Nur zwei Töpfe braucht man“, sagt Howtopedia-Gründerin Maud Châtelet und strahlt, während sie erklärt, wie der Wüstenkühlschrank ohne Strom für Kälte sorgt. Man stelle zwei ungleich große Töpfe aus unglasiertem Ton ineinander und befeuchte dazwischen eine Schicht Sand mit Wasser. Darauf lege man einen feuchten Deckel aus Stoff, Holz oder Tonerde. Voilà, durch die Ausdünstung des äußeren Topfes kühlt der innere Topf. Damit bleiben Tomaten statt zwei bis zu 20 Tage frisch – für Marktfrauen in heißen Ländern ein großer Unterschied. So müssen sie die Tomaten nicht zum Tagesende zu sinkenden Preisen verramschen, wenn alle ihre Tomaten loswerden möchten, sondern können sie am nächsten Morgen wieder für besseres Geld verkaufen. Eine einfache Technologie aus Nigeria, die man in anderen, ebenso warmen und trockenen Gebieten gut brauchen kann.
Es war diese Faszination für simple Ideen und Kreisläufe, die Umwelt und Alltag zu verändern vermögen, die den Grundstein zu Howtopedia legte. Mit dem Blick einer Architektin reiste Châtelet in fremde Länder und kehrte mit der Erkenntnis zurück, dass man mit wenig viel verändern könnte. Könnte. Zwar fand sie im Netz immenses, doch verstreutes und wenig anwendbares Wissen. Wohl hat sich eine Unmenge an Wissen über die vergangenen 70 Jahre der Entwicklungshilfe angesammelt, doch ist es schwierig, die Informationen im Netz zu finden geschweige denn zu verstehen, falls man über wenig Fachexpertise verfügt.
Hinter der Wissenssammlung mit „How to …“-Anleitungen stehen fünf Gründer aus der Schweiz und mittlerweile rund 40 Freiwillige. Obwohl das Netzprojekt nach der Anfangsphase 2006 ein Jahr lang von einem deutschen „Business Angel“ unterstützt wurde und unterdessen mit internationalen Organisationen zusammen arbeitet, schwebt es ständig zwischen Euphorie und ungesichertem Budget. Noch immer füllen so manche graue Platzhalter die Lücken in der Online-Bibliothek, doch sind die Ziele trotz versiegender Geldquelle ehrgeizig: Praktisches Alltagswissen von hier wie dort zu sammeln, zu pflegen und schließlich jenen zur Ernte freizugeben, die es brauchen. Das soll keineswegs nur ein Austausch zwischen Norden und Süden, Industrie- und Entwicklungsländern sein, sondern einen Dialog in beide Richtungen ermöglichen. Schließlich braucht auch der europäische Städter einfachste Mittel für einen nachhaltigen Alltag. Informationen, wie man natürliche Pestizide oder eine Komposttoilette selber herstellen kann oder wofür restliche Bananen, Asche oder Knoblauch gut sein können.
Nicht jeder kann mitschreiben
Anders als bei Wikipedia kann nicht jeder mitmachen, schließlich müssen größtenteils wissenschaftliche Inhalte stark verkürzt werden, ohne dass sie an Gehalt verlieren. Und obwohl Howtopedia mit renommierten NGOs wie etwa der britischen Practical Action, den Ingenieuren ohne Grenzen aus Deutschland und mit Wissenschaftlern der ETH Zürich arbeitet, sträuben sich viele Wissenschaftler, ihre Resultate zu vereinfachen. Die Zweifler fragt Châtelet dann, was mit ihren hundertseitigen, mit Feldversuchen gespickten Dissertationen passiere? So gewinnt sie den einen oder anderen Doktoranden, Agronomen, Geologen oder Ethnologen dafür, aus ihren theoretischen Papieren praktische Anleitungen zu schreiben.
Gerade sitzt ein indischer Programmierer an einem der Rechner im Zürcher Headquarter von Howtopedia, um Hindi zu implementieren. Derzeit wird die Struktur für ein Dutzend Sprachen angelegt: Neben Englisch, Französisch, und Spanisch auch Portugiesisch, Hindi, Tamil, Bengali, Indonesisch, Chinesisch, Arabisch, Russisch, Kisuaheli und Deutsch. Das ist zwar ehrgeizig und nicht alles auf einmal zu schaffen, doch wichtig für Informationen, die nicht in Englisch sind. „Wir haben eine sehr eurozentrische Vision mit gar nicht blöden Technologien, aber die wirklich praktischen Informationen kommen von anderswo“, meint Châtelet.
Wie erreicht man jene, die das Wissen brauchen?
Doch alleine dass das Wissen demokratisch zur Verfügung gestellt wird, garantiert noch nicht, dass ein Interessent auch Zugriff darauf hat. „Die Idee von Howtopedia ist zweischneidig: Einerseits wollen wir jene erreichen, die Hilfe am meisten benötigen, gleichzeitig gelingt uns das kaum“, erklärt David Zumstein, ebenfalls Gründer und Architekt wie Châtelet, den Widerspruch von Howtopedia. Um zumindest Hilfe zur Selbsthilfe ohne missionarischen Eifer anzubieten, richten sie sich deshalb einerseits an westliche Do-It-Yourself-Szenen wie die sogenannten Urban Farmers in den USA und andererseits an die vielen kleinen Organisationen in den Entwicklungsländern, an Studenten oder die Diaspora, solche, die die lokalen Bedingungen kennen, solches Wissen selber brauchen oder daran interessiert sind, es zu verbreiten.
Das kann ein Freund der Familie in Amerika sein oder eine vierzehnjährige Schülerin, die für ihre Eltern im Internet etwas findet. „Doch sie haben nicht unbedingt eine gute Netzverbindung und auch nicht die Zeit, um all die Seiten zu durchsuchen, wie wir das gewohnt sind“, sagt Châtelet. Irgendwann sollen daher die konkreten Anleitungen über Radio oder in Afrika populäre News-Plattformen, die NGOs oder vielleicht gar per Western Union oder Etiketten auf Wasserflaschen zu den Menschen finden … Während wir hier vielleicht schon mal den einen oder anderen Kreislauf zu schließen vermögen, um die eigene Welt etwas besser zu machen.
Wie man mit Chili gegen Schädlinge kämpt. Oder: Wie man mit Essensresten eine Biogas-Anlage betreibt. Hier finden Sie fünf Beispiele für Howtopedia-Einträge.
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