Positives Umdeuten

Angebliche Marktbereinigung Die »Mainzer Tage der Fernsehkritik« beschäftigten sich mit der großen Medienkrise

Bei den 36. Mainzer Tagen der Fernsehkritik saßen alte Hasen und Chefs der Branche einmütig beieinander und philosophierten angestrengt über die Folgen der Medienkrise. Scharfsinnige Analysen gab es kaum, eher als Beschwörungsformeln gemurmelte Selbstberuhigungsfloskeln. Für jene, die fest im Sattel sitzen, so war zu erfahren, ist die Krise gar nicht so schlimm. Ja sie habe sogar diverse Vorteile zu bieten.

Wer überleben wolle, müsse die Krise annehmen, verkündete der ZDF-Intendant Markus Schächter zur Begrüßung. Unter Berufung auf die kulturoptimistische Theorie des Frankfurter Soziologen Karl Otto Hondrich proklamierte er frohgemut Chancen der Krise: Schädliches werde ausgesondert, Nützliches ausgewählt. Der ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut gab die Parole aus: Ja, der Wunsch zur Zerstreuung sei beim Fernsehpublikum in der Krise eindeutig stärker da, warum also solle man ihn denn nicht bedienen? Und RTL-Geschäftsführer Hans Mahr spielte indes den bösen Buben, hinter dessen Schatten sich die krisengerecht erwachende »öffentlich-rechtliche« Lust aufs Boulevarige bequem verstecken konnte. Mahr spitzte zu: Warum solle man denn »elendslange Arien über eine unglückliche Situation senden, die die Zuschauer vielleicht selbst gerade durchlebten«.

Fernsehspiel-Chef Hans Janke redete dagegen einer sich künftig angeblich steigernden Qualität der Fernsehspiele das Wort: Es werde aufgrund sinkender Werbeeinnahmen eben weniger eigen produzierte Sendungen geben, dann jedoch solche, die man auch wiederholen könne. Vorzug: Man müsse »keine Tapferkeit vor dem Freund« mehr beweisen, könne leichter ablehnen, wenn man bestimmte Produktionen nicht mehr im Programm haben will.

Unfreiwillig hatte man damit bei den Mainzer Tagen der Fernsehkritik wohl ausgesprochen, was Kurt Tucholsky über Redakteure dereinst konstatierte: Sie sehen sich als geistig überlegen, weil sie fest angestellt sind. 1932 - so das Erscheinungsdatum von Tucholskys Polemik - war die wirtschaftliche Situation der Branche der heutigen gar nicht so unähnlich: »In unserem Beruf steht das Angebot in einem groteskem Gegensatz zur Nachfrage«, schrieb er.

Vergebens mühten sich in Mainz Nico Hofmann (Teamworx Produktion) und der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands Deutscher Fernsehproduzenten, Bernd Burgemeister die Deflation der Inhalte in Krisenzeiten in die Debatte zu bringen, und an den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag zu appellieren.

Die jährlich vom ZDF veranstalteten Tage der Fernsehkritik standen schon immer unter dem Paradox, wohl eher als Tage der Selbstkritik angesehen werden zu müssen. Von Jahr zu Jahr verstärkte sich dieses Phänomen. Anders als noch vor Jahren beim Thema »Kosovo-Krieg« oder »11. September« mussten diesmal indes keine kritischen Kommentare aus dem Publikum vom Moderator beschwichtigt oder zurückgedrängt werden. Das Publikum schwieg, ließ sich im Gegenteil von Moderator Thomas Kausch kaum mehr ermuntern, Stellung zu beziehen. Die Krise legt anscheinend ein riesiges Netz der Apathie über die Pressevertreter, das dem Motto geschuldet ist: »Don´t bite the hand, that feeds you.«

Sparen, sparen, sparen, so die Devise - da bedarf es keiner Begründungen mehr, Kritik hält bloß auf. An der positiven Umdeutung des Sparphänomens störte sich keiner: Von übermäßiger Fettleibigkeit, die abgespeckt gehöre, war die Rede, von »Gesundschrumpfung«. In Erwägung wurde vor dem wie paralysiert schweigenden Auditorium auch gezogen, die Tage der Kritik selbst weg zu rationalisieren.

Dass sich allerdings keineswegs der Markt selbst reguliert - wenn man es nicht übertreibe und fehlerhaft leichtsinnig investiere - wie der geladene Wirtschaftsfachmann und Präsident des Management Zentrum St. Gallens, Fredmund Malik behauptete, war Resultat einer anderen, nicht unspannenden Debatte. Die ehemalige Medienredakteurin der Frankfurter Rundschau, Ingrid Scheithauer, und ihr Gesprächspartner, Manfred Helmes (LPR Ludwigshafen), unterhielten sich über das Trauerspiel der digitalen Übertragungssysteme DAB und DVTB. Millionen Euro würden fortwährend in eine Technologie gesteckt, die niemand wirklich wolle.

Die einzigen, die sich in Mainz konzeptionell mit der Wirtschaftskrise auseinandersetzten und eine Umverteilung von Geldern einmal visionär im positiven Sinne ins Auge fassten, waren die Chefs der Frankfurter Rundschau und der Süddeutschen Zeitung. Wolfgang Storz und Hans Werner Kilz diskutierten die Frage, ob es nicht - vergleichbar dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk - Sinn mache, gebührenfinanzierte Zeitungen herauszugeben, um einen seriösen und gesellschaftskritischen Print-Journalismus aufrecht erhalten zu können. Die Politik müsse für die Erhaltung der Pressevielfalt in die Verantwortung genommen werden, so Storz.

Immerhin erfrischend, dass auf diese Weise einmal das Credo des positiven Umdeutens durchbrochen wurde, konjunkturell erzwungene Sparzwänge des Marktes müssten sich irgendwie wohl automatisch qualitätssteigernd auf journalistische Inhalte auswirken. Warum sich allerdings weniger Fernsehkritiker und Medienwächter zu Wort meldeten als in den vergangenen Jahren, hat seine eigene Bewandnis. Die gewerkschaftliche Medienexpertin Marita Eilrich sagt dazu, Journalisten seien zunehmend einem Klima von »Hire and Fire« ausgesetzt, durch den harten Überlebenskampf werde es dem einzelnen zunehmend erschwert, Rückgrad zu beweisen und kritische Themen zu lancieren. Zudem hatte das ZDF seine Podien der Tage der Fernsehkritik insofern clever besetzt, als Macher von Zeitungen und Fernsehen jeweils unter sich blieben.

Bezeichnend also, dass von den tatsächlich betroffenen Journalistinnen und Journalisten erst gar keiner geladen worden war. Warum auch? Da man ja in Mainz-Lerchenberg insgesamt davon auszugehen schien, dass es sich bei dieser Krise wohl um eine längst fällige Marktbereinigung handele - und nur die »Spreu vom Weizen« getrennt werde, wie der ZDF-Intendant betonte. Bei einem Vortrag des spottlustigen Florian Illies konnte am Ende noch einmal so richtig herzlich gelacht werden. Na also, wer sagt es denn, Krise kann doch auch lustig sein. Wenn diejenigen, die sie trifft, an der Diskussion nicht beteiligt werden.

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