Fragt die Ansichten: Wem nützt ihr?

Keine Graben-, aber Stellungskämpfe Über einige Strategiedifferenzen bei der Fusion von Linkspartei und WASG

Erfolge von Trotzkisten gegenüber Kommunisten vor Jahren bei der Präsidentenwahl in Frankreich und von Sozialisten gegenüber Sozialdemokraten jüngst in den Niederlanden zeigen, dass linkssozialistische Parteien in Europa vor ähnlichen strategischen Fragen stehen. Welches Verhältnis zwischen Regierungsteilhabe und Protestprofil bringt Erfolg? Wie groß ist ein vertretbares Maß an populären bis populistischen Elementen im Politikstil? Inwieweit soll mit der Sozialdemokratie kooperiert werden? Die Linkspartei.PDS führt diese Debatten seit Jahren, muss nun aber erfahren, dass sich bei der Fusion mit der WASG die Akzente verschieben. Das bisher geltende strategische Dreieck aus Protest, Gestaltung und Systemtransformation droht mit der sich verändernden Mitgliedschaft und deren politischen Zielen aufgebrochen zu werden.

Während die PDS ein umfassendes Transformationsverständnis von Sozialismus in der Einheit von Ziel, Weg und Wertesystem entwickelt hat, orientiert sich die WASG eher an Protestbewegungen gegen den sich derzeit vollziehenden - weitgehend neoliberal geprägten - sozioökonomischen Wandel. Auch würde kaum jemand in der PDS die Globalisierung pauschal als Kapitalismus bezeichnen und die Möglichkeit, dabei gestaltend einzugreifen, in Frage stellen. Hans Thie hat in dieser Zeitung auf die konzeptionellen Mängel der programmatischen Eckpunkte verwiesen, deren Ursachen sowohl im Politikstil, mehr noch im notwendigen Versuch der Kompromisssuche bei unterschiedlichen Positionen zu suchen sind. Die nach wie vor offenen Fragen betreffen zweifelsfrei Kernfragen moderner linker Gesellschaftspolitik. Dabei verhält sich die WASG zur gesellschaftlichen Regulierung wesentlich etatistischer und (sogar national-)staatsfixierter als die Linkspartei. Letztere orientiert sich nach dem Scheitern realsozialistischer Zentralplanung mehr an einem regulierten Markt und folgt einem Freiheitsbegriff, der Menschen das Recht einräumt, über ihre Lebensentwürfe frei zu entscheiden, auch was Umfang und Inhalt von Erwerbsarbeit oder die Integration in soziale Sicherungssysteme angeht. Zudem gehen die Vorstellungen von einer sinnvollen Staatsquote und dem Umfang des öffentlichen Dienstes auseinander. Die Linkspartei lässt sich eher auf eine flexiblere öffentlich geförderte Beschäftigung ein und hält bei öffentlichen Unternehmen vor allem auf betriebswirtschaftliche Effizienz. Auch will sie sich durchaus an der Norm Haushaltskonsolidierung messen lassen, selbst wenn das politische Zielkonflikte heraufbeschwört.

Ohne Zweifel ist das Auseinanderdriften der strategischen Linien von einiger Brisanz, eine Partei braucht Handlungsfähigkeit wie die Luft zum Atmen - das schließt eine möglichst einheitliche Sicht auf machtpolitische Optionen ein. Kein Wunder, dass sich die Neuauflage von Rot-Rot in Berlin als Vorlage anbietet, um den Dissens am konkreten Beispiel auszutragen. Während die Linkspartei.PDS sich darauf beruft, linke Reformpolitik auch unter schwierigen Bedingungen entwickeln und dabei auf eigene Ziele nicht verzichten zu wollen, folgt in der WASG das Urteil über Rot-Rot einem anderen Verständnis. Hier genießt eine erfolgreiche Parteiformierung Priorität, landespolitische Besonderheiten haben zurückzustehen, um die neue Partei als Ganzes nicht zu gefährden. Da im Moment die Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik eine authentisch linke Politik auf Landes- und Kommunalebene nur schwer zulassen, so die WASG mehrheitlich, sollte Zurückhaltung bei exekutiver Verantwortung geübt werden, um Wähler nicht über Gebühr zu enttäuschen und negative Außenwirkungen zu vermeiden. Wer sich an diese Kriterien hält, kann freilich Rot-Rot im Land der akuten Haushaltsnot nicht gutheißen.

Natürlich bleibt es für beide Partner unerlässlich, schon aus rationalem Kalkül den gemeinsamen Weg fortzusetzen. Für eine dauerhafte bundespolitische Existenz mit parlamentarischer Verankerung brauchen sich beide Parteien. Ein realistischer Blick auf die Größenverhältnisse bei Mitgliedern und Wählerschaft könnte allerdings helfen, nach geeigneten Politiklinien und Kommunikationsformen zu suchen. Bei weiter bestehenden politischen und kulturellen Unterschieden gibt es für beide Seiten nur einen akzeptablen Weg: Partnerschaftliche Koexistenz muss mit einem Wettbewerb der Konzepte korrespondieren. Eine solche Koexistenz sollte die Akzeptanz des strategischen Dreiecks mit reformpolitischen Regierungsoptionen auf der einen mit der Betonung eines bewegungsorientierten Widerstandes gegen die neoliberale Hegemonie auf der anderen Seite verbinden. Es dürfte eigentlich ein Allgemeinplatz sein, dass sich die Linkspartei.PDS als 25-Prozent-Volkspartei im Osten mit ihrem spezifischen Politikverständnis in der neuen Partei wiederfinden muss. Und das relevant, nicht nur als geduldete Minderheitenposition.

Der Wettbewerb um politische Strategien könnte doch eine willkommene Herausforderung sein, um gemeinsam durch die Praxis die besten Lösungen zu finden. Warum sollen künftig nicht Koalitionsfraktionen der Linkspartei in Hessen, Berlin oder dem Saarland mit Oppositionsfraktionen derselben in Dresden, Bremen und Schwerin über geeignete parlamentarische Wege streiten, um Interessen der Bürger gerecht zu werden und Wähler zu gewinnen? Gemeinsame Projekte sind der beste Weg, damit sich eine Partei als sozialer Organismus begreift. Mit der Mindestlohnkampagne oder den Debatten zu Gesundheitsreform und Grundsicherung sind erste Ansätze gemacht.


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