Ohne Unterschied des Geschlechts

Kämpferisch 1907 wurde in Stuttgart unter Vorsitz von Clara Zetkin die Internationale Sozialistische Frauenbewegung ins Leben gerufen

"Ich begrüße alle Mitkämpferinnen, die gekommen sind, um die unentbehrlichste Waffe für uns, das Frauenstimmrecht, mit erobern zu helfen". Mit diesen Worten eröffnete Ottilie Baader (1847-1925) als "Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands" am 17. August 1907 in der Stuttgarter Liederhalle die erste internationale Konferenz sozialistischer Frauen. Unter dem Vorsitz von Clara Zetkin (1857-1933) - sie wäre am 5. Juli 150 Jahre alt geworden - gründeten 58 weibliche Delegierte aus 15 Ländern Europas und aus Übersee die Internationale Sozialistische Frauenbewegung (Socialist International Women, SIW). Sie hatten schon damals erkannt, dass Probleme wie das Wahlrecht, die krankmachenden Arbeitsbedingungen, die soziale und geschlechterspezifische Ungleichheit und die Bedrohung des Weltfriedens nicht auf nationaler Ebene zu lösen sind.

Zäher Kampf für das Frauenwahlrecht

Elf Jahre später - vor beinah 90 Jahren - erkämpften Frauen in Deutschland das Wahlrecht. Doch Gewalt gegen Frauen, zunehmende Armut und Abhängigkeit, Geschlechterdiskriminierung in Familie, Ausbildung und Erwerbsarbeit und mangelnde Teilhabe von Frauen in den politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen belegen, dass die Zusammenarbeit von "Frauen der verschiedenen Länder zu gemeinsamer Arbeit", zu der 1907 aufgerufen wurde, auch in einer globalisierten Welt wichtiger ist denn je.

In Stuttgart trug Ottilie Baader den Bericht der SPD-Frauen vor, sprach über Frauenarbeitsschutz und Kinderarbeit, über Bildungsvereine und die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der Frauen, die sich im Deutschen Reich bis 1908 politisch überhaupt nicht organisieren durften. Ganz klar grenzte sie sich ab gegenüber den bürgerlichen Frauen, die die weibliche "Andersartigkeit" betonten und die nicht bereit waren, den Kampf der Arbeiterinnen um volle soziale und menschliche Emanzipation zu unterstützen.

Die sozialistische Frauenbewegung Deutschlands, sagte Baader, sei "von der Überzeugung durchdrungen, dass die Frauenfrage ein Teil der sozialen Frage ist und nur zusammen mit ihr gelöst werden kann". Ihr ging es um den "Kampf aller Ausgebeuteten ohne Unterschied des Geschlechts gegen alle Ausbeutenden, ebenfalls ohne Unterschied des Geschlechts". In den Mittelpunkt des internationalen Kampfes stellte sie die Forderung nach voller politischer Gleichberechtigung der Geschlechter, unbeschränktem Vereins- und Versammlungsrecht sowie aktivem und passivem Wahlrecht. Fast alle Länderberichte äußerten sich zum Thema Frauenwahlrecht. In einigen spiegelte sich bereits 1907 die Sorge über einen kommenden Krieg.

Clara Zetkin betrachtete die Stuttgarter Konferenz als einen "erste(n) tastende(n) Versuch, zwischen den organisierten Sozialistinnen der verschiedenen Länder eine regelmäßige Fühlung zu schaffen, ... um in Hauptfragen eine einheitliche, grundsätzliche Haltung der sozialistischen Frauenbewegung herbeizuführen, sie immer fester mit der allgemeinen sozialistischen Bewegung zu verbinden und dadurch die Kraft und den Erfolg ihres Wirkens und Kämpfens zu erhöhen." Sie begründete die Resolution für das Frauenstimmrecht vor dem Internationalen Sozialistenkongress, der - einen Tag nach der Gründung der SIW - vom 18. bis 24. August 1907 ebenfalls in Stuttgart stattfand.

