Die überschuldete Mediengruppe Kirch ist eigentlich bankrott. Zu einem Konkurs wird es zwar nicht kommen, denn daran hat keiner der Beteiligten ein Interesse. Die Frage ist aber, wie die deutsche Medienlandschaft nach einer Neuordnung bei Kirch aussehen wird. Im schlimmsten Fall geraten Sat.1 und Pro 7 sowie die Bild-Zeitung unter den Einfluss der rücksichtslosesten internationalen Medienmogule.
Wenn es jetzt nicht klappt, gibt es keine Entschuldigung mehr." Dieter Hahn, Stellvertreter und designierter Nachfolger Leo Kirchs als Konzernchef, war im Herbst 1999 noch sehr optimistisch. Vorangegangen war ein Neuanfang beim Abonnentenfernsehsender Premiere World, nachdem Bertelsmann seine Anteile an Kirch verkauft und dieser die aufgelaufenen Verluste von 2,5 Milliarden Euro auf Null a
lliarden Euro auf Null abgeschrieben hatte. Inzwischen sind zweieinhalb Jahre vergangen und es hat nicht geklappt. Trotz größter Anstrengungen meldet der Abokanal nur 2,4 Millionen Kunden und damit eine Million weniger als geplant. Hoch sind nur die Verluste: etwa 800 Millionen Euro im vergangenen Jahr, rund vier Milliarden seit der Gründung. Premiere World gehört Leo Kirch allerdings nur noch zu gut zwei Dritteln. Zweitgrößter Eigner ist mit 22 Prozent der australisch-amerikanische Medienherrscher Rupert Murdoch. Dass Kirch ihm diese Anteile verkauft hat, war aus der blanken Not geboren: Sein Konzern stand Ende 1999 am Abgrund. Murdoch hat die Lage ausgenutzt und sich Klauseln in den Vertrag schreiben lassen, die ungewöhnlich waren. Es wurden genaue Geschäftsziele festgelegt: 2,9 Millionen Abonnenten bis Ende 2000, 4 Millionen bis Ende 2002. Sollte das nicht erreicht werden, würde Murdoch seine Anteile zum Einkaufspreis plus Zinsen zurückgeben können. Diese Option hat Murdoch zum Jahresende angemeldet. Und deshalb braucht Kirch 1,8 Milliarden Euro, die er nicht hat. Denn erstens lebt man in Ismaning, dem Sitz der Kirch-Zentrale, schon seit Monaten quasi von der Hand in den Mund, und zweitens ist Murdoch nicht der einzige, der die Hand aufhält. Eine Woche vor Murdoch hat der Springer-Verlag eine ähnliche Option für Ende März eingelöst. Es geht um 767 Millionen Euro für ein 11,5-Prozent-Aktienpaket an der Pro7-Sat1 Media AG. Kirch bestreitet allerdings die Gültigkeit der Option und will dagegen klagen. Zusätzliche Würze erhält der Vorgang dadurch, dass der Springer-Konzern zu 40,1 Prozent der Kirch-Gruppe gehört. Darüber hinaus gibt es weitere Verpflichtungen: Ende April wird ein Kredit der Dresdner Bank über 460 Millionen Euro fällig; die Bank will nicht verlängern. Für weitere 5 Milliarden Euro Bankschulden müssen die Zinsen aufgebracht werden. Im Spätsommer sind 350 Millionen Euro für die Übertragungsrechte an der Fußball-Bundesliga fällig. Und pro Jahr muss die Kirch-Gruppe rund eine Milliarde Euro nach Hollywood überweisen. Damit werden Filmrechte für Premiere World bezahlt. Mit 360 Millionen ist Kirch derzeit im Zahlungsverzug. Seitdem die Krise bei Kirch offen ausgebrochen ist, formiert sich ein erstaunliches Bündnis: Bundeskanzler Gerhard Schröder, sein Rivale im Wahlkampf Edmund Stoiber, die kreditgebenden Großbanken mit der Deutschen Bank an der Spitze sowie diverse deutsche Medienkonzerne, insbesondere Bertelsmann. Sie alle machen sich Sorgen um den Medienstandort Deutschland - diesmal allerdings nicht wegen angeblich mangelnder Anziehungskraft für ausländisches Kapital, sondern um eben dieses Kapital fern zu halten. "Stoppt Murdoch!" heißt die inoffizielle Devise. Rupert Murdoch würde Premiere World gern übernehmen und in sein weltweites, satellitengestütztes Abo-Fernsehnetz (Star-TV) eingliedern. Aber das wird ihm nicht reichen. Er will sich nach mehreren erfolglosen Versuchen - mit tm3 und Vox - endlich auf dem deutschen Markt für werbefinanziertes Fernsehen festsetzen. Um das zu erreichen, hat er wirksame Druckmittel. Kirch hat nämlich mit den großen Hollywoodstudios langfristige Lizenzverträge über Spielfilme für Premiere World abgeschlossen. Wenn Murdoch sich weigert, sie mit zu übernehmen, müsste die