Fortschritt mit Tücken

Gewaltschutzgesetz Gerade für Migrantinnen reicht der Schutz vor Gewalt in der Ehe nicht aus

Er spuckt auf den Boden und sagt zu seiner Frau: "Wisch das auf". Er schüttet das Essen ans Fenster: "Damit Du etwas zu putzen hast". Er nimmt ihr das Handy ab: "Dich ruft sowieso niemand an." Oder er hält sie mit dem Haushaltsgeld knapp, jeder Cent muss abgerechnet werden. Sie kann nicht mehr telefonieren, sich nicht mehr mit einer Freundin treffen und Kaffee trinken, was ihre soziale Isolierung zur Folge hat. Oder er schlägt sie, sperrt sie ein, würgt sie. Gewalt gegen Frauen hat viele Facetten: Es gibt psychische, ökonomische und physische Gewalt.

Nachdem das Thema "Gewalt in der Ehe und eheähnlichen Lebensgemeinschaften" vom Gesetzgeber lange ignoriert worden war, wurde am 1. Januar 2002 das von den sozialdemokratischen Ministerinnen für Frauen und Justiz, Christine Bergmann und Hertha Däubler-Gmelin angeschobene Gewaltschutzgesetz verabschiedet. Man gab sich zunächst optimistisch. Nachdem jahrzehntelang die Opfer flüchten mussten, gelte nun bei häuslicher Gewalt ein neuer Grundsatz: "Der Schläger geht, das Opfer bleibt". Das "Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung" wurde auch von vielen Nichtregierungs-Organisationen (NGOs) freudig begrüßt.

Inzwischen ist - auch wenn das Gesetz anerkanntermaßen einen merklichen Fortschritt zur bisherigen gänzlichen Ignoranz sogenannter "häuslicher Gewalt" darstellt - die erste Euphorie etwas abgeklungen. Das Gesetz, das nach richterlichem Beschluss die Überlassung der Wohnung von bis zu sechs Monaten an die verletzte Frau regelt, weist in der praktischen Umsetzung diverse Tücken auf.

Zunächst einmal müssen die betroffenen Frauen, um ihr Recht auf die gemeinsame Wohnung durchzusetzen, einen enormen Bürokratieaufwand bewältigen. Denn die Beweislast liegt bei der Frau. Es gilt also Misshandlungen durch ein ärztliches Attest nachzuweisen, Strafantrag zu stellen, Zeugen zu benennen, eventuell Prozesskostenhilfe zu beantragen. Verdienstbescheinigungen, Mietvertrag, Versicherungsverträge müssen herbeigeschafft werden. Ohne Prozesskostenhilfe kostet das Verfahren, den Mann durch einen Gerichtsvollzieher der Wohnung verweisen zu lassen, 250 Euro. Zudem stellen sich der Frau Fragen wie: Wer zahlt die Miete? Und: Was mache ich, wenn der Mann sich nicht an das gerichtlich verhängte Kontakt- und Näherungsverbot hält, also weiterhin eine Bedrohung darstellt?

Das Zivilrecht könne bisweilen auch den mühseligen Gang vor Gericht beinhalten, schildert Sigrid Oerder, eine der neun Mitarbeiterinnen des Frankfurter Vereins "Frauen helfen Frauen", unter dem zwei Frauenhäuser und eine Beratungsstelle firmieren. Zum Beispiel wenn der Mann die Existenz einer Lebensgemeinschaft bestreitet. "Die Frau sagt ja, der Mann sagt nein, das kann sich ziehen wie Kaugummi", beschreibt Oerder die Folgen. Geht die Frau jedoch einen Kompromiss ein, blieben eventuell obendrein die Kosten des Verfahrens an ihr hängen. Was bedeutet: Wer bereits Probleme hat, bekommt neue hinzu.

Ein weiteres Manko: Das Gewaltschutzgesetz findet nur sehr eingeschränkt Anwendung. Vor allem in jenen Fällen, in denen Täter nachweislich körperliche Gewalt ausgeübt haben. Psychische und ökonomische Gewalt seien hingegen schwer zu beweisen.

Die Landesgesetze der "polizeilichen Wegweisung", die neuerlich in einigen Bundesländern - bisher in Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrheinwestfalen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern - in Kraft getreten sind, greifen ebenfalls hauptsächlich bei klar erkennbarer körperlicher Gewalt. Nach diesen Landesgesetzen kann ein polizeilicher Verweis des Gewalttäters aus der Wohnung auch ohne richterlichen Beschluss erfolgen, je nach Regelung in den Ländern bis zu 14 Tagen.

