Das hätte sich der preußische General von Clausewitz nicht träumen lassen: seine um 1820 verfaßte Schrift Vom Kriege als Opernlibretto! Und auch Ernst Jünger hat seinen 1920 entstandenen Kriegsroman In Stahlgewittern kaum als Operntext konzipiert. Aber genau das sind beide Bücher für die Oper RAW des brasilianischen Komponisten Paulo C. Chagas, die vergangenen Samstag in der Bonner Bundeskunsthalle ihre Uraufführung erlebte. In Kooperation mit der Bonner Oper läuft dort seit zwei Jahren die bundesweit einmalige Reihe Bonn Chance!, die zeitgenössisches experimentelles Musiktheater auf die Bühne bringt.
RAW (umgekehrt lesbar als WAR) setzt sich mit der Faszination und den Schrecken des Krieges auseinander. Als Textmaterial benutzte der in
s Krieges auseinander. Als Textmaterial benutzte der in Köln lebende Chagas eine Collage aus den erwähnten Schriften von Clausewitz und Jünger sowie religiöser Lyrik des im heutigen Nigeria beheimateten Yoruba-Volkes, dessen Angehörige über Jahrhunderte in großer Zahl als Sklaven nach Brasilien verschleppt wurden.Drei Apologeten des Krieges: Clausewitz hing an der Vorstellung, man könne den Krieg verwissenschaflichen und zivilisieren, gleichsam Regeln für das Töten und die Zerstörung schaffen. Jünger hoffte, im Kampf mit dem Feind sich und seiner Generation Lebenssinn und -inhalt geben zu können. In seinen Texten vermischt sich die Tendenz zur Verherrlichung des Krieges mit der nüchternen Beschreibung der damit verbundenen Greuel. Ogun, für die Yoruba Gott des Krieges und des Eisens, verkörpert gleichzeitig Macht, Kreatvität und Destruktion.Für den Komponisten Paulo C. Chagas ist dieses Jahrhundert das Jahrhundert der Kriegsbegeisterung. Provozierend stellt er fest, daß der Enthusiasmus, mit dem Jünger und seinesgleichen in den Ersten Weltkrieg zogen, auch am Ende des Jahrhunderts wirksam sei. Gewalt zur Erringung von Macht und wirtschaftlichen Vorteilen wie zur Durchsetzung von Ideen, sei weiterhin die ultimo ratio.Chagas nennt RAW im Untertitel Techno-Oper. Die auftretenden Assoziation etwa zum Genre »Rock-Oper« führen in die Irre. Techno-Fans werden ihre bevorzugte Musik nur sehr bedingt wiederfinden. Für Chagas ist Techno die erste Populär-Musik, die sich mit der technischen Art des Musikmachens beschäftigt. Seine Auseinandersetzung damit besteht vor allem in der Instrumentierung der Oper, die einzig aus unterschiedlichen Schlagzeugen und Synthesizern besteht. Dies erzeugt eine ungeheure rhythmische Intensität (vom Bonner Kapellmeister Lothar Königs und Mitgliedern des ehrwürdigen Orchesters der Beethovenhalle überzeugend realisiert) und erinnert entsprechend an Techno, aber auch an den rituellen Klang von Kriegstrommeln. Im Spannungsverhältnis zum phasenweise fast ekstatischen Klang der Percussionsinstrumente steht der Wohlklang der Stimmen, stilistisch zwischen 19. Jahrhundert und klassischer Moderne anzusiedeln. Besonders die Passagen des Soldaten (Peter Marsch) und des Generals (Dietrich Volle), die die Texte von Clausewitz und Jünger intonieren, kommen dem klassischen Belcanto sehr nahe. Ein eigenartiger, aber adäquater Verfremdungseffekt ergibt sich durch die elektronische Verstärkung der Singenden, die durchweg überzeugen. Stark sowohl von der Anlage als auch von der Darbietung die Verarbeitung der Yoruba-Lyrik: Der Kriegsgott Ogun ist durch einen Tänzer (Tchekpo Dan Agbetou) dargestellt, den Gesangspart übernehmen drei Frauen (Birgit Beer, Ann-Christine Larsson und Susann Végh). Sie huldigen und umsorgen Ogun, der im Verlauf der Oper von einer martialischen Gestalt zum Handelsreisenden in Sachen Krieg mutiert. Damit entwirft Chagas auch seine Sicht der weiblichen Rolle im Krieg, die über die passive Opfer-Rolle hinaus auch eine aktive, das Geschehen mit vorantreibende ist, indem sie das männliche Kriegsgebaren verstärkt und flankierend absichert.Der Regisseur und Bühnenbildner Gerald Thomas, US-Amerikaner deutsch-jüdischer Abstammung, bemühte sich, die von Chagas implizierte Ambivalenz im Verhältnis zum Krieg in seiner Bildsprache gar nicht erst aufkommen zu lassen. Seine Botschaft lautet eindeutig »Krieg ist Wahnsinn«, und die, die ihn organisieren und führen, sind verspielte, aber höchstgefährliche Würstchen. Sie kommen sich toll vor und sinken im nächsten Moment ins heulende Elend, wenn sie sehen, was sie anrichten. Neben Sängern und Sängerinnen und dem Tänzer sind weitere sechs Figuren auf der Bühne, die zunächst im Hippie-Look rumhängen. Bald lassen sie sich von den kriegerischen Akteuren faszinieren und tauchen als Kriegsmanager mit Aktenkoffer und Sortimenten von Handfeuerwaffen wieder auf. Die Assoziationen zum Ex-Hippie Clinton und dem bundesdeutschen Kanzler und seinem Außenminister liegen auf der Hand.Agiert wird auf einem von Medien beherrschten Schlachtfeld. Überall stehen auf Torferde laufende Fernseher mit aktuellen Programmen, die Talks- und Spielshows, Revuen und Dokumentationen, sowie Nachrichten über den realen Krieg in Jugoslawien präsentieren. Das Nebeneinander vom gewalttätigen Geschehen auf der Bühne und der Alltagstrivialität auf den Bildschirmen, spiegelt, wie die gesamte Inszenierung, drastisch die Aktualität wieder. Mit der Produktion von RAW zeigte die Bonner Oper, was zeitgenössisches Musiktheater zu leisten in der Lage ist. Glückwunsch!Weitere Vorstellungen: 5. Juni, 6. Juni (jeweils 22.30 Uhr, Forum des Bundeskunsthalle Bonn)