Es begann mit einer doppelten Negation: Wer nicht gegen mich stimmt, stimmt für mich. So zumindest lässt sich die Logik des bejahten Misstrauens, das kein negatives Vertrauen sein soll, jenseits der Debatten um formale Legalität und politische Legitimität auch als ein prognostisches Dilemma verstehen. Die bevorstehende Wahl ist zuerst die Negation älterer Wahlen, es sieht so aus als liefe die Neuwahl für viele Wähler schlichtweg auf eine Abwahl hinaus: die Landtagswahl in NRW ist Anlass und Vorbild. Es mag viele Gründe politischer Geschicklichkeit gegeben haben, sich am Wahlabend medienwirksam so in Szene gesetzt zu haben, dass die CDU-Wahlsieger negativ überschattet wurden vom staatsmännischen Coup, der sich am Modell des Elfmeters auf dem Fußballfeld zu orientieren scheint. Eine vom Gegner abgetrotzte extra Torchance, die eine eigene Zeitöffnung einschließt. Die weniger sportlichen Wähler allerdings sehen sich nicht ganz so gerne von Trainer Müntefering in aufmerksame Stellung gebracht, um beim Solo-Schuss zu assistieren. Mehr denn je wird die Wahlentscheidung in den Sog der Negation gezogen.
"Geht nicht, gibt´s nicht." Ob das eine zündende Parole ist, kann ich nicht sagen, auf alle Fälle kokettiert sie mit einer doppelten Negation, aus der heraus mit preußischem Pathos den Lahmen Feuer unterm Hintern gemacht werden soll. Die Kleingläubigen sollen vom Händeringen der besorgten Mutter zurück zum wahren Glauben geführt werden. Ob diese Parole von Angela Merkel sich untergründig an die Zauderer richtet, die nicht wissen, wohin die Reise gehen soll und sich darum kein passendes Ticket besorgen konnten? - sind diese es, die Paul Kirchhof mit gepflegt sonorer Stimme darüber aufklären möchte, dass er der einzige mit einem neuen Programm ist? Ein Prophet der Gleichheit gar, der sein Programm als milde Gabe vom höchsten Richter an die Unwissenden wie warme Suppe ausgibt, die den Vorteil hat, dass man sie schlucken kann auch ohne den silbernen Löffel aus dem Mund zu nehmen.
Es scheint so, als sei die doppelte Negation das Übertrumpfungsprogramm zur negativen Wahl, die ansteht. Es soll Schwarz gewählt werden, damit Rot-Grün verschwindet, es soll Rot gewählt werden, damit Schwarz-Gelb verhindert wird; oder die Linkspartei will gewählt werden, weil man das "mit uns nicht machen kann", was die großen Parteien gemacht haben oder machen wollen. Und die FDP verkündet froh Programme, von denen auch schon klar ist, dass sie in keiner Koalition nirgends realisiert werden, auch dann nicht wenn Paul Kirchhof, der sein Modell zuerst der FDP erläutert hatte, dies nun als CDU-Finanzminister nicht realisieren wird.
Natürlich ist es nichts Besonderes, dass Wahlen mit Versprechen gewonnen werden, die an Dringlichkeit verlieren, je weiter weg der Wahltermin gerückt ist. An dieser Wahl ist aber verblüffend das Ausmaß, mit dem alte Hüte aus frisch geschlachteten Kaninchen gezogen werden. Die CDU will die FDP-Steuerreform Kirchhofs auf Fahnen schreiben, hinter denen niemand steht. Die SPD findet auf dem Wahlparteitag zurück zum Männergesangsverein und wünscht sich selbst ein dreifaches "Glück auf" der Steiger kommt, auch wenn es weder Kohle zu fördern noch zu fordern gibt, die alten Gesichter unter den Spielmannszughauben keine Zukunft versprechen können und mit den Tambourmarjoretten anderer Großveranstaltungen auch nicht so recht mithalten können. Mein lieber Herr Gesangsverein, grummelt es da in einem, so ist das also mit den Traditionen.
Die Linkspartei hat es da relativ einfach, sie setzt sich als Metanegation aller anderen auf den Trend drauf, ist mit niemandem gemein und hält sich darum für etwas Besseres. Wenn Lafontaine seine populistischen Treffer nach Rechtsaußen anspielt, soll das etwas jupiterartig anderes sein, als wenn ein gewöhnlicher Ochse vorm Scheunentor gedroschenes Heu frisst. Alles in Allem ist dieser Wahlkampf eine Mischung aus Gähnstrecke, spannungslosem déjà vu und Retrolook. Kohl´s Mädchen firmiert auf den Negativklebern auf den CDU-Plakaten als "Honeckers Rache", und Wowereits Grußworte an ein paar Ledermänner und Gummifetischisten, die eigentlich alle bereits aus den Talkrunden der Privatsender bekannt sein dürften, werden von Bußpredigern gegeißelt, die ´68 als den Ausbruch einer destruktiven Kulturrevolution sehen, wie es zuletzt nur ´68 selbst stattfand. Die nekrösen Ränder des Wertezerfalls werden mit Kernseife gesäubert und von Frauen gesund gepflegt, die innerlich nicht zerfressen sind. Die neuen Frauen der CDU erwecken den Eindruck, dass das eigene Verhältnis zu Kindern vor allem ein Werteverhältnis ist, in das man sich einschreibt. Wie im quer und queer dazustehenden radikalen Konstruktivismus eines bestimmten Flügels der feministischen Theorieszene scheint der Körper eine Abstraktion zu sein, Mutterschaft eine extremes Konstrukt von Außen als Wert verinnerlicht. Das Drama der Unverfügbarkeit des Körperlichen wie es in der ungewollten Kinderlosigkeit, in den Adoptionsfällen oder negativ in Abtreibung und Kindesmisshandlungen aufscheint, wird einmal mehr als reines Werteproblem gesehen. Gehen für die Einen "Jute und Rute" eine unheilige Allianz ein, so für die Anderen liberale Selbstbestimmung und Wertetraditionalismus eine Mesalliance von Gottes Gnaden, auch wenn hier weder zusammengehört, was zusammenwächst, noch zusammenwächst, was zusammengehört.
