"Es riss meine Glieder aus, um sie dann gänzlich anders geordnet wieder zusammenzufügen." So beschreibt Michael Stipe, der Sänger von R.E.M., seine Gemütslage, als er zum ersten Mal Patti Smiths Album Horses hörte. Mittlerweile ein Klassiker, gilt die 1975 erschienene Debütplatte der Sängerin, Poetin, Malerin und politischen Aktivistin als Vorläufer des Punkrock. Steven Sebring, ein Modefotograf, erachtete es irgendwann als überfällig, die Kultfigur einer ganzen Generation filmisch zu portraitieren. Für Patti Smith: Dream of Life begleitete er sie elf Jahre mit seiner Kamera. Der in der Sektion Panorama der Berlinale gezeigte Film gewann bereits im vorigen Monat beim Sundance Filmfestival einen Preis.
Sebring gelang es, trotz der schwierigen Aufgabe angesichts der schwierigen Hauptfigur, Wesenszüge der 61-jährigen Künstlerin zu zeigen, die bislang durch ihre Fotos oder die Konzertaufnahmen nicht wahrnehmbar waren: ihre bisweilen fragile, beinahe schüchterne, mädchenhafte Seite. Sehr intime Momente in Dream of Life, in denen Patti Smith nachdenklich in die Ferne schaut oder ein Gedicht vorträgt oder sanft mit den Fingern über einen Grabstein geht, wirken in dem größtenteils in Schwarzweiß gedrehten Film stellenweise wie fotografische Stillleben.
Trotz des besonderen Stellenwerts der Musikfilme bei den diesjährigen Filmfestspielen hat man im Programm auf Biopics à la Ray oder Dream Girls verzichtet und zeigt Dokumentationen, in denen Künstler vorgestellt werden, die im öffentlichen Bewusstsein nicht sehr präsent sind. So macht Café de los Maestros von Miguel Kohan das Publikum mit den argentinischen Tangomusikern bekannt, denen die Tangomanie nicht die gleiche Aufmerksamkeit schenkt wie den Schritten des Tanzes selbst. Das gleichnamige Album aus dem Jahr 2005, für das der argentinische Musiker und Filmkomponist Gustavo Santaolalla ehemals berühmte und teilweise in Vergessenheit geratene Musiker zusammengebracht hatte, ist die Basis des Films. In Gesprächen sowie alten Aufnahmen wird Einblick in die Glanzjahre der Tango-Bigbands in Buenos Aires gewährt. Es ist zu hoffen, dass der Film denselben Effekt erzielt wie Buena Vista Social Club, indem er diesen 80- bis 90-Jährigen Virtuosen Weltruhm verschafft.
Eine weitere beeindruckende Musikdokumentation des Panorama, Heavy Metal in Baghdad handelt von Acrassicauda, der einzigen Heavy-Metal-Band aus dem Irak. Die Kamera der kanadischen Regisseure Eddy Moretti und Suroosh Alvi begleitet die kriegsbedingte Odyssee der überaus talentierten Bandmitglieder, die diese von Bagdad nach Damaskus und von dort nach Istanbul führt. Die Hoffnung der jungen Musiker, nach Saddams Sturz endlich die Musik spielen zu können, die ihnen am Herzen liegt, erlischt sehr bald angesichts der gnadenlosen Härte des Kriegsalltags in der zerbombten Stadt; der Zerstörung fällt ihr Übungsraum zum Opfer. Moretti und Alvi liefern im Film, den sie nicht ohne Risiken und fast unter illegalen Bedingungen drehten, kaum bekannte Bilder vom zerstörten Bagdad. Die beiden Regisseure agierten nicht nur als Beobachter; die Umstände und nicht zuletzt die Tatsache, dass sie ihren Figuren immer näher kamen, machten sie zu Helfern. Sie sind weiterhin aktiv, damit Acrassicauda sich an irgendeinem Ort der Welt niederlassen und in friedlicher Atmosphäre Heavy Metal spielen kann.
Warchild und Love, Peace Beatbox liefen in den Reihen German Cinema und Generation 14plus. In Warchild von Karim Chrobog erzählt seine Lebensgeschichte der bekannte Rapkünstler Emmanuel Jal, der mit neun Jahren im Sudan als Kindersoldat rekrutiert worden war. Dass ihm damals ein Gewehr in die Hand gegeben wurde, kam seinen Rachegefühlen zupass, die er gegen diejenigen hegte, die seine Mutter getötet und Frauen in seiner Familie vergewaltigt hatten. Jal begab sich dennoch irgendwann auf eine unmenschliche Flucht, wurde von einer Europäerin gerettet, die ihn in Kenia adoptierte. Seit einigen Jahren verarbeitet er seine Traumata durchs Rappen. Derzeit in London ansässig, macht er die Öffentlichkeit kraft seiner Geschichte auf das Elend der Kinder im Sudan aufmerksam, wobei er stets auf die absurde Tatsache hinweist, dass das Land eigentlich über große Ölreserven verfügt. In dem überaus sympathischen und amüsanten Berlin-Film Love, Peace Beatbox von Schauspieler und Theaterregisseur Volker Meyer-Dabisch geht es um die Musiker mit der erstaunlichen Fähigkeit, Instrumentengeräusche ohne jede Hilfsmittel zu imitieren. Experten bezeichnen diese Technik mittlerweile als das fünfte Element der HipHop-Kultur.
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