Die sozialistischen Parteien aller Länder hatten sich verpflichtet, für die Einführung des uneingeschränkten allgemeinen Frauenwahlrechts einzutreten und gemeinsame Aktionen zu entwickeln. Doch politische Gräben lagen nicht nur zwischen proletarischen und bürgerlichen Frauen. Auch unter den sozialistischen Frauen gab es Widersprüche, die Alexandra Kollontai (1872-1952), Vertreterin der sozialistischen Arbeiterpartei Russlands, beschrieb: "Während der Konferenz lieferten sich der rechte und linke Flügel der Fraueninternationale einen Kampf, der die Auseinandersetzung zwischen den beiden Strömungen in der Internationalen widerspiegelte. Ich stand auf Seiten Clara Zetkins. Der erste Punkt der Meinungsverschiedenheiten betraf den Kampf für das allgemeine Frauenstimmrecht. Die österreichischen Sozialistinnen mit Lily Braun fanden sich zu einigen Kompromissen bereit. ... Im Namen Russlands unterstützte ich die Linken gegen die Opportunisten."

Am Ende wurde Clara Zetkins Resolution gegen elf Stimmen verabschiedet, einschränkende Anträge wurden zuvor zurückgenommen. Mit lebhaftem Beifall begrüßt, wurde Rosa Luxemburg (1871-1919), Mitglied der polnisch-russischen Delegation. Nachdem sie sich mit Nachdruck für die Einrichtung des internationalen Frauenbüros in Stuttgart eingesetzt und ihrer Bewunderung für die Freundin Clara Zetkin Ausdruck verliehen hatte, die "auch diese Arbeitslast noch auf sich nahm", wurde der Vorschlag einstimmig angenommen. Die Zeitschrift Die Gleichheit sollte der internationalen Bewegung als Sprachrohr dienen.

Hüterinnen des Lebens

In die Geschichte eingegangen ist die II. Internationale Konferenz sozialistischer Frauen, die am 26. und 27. August 1910 in Kopenhagen stattfand. Dort nämlich wurde der Internationale Frauentag ins Leben gerufen, "der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht" dienen sollte.

Die Aktivistinnen hofften, mit dem Frauentag den außerparlamentarischen Druck zu erhöhen, gleichzeitig stand er im Zeichen des Kampfes gegen den Militarismus und den drohenden Weltkrieg. "Bei dieser wichtigen Willenskundgebung des Weltproletariats dürfen die sozialistischen Frauen so wenig fehlen wie im heiligen Krieg gegen den Krieg", schrieb Clara Zetkin in ihrem Extra-Aufruf an die Frauen anlässlich des außerordentlichen Sozialistenkongresses am 24. und 25. November 1912 in Basel. In ihrer Rede, die sie im Namen der sozialistischen Frauen aller Länder hielt, nahm sie leidenschaftlich Stellung gegen den drohenden Krieg und forderte die Frauen als "Hüter des Lebens" auf, sich gegen dieses Verbrechen zu wehren. Das damals verabschiedete Manifest blieb allerdings ebenso wirkungslos wie der wiederholte Appell, mit einheitlichen Aktionen gegen Militarismus und den Krieg Stellung zu nehmen.

Die III. Internationale Frauenkonferenz, die in Wien durchgeführt werden sollte, fand nicht mehr statt. Mit dem Ersten Weltkrieg 1914 trat die internationale Frauenbewegung in eine neue Phase ein. Nahezu alle sozialistischen Parteien in den kriegsführenden Ländern bekannten sich zur Verteidigung des bürgerlich-kapitalistischen Staates, dessen Sturz sie bis dahin angestrebt hatten. Die gesamte Sozialistische Internationale - und damit auch die Fraueninternationale - löste sich in ihre nationalen Organisationen auf.

Anfang November 1914 verfasste Clara Zetkin noch einen Aufruf "an die sozialistischen Frauen aller Länder", in dem sie sich entschieden gegen den Krieg und für breite Friedensaktionen aussprach. Gertrud Bäumer, führende Protagonistin im Bund deutscher Frauenvereine, verherrlichte dagegen den Tod fürs Vaterland, den die Soldaten in den Schützengräben starben. Zahlreiche proletarische Frauen folgten der Aufforderung bürgerlicher Frauen - und auch des SPD-Parteivorstands -, an der "Aufrechterhaltung der Heimatfront" mitzuarbeiten. Mit der Einberufung der Berner Frauenkonferenz 1915 nahm Clara Zetkin einen letzten Anlauf, die durch den Krieg abgerissenen Fäden zu der internationalen Frauenbewegung neu zu knüpfen, doch als "Aktion einer Minderheit der Bewegung" konnte die Konferenz die "unerlässliche Spaltung" der SPD (Zetkin) nicht verhindern.

Dr. Gisela Notz ist wissenschaftliche Referentin der Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte an der Friedrich-Ebert-Stiftung.


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