstlerische Qualifikation ab, verschweigt seine zahlreichen Preise und Auszeichnungen. Ponte formuliert es im Film so: "Du bist kein Intellektueller. Wo sind deine Bücher, deine Publikationen?"Die deutsche Botschaft hatte den Film ursprünglich in der von ihr geförderten "Werkschau des deutschen Films" im vergangenen Dezember auf dem Festival von Havanna (siehe Freitag 51/52,06) zeigen wollen, bekam jedoch kalte Füße, als sie im Vorfeld der Veranstaltung erfuhr, dass die Festivalleitung den Film auf eine Verbotsliste gesetzt hätte. Während die Filmemacher der Botschaft apeasement und Komplizenschaft mit der kubanischen Regierung vorwerfen, argumentiert Ulrich Lunscken, deutscher Botschafter auf Kuba, Borchmayer und Hentschler hätten aus Promotionsgründen darauf insistiert, dennoch die öffentliche Projektion des Films zu fordern.Es geht es in der Kontroverse aber ganz generell um die Frage nach dem Umgang mit Diktaturen: Soll man Druck machen und mit einem bestimmtem Auftreten riskieren, ein Regime vor den Kopf zu stoßen, oder soll man in vorsichtiger Aufbauarbeit kulturellen Austausch fördern? "Wäre ich Diplomat in Kuba, so wäre mir klar, dass man Havanna - Die neue Kunst, Ruinen zu bauen unter den herrschenden Bedingungen in Kuba nicht öffentlich zeigen kann", erklärte Antonio José Ponte dieser Tage gegenüber dem Freitag, fügte dann aber - ganz Dialektiker - hinzu: "Aber ich würde als Diplomat auch nicht an der Zensur teilnehmen".Havanna - Die neue Kunst, Ruinen zu bauen startet am 1. Februar in Berlin und kommt Ende März bundesweit in die Kinos.