Wahlen sind ein Problem auch von Entscheidungen, also Entscheidungen auch da treffen zu müssen, wo es keine positiven Alternativen gibt, nur Negatives gegeben ist. Darin steckt ein pragmatischer Kern, der nicht nur zu schmähen ist, auch wenn es bisher so klang. Auch die negative Wahl basiert auf Überzeugungen, die Entscheidungen in die eine oder andere Richtung akzentuieren. Man muss kein Anhänger der negativen Theologie sein, um zu ahnen, dass wir nicht um eine Überzeugung herum kommen. Wenn es aber keine positive Wahl gibt, muss man die Gründe für die negative Wahl abwägen.
Ein mögliches Szenario ist das Folgende: Das schlimmst möglich zu erwartende Ereignis wäre die absolute Mehrheit für Schwarz/Gelb, also sollen alle Handlungsimperative darauf ausgerichtet sein, dies zu verhindern. Es empfehlen sich drei mögliche Wahlalternativen in alphabetischer Reihenfolge: die Grünen, Linkspartei, die SPD. Alle Parteien, die nicht sicher über die fünf Prozent Hürde kommen, fallen aus dem Spiel heraus. Nun kommt die zweite Stufe der Entscheidung: welcher der drei Alternativen soll man den Vorzug geben? Auch hier lassen sich strategische Überlegungen anstellen: wer eine große Koalition als einer merkwürdigen Zwischenlage zwischen Gewinnen und Verlieren vorzieht, kann für die Linkspartei stimmen, um die SPD so weit zu schwächen, dass sie auf keinen Fall wieder in eine rotgrüne Koalition eintreten kann und in die große Koalition gezwungen wird. Wer für eine große Koalition ist, kann aber auch für die SPD stimmen, da ein ausreichender Stimmgewinn für die jetzige Koalition doch eher fern zu sein scheint. Aber neben den Spielern unter den negativen Wählern gibt es natürlich auch Parteimitglieder, -anhänger und andere Traditionalisten, die nach positiver Überzeugung wählen und nur dadurch auffallen, dass sie diese tatsächlich in einem der annoncierten Parteiprogramme wieder erkennen können. Mir will das nicht gelingen, - da es aber gegen meine Überzeugung ist, nicht zu wählen, wird es wohl zu einer negativen Wahl kommen - oder doch nicht? Honecker möchte ich sowenig wie seine Rache, und vielleicht doch auch lieber die Verräter der Sozialdemokratie als ihre Rächer, die sie beim Leichenschmaus beerben wollen? Und die Grünen - eine bekömmliche Exit-Option, wenn sonst gar nichts mehr geht. Wird von ihrer Energie wenigstens der Wind bleiben, der durch sie weht? Ist das "Ja zu Joschka" die positive Antwort auf die Negationsspirale? Auch der Mut der Verzweiflung sollte einen nicht dazu bestimmen, Personen statt Parteien und Programme zu wählen - und für die Grünen sprechen ohnehin noch genügend Gründe. Wenn sie weiter so viele Stimmen verlieren am Ende auch der negative Grund, dass man nicht will, dass gerade sie verschwinden, denn das haben sie auch nicht verdient.
Die große Casting Show "Wir wählen Deutschlands beliebteste Kanzler" fand dann im TV-Duell statt, dessen journalistische Begleitung der interessanteste Teil war. Experten, die gut geplante Umfragen unter den Zuschauern machen, liefern den Soziotext, während die Journalisten ihre eigene Meinung zu machen versuchen. Eklatant lagen hier die Einschätzungen auseinander: waren die Journalisten nicht von der Wunschmeinung weg zu bringen, dass Merkel der Überraschungssieger des Duells sei, hielten die expertenbefragten Zuschauer den Titelverteidiger Schröder in allen Punkten und der Gesamtwertung für überzeugender. Aus dem TV-Duell konnte man zwar wenig Neues über die Programme erfahren, aber so doch einiges über die Meinungskonstruktion. Am Ende hat man aus den Befragungen etwas über die Meinung der "Menschen, da draußen", viel aber über die Persönlichkeiten im inneren Kern der Medien in Erfahrung bringen können. Ihr Urteil zumindest war ihre eigene Meinung. Für die Wahlentscheidung der "Menschen da draußen" sollte die nicht unbedingt entscheidend sei. Am Ende wählt man dann doch Rot/Grün in welcher Konstellation auch immer - aus einem negativen Grund: sie haben wenigstens noch ein schlechtes Gewissen wegen der Politik, die sie, auch das hat das TV-Duell ungewollt zum Teil demonstriert, in weiten Teilen schon längst als große Koalition gegen den Sozialstaat unternommen haben.
Gertrud Koch, geboren 1949 in Garmisch, ist seit 1999 Professorin für Filmwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Veröffentlichungen zu Demokratie - Öffentlichkeit - Medien. In Kürze erscheint beim Reinbeker Rowohlt-Verlag ihr Buch: Edelweiß. Meine Jugend als Widerstandkämpferin.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.