Kirch-Gruppe pro Jahr rund eine Milliarde Euro für Senderechte überweisen, die sie gar nicht nutzen kann. Also wird man Murdoch entgegen kommen müssen. Und so wird ein schauderhaftes Drehbuch sichtbar, in dem weitere Figuren ihre Rolle spielen. Unabhängig von der Kirch-Krise ist im Sommer 2001 ein bis dahin unbekannter Mitspieler auf dem deutschen Medienmarkt eingestiegen: John Malone, Chef von Liberty Media aus Denver. Er will der Deutschen Telekom deren Fernsehkabel in 13 von 16 Bundesländern abkaufen und zwar für 5,5 Milliarden Euro. Das Bundeskartellamt denkt über ein Verbot nach, denn das Geschäft hat es in sich: Wer das Kabel beherrscht, kann bestimmen, welche Sender zu welchen Bedingungen eingespeist werden. Der Medienstaatsvertrag schreibt nur vor, dass ein Drittel der Kanäle für öffentlich-rechtliche und regionale Sender reserviert werden muss, ansonsten sind die Kabelbetreiber frei. Eben deshalb hat das Bundeskartellamt bislang jeden Versuch unterbunden, Kabel und Fernsehsender in einer Hand zu vereinen. Bei Liberty Media wäre das der Fall. Der Konzern ist jetzt schon an den Fernsehsendern Discovery Channel (25 Prozent) und QVC (43 Prozent) beteiligt. Und er ist mit 18 Prozent zweitgrößter Anteilseigner an Rupert Murdochs Konzern News Corp. Es liegt auf der Hand, dass Liberty Media als Betreiberin der Fernsehkabel eigene oder verbundene Sender bevorzugen und konkurrierende benachteiligen könnte. Wären die Kirch-Sender unter Murdochs Einfluss, dann kann man sich ausmalen, wie die Gewichte auf dem deutschen Fernsehmarkt verschoben würden. Trotzdem kann das Geschäft durchaus zustande kommen. Die niedersächsische Landesregierung macht sich offen dafür stark und die bayerische würde den Kauf ebenfalls gerne sehen, weil Liberty die Firmenzentrale in München ansiedeln möchte. Selbst wenn Malone stur bleibt, keine Zugeständnisse macht und das Bundeskartellamt den Kauf untersagen sollte, könnte Bundeswirtschaftsminister Müller das Verbot mit einer Ministererlaubnis aufheben. Das ist durchaus zu befürchten, denn die Deutsche Telekom hat die 5,5 Milliarden Euro schon fest eingeplant und käme in Schwierigkeiten, wenn das Geschäft platzen würde. Ein erneuter Kurssturz der Telekom-Aktie käme der Bundesregierung im Wahljahr höchst ungelegen. John Malones Liberty Media ist nicht nur mit Murdochs Konzern verbunden. Dem Mann aus Denver gehören auch 3,6 Prozent am drittgrößten Medienkonzern der Erde, Vivendi-Universal mit Sitz in Paris. Dessen Präsident Jean-Marie Messier ist von Liberty Media sehr angetan. Im Dezember 2001 meinte er: "Unsere beiden Unternehmen ergänzen sich. Ich denke, eine Allianz mit Liberty Media wäre die beste Strategie für Europa." Eine solche Allianz würde automatisch Rupert Murdoch einschließen, denn nicht nur Malone ist mit diesem direkt verbunden, sondern auch Vivendi-Universal. Murdoch betreibt den britischen Abosender BskyB, und an diesem ist der französische Konzern mit 15 Prozent beteiligt. Außerdem betreibt Vivendi-Universal selbst den französischen Abosender Canal Plus. Premiere World würde dazu gut passen. Ob es zu einem solchen Bündnis kommt, ist nicht vorherzusagen; ebenso wenig, welche Rolle Leo Kirch dabei spielen würde. Das Szenario ist aber nicht weniger plausibel als die oben geschilderte "nationale Lösung", an der in Berlin und München gebastelt wird. Es würde dazu führen, dass die deutsche Medienlandschaft binnen kurzer Zeit nicht mehr wiederzuerkennen wäre. Zwar ist auch die aktuelle Situation alles andere als erfreulich: Kirch und Bertelsmann teilen den "freien" Fernsehmarkt unter sich auf, und Springer verkauft 80 Prozent aller Boulevardzeitungen. Gegenüber dem, was sich abzeichnet, ist aber selbst dieser Zustand noch verteidigenswert. Es ist nicht nationale Borniertheit, sich gegen eine Machtübernahme der Murdoch, Malone und Messier zu wehren, sondern ein Gebot der demokratischen Selbstverteidigung. In anderen Ländern, nicht zuletzt den USA, wäre dergleichen wegen der strengeren Mediengesetze ohnehin nicht möglich.
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