Sicherlich seien diese Regelungen hilfreich. Als Folge der neuen Gesetzgebung kooperiere man enger mit der Polizei. Der Verein "Frauen helfen Frauen" hält Vorträge und schult Polizeibeamte zum Thema "Gewalt gegen Frauen". Außerdem gibt es mittlerweile eine direkte Telefonverbindung zwischen der Polizei und den Autonomen Frauenhäusern Frankfurts. Nach einem Polizeieinsatz kann eine Mitarbeiterin per Handy informiert werden, und falls notwendig, kann eine Frau auch unmittelbar in ein sogenanntes "Notbett" im Frauenhaus aufgenommen werden.

Ohne Frage seien bei akuter Bedrohung die Frauenhäuser weiterhin der sicherste Ort für misshandelte Frauen. "Schon deshalb, weil der Täter den Aufenthaltsort nicht kennt", konstatiert Oerder. Hier werde Frauen, die oft aufgrund andauernder Gewalterfahrung ihr Selbstwertgefühl verloren haben, geholfen, mit Hilfe der Gruppe ihre Identität wieder zu stärken. "Kollektives Empowerment" heißt das in der Fachsprache.

Gelingt es, das Recht der Frau durchzusetzen, und die Frau kann in ihrer Wohnung bleiben, sei die Frist von sechs Monaten allerdings zu kurz bemessen. In dieser Zeit lasse sich meist keine eigene Wohnung finden. Insbesondere gelte dies für die rund 70 Prozent Migrantinnen, die in Frankfurt Opfer häuslicher Gewalt werden.

Migrantinnen, die hierzulande unter häuslicher Gewalt leiden, müssen trotz eines unter Rot-Grün verkürzten Anspruchs von Migrantinnen auf ein Bleiberecht mit einer zusätzlichen Diskriminierung rechnen. Nach dem seit Juni 2000 in Kraft getretenen Ausländerrecht muss die eheliche Lebensgemeinschaft zwar nur noch mindestens zwei Jahre bestanden haben, um ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu erhalten, dennoch: Aufgrund dieser Regelung hat bisweilen der frisch verheiratete Ehemann, der seine Frau demütigt, ein weiteres Druckmittel in der Hand. Mit Unterstützung der drohenden Abschiebung durch das Ausländeramt kann er seine Allmachtsphantasien ausleben. Um das Aufenthaltsrecht nicht zu verlieren, müsste sie allenfalls den Beweis führen, dass physische Gewalt verübt wurde, somit nach dem Gesetz eine "besondere Härte" vorliegt.

Aus diesem Grund versuchen manche Migrantinnen in unerträglichen ehelichen Verhältnissen die Zwei-Jahresfrist auszuharren, bevor sie Hilfsangebote in Anspruch nehmen. Da sie meist noch nicht über gute Sprachkenntnisse verfügen, und von ihren Ehemännern oft auch gern in Unkenntnis gehalten werden, sind sie extrem ausgeliefert. Sozialarbeiterinnen in Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern stehen in der Regel hilflos diesem staatlich regulierten Desaster gegenüber, das aus dem Zusammenwirken zweier Gesetze mit fatalen Folgen der Inhumanität resultiert. "Wir können das Elend der Frauen allenfalls therapeuthisch begleiten", so eine Psychologin.

Am Gewaltschutzgesetz gibt es auch fundamentale Kritik: Es handele sich um "reine Kosmetik", die gesellschaftlichen Ursachen für die Gewalt würden nicht bekämpft, sagt Juanita Rosina Henning, vom Frankfurter Verein "Dona Carmen". Mit individuellen zivilrechtlichen Lösungen, die im Falle der Nichteinhaltung in den strafrechtlichen Bereich mündeten, doktere man einzig an den Symptomen herum, moniert die gestandene Sozialarbeiterin, die seit zwölf Jahren mit Migrantinnen arbeitet. In der Zwischenzeit verschärften sich jedoch die realen Gewaltverhältnisse. Sie halte nichts davon, die Männer zu kriminalisieren. Deren Probleme würden nicht gelöst, sondern einzig von einem Raum in einen anderen verlagert. Auslöser der Gewalt seien soziale Umverteilung zugunsten der Reichen, steigende Armut in der Bevölkerung, Arbeitslosigkeit, zunehmend enge Wohnverhältnisse. Dies gelte es präventiv zu verändern. Eine gesellschaftspolitische Vision, wie sie in der Vergangenheit in der Frauenbewegung diskutiert wurde - ob sie, statt immer neue restriktive Gesetze zu erdenken, jetzt vielleicht wieder stärker ins Blickfeld gerückt werden sollte?

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