Sehnsucht nach Gleichgültigkeit

Rassismus Andrea Levys gelungener Roman "Eine englische Art von Glück"

Im Jamaika der vierziger Jahre träumen junge Frauen davon, im Mutterland ein Haus mit Klingel an der Tür zu besitzen, die "Dingedong" macht. Jungen Männern dagegen wünschen sich sehnlichst, als Freiwillige in die Royal Air Force einzutreten, um das Empire zu verteidigen. Gegen Hitler, der die Sklaverei zurückbringen und Menschen wieder in Ketten legen möchte. In London gönnt man jedoch den "Kaffern" keine Wohnungen, geschweige denn solche mit Klingeln. Außer der blauen Uniform bietet die Armee den Soldaten aus den Kolonien nichts, auf das sie stolz sein können.

In Kingston werden sie schwungvoll mit Paraden verabschiedet, überhäuft mit den von jamaikanischen Frauen gestrickten Sachen, aus dem Krieg kommen sie mit verwirrten Blicken zurück. Die kleine Insel kommt ihnen von nun an einengend vor. Einmal durch den Freiheit verheißenden Blick über die Reling der Überseeschiffe auf den Geschmack gekommen, wirkt ihnen ihr Land plötzlich zu überschaubar. Sie verzichten darauf, bei der sanften Brise zum Sonnenuntergang mit ihresgleichen Mangosaft zu schlürfen und machen sich auf den Weg nach England.

Gilbert ist einer von diesen jungen Jamaikanern, die sich zu dem chancenreichen Mutterland mehr hingezogen fühlen als zu den Unabhängigkeitsbestrebungen auf ihrer Insel. Das Geld für die Fahrt bekommt er von Hortense, einer jungen Frau, die ihm nach einer Art Scheinehe in das gelobte Land folgen will. Gilbert und Hortense mieten ein Zimmer bei Queenie in London, deren Mann Bernard seit dem Krieg als vermisst gilt.

Gilbert, Hortense, Queenie und Bernard sind vier Hauptfiguren des Romans Eine englische Art von Glück, die in unchronologisch und in nicht regelmäßig aufeinander folgenden Kapiteln ihre Geschichten erzählen. Durch diese belebende Erzählstruktur geht die Autorin mit dem Leser eine Konspiration ein, die es ihm erlaubt, einiges in Erfahrung zu bringen, was dem einen oder anderen Romanhelden verborgen bleibt.

Aus der Sicht von Queenie erzählt, gibt das erste Kapitel anhand einer Ausstellung, die sie als kleines Mädchen besucht, einen Einblick in das, was das Königreich zwischen den Weltkriegen ausmachte. Dort sieht es die Eisenbahnen und Gebäude von Hongkong bis Jamaika in Miniaturform, Früchte und Menschen von Burma bis Kanada; Bäume und Trachten von Barbados bis Australien werden zur Schau gestellt. Diese überwältigenden Ausmaße des Empires, die dem User gleich am Anfang des Buches vor Augen geführt werden, sollen die zentralen Motive des Romans deutlich machen: Rassismus und koloniales Denken. Das Wir-sind-wer-Gefühl der Angehörigen des Empires richtet sich beispielsweise nicht nur gegen die Juden, die aus Deutschland flüchtend in London Zuflucht suchen oder Menschen aus der Karibik. Selbst Engländer, die durch Bomben obdachlos werden, sind dort unerwünscht, wo sie untergebracht werden sollen.

Ganz bitter trifft der Rassismus Hortense, die 1948 mit einer Naivität nach England kommt, die gleich nach vier Wochen Aufenthalt in London die ersten Kratzer bekommt: Ihre Bewerbung in einer Schule, in der sie mit ihrem Lehrerdiplom sowie zwei Empfehlungsschreiben aus Jamaika erscheint, dauert nur ein paar Minuten. Sie muss sich nicht nur anhören, dass die Ausbildung in ihrem Herkunftsland in England nichts wert ist, sie wird sogar ausgelacht. Bis zu dieser ersten gewaltigen Enttäuschung nimmt diese stolze, in Jamaika von englischen Lehrern erzogene Frau offene wie auch unterschwellige Demütigungen kaum wahr. Beispielsweise wenn Queenie, ihre Vermieterin, sie fragt, ob man in Jamaika Stoffe kaufen kann. Weil sie über die Frage so verdutzt ist, redet die weiße Frau mit ihr so wie mit einem Schwachsinnigen: Langsam und mit simplen Worten. Als jemand, der in der englischen Schule Sprechwettbewerbe gewonnen hat oder Gedichte von englischen Dichtern aufsagen kann, wundert sich Hortense wiederum insgeheim über das Unterschichten-Englisch ihrer Gesprächspartnerin.

Als Einwanderer ist Gilbert schon mehr sensibilisiert dafür, wie die Einheimischen Andersaussehende betrachten: Ihre Umgangsweise mit ihnen ist eine ungesunde Mischung aus dem Wunsch, mit den "Farbigen" Freundschaft zu schließen und sie zugleich als "Bimbos" anzusehen. Auch Gilbert muss seinen Traum, Jura zu studieren, aufgeben. Seine Hoffnung wird zunächst in der Armee enttäuscht, in der seine Vorgesetzten in ihm nur den "Fahrer" sehen. Auch im zivilen Leben muss er bei dieser Beschäftigung bleiben. Einmal wird er während seines Militärdienstes mit einem ganz anderen Rassismus konfrontiert: In einem Ausbildungslager in den USA gewährt man ihm wegen seiner helleren Farbe Kontakt zu weißen Soldaten, was schwarzen US-Soldaten strikt verboten ist. Gilbert ist es leid, überall angegafft zu werden. Er sehnt sich nach Gleichgültigkeit.

Der in Indien kämpfende Bernard ist bei seiner Rückkehr mehr als entsetzt darüber, dass seine Frau Farbige in seinem Haus beherbergt. Obwohl die harten Bedingungen, unter denen er in Übersee den Krieg überlebt, ziemlich detailliert erläutert und er einmal sogar eine Gefängnisstrafe in Kauf genommen hat, weil er seine rebellierenden Kameraden nicht verraten wollte, ist er als Romanfigur kein Sympathieträger. Kaum ist Bernard wieder zu Hause, bringt seine Frau ein schwarzes Baby zur Welt. Alle Protagonisten wie auch der Leser sind zwangsläufig zuerst der Meinung, dass Gilbert der Vater des Kindes ist. Es dauert jedoch nicht lange, bis Bernhard und der Leser die falsche Fährte durchschauen.

Eine englische Art von Glück ist der vierte Roman der in London geborenen Andrea Levy, einer britischen Autorin jamaikanischer Abstammung, und wurde mit renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet. Der Originaltitel Small Island deutet sowohl auf Großbritannien als auch auf Jamaika. Es könnte aber auch das schrumpfende Empire damit gemeint sein. Was die geschichtlichen Details betrifft, merkt man dem Roman die immense Recherchearbeit an. Bernhard Robben, dem Übersetzer, gebührt ein großes Lob, vor allem weil die jamaikanischen Dialekte auch noch in der deutschen Fassung nachvollziehbar sind.

Andrea Levy: Eine englische Art von Glück. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Eichborn, Frankfurt 2007, 560 S., 22,90 EUR


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden