Abgeschminkt

TV-Duell Wie demokratisch ist der pluralistische Personenkult?

Sabine Christiansen, munter wie ein Zicklein, ruft über ihr Publikum hinweg nach draußen: "Wer hatte denn die fröhlichere Miene danach?"
Die Frage gilt einem Reporter in Berlin-Adlershof, wo gerade ein Gedankenaustausch zweier sehr führender Demokraten vor Fernsehkameras zu Ende gegangen ist. Der Reporter: "Es war vereinbart, dass nach dem Duell abgeblendet wird und es keine Bilder beim Verlassen des Studios gibt."
Ohne Auskunft geblieben über die Gesichtszüge der beiden Hauptdarsteller eines pluralistischen Personenkults, muss Sabine Christiansen nun versuchen, mit einem selbstständig gewonnenen Urteil ihre Gesprächsrunde zu beleben.
Auf einem anderen Kanal zeigt sich bald danach, dass Frau Christiansens Reporter falsch unterrichtet worden war, vielleicht, weil er ein öffentlich-rechtlicher ist. Denn ein kommerzieller Sender zeigt, etwas zeitversetzt, wie die beiden Herren hintereinander, nur ein kurzer Abstand, aus der Studiotür in den Korridor treten, der zu den Schminkräumen führt, wo sie nun demaskiert werden sollen.
Wenig später bietet ein anderer TV-Kommerzkanal das Miterleben des Gehens eines der beiden Matadore zum Automobil. Welcher ist es: Schröder oder Stoiber? Beim schnellen Wechsel zwischen den Kanälen bleiben das Auge und das Begreifen manchmal etwas zurück. Aber schon klärt Kommentator Dieter Kronzucker auf: "Man hat an Schröders Schritt gesehen, dass er ganz zufrieden ist." Das Kanzler war es also, der eben von rechts nach links durchs Fernsehbild gegangen ist.
Auf einem Berliner Hinterhof, an der rückwärtigen Hauswand die Schattenrisse der beiden Duellanten, erforscht eine Reporterin des Öffentlich-Rechtlichen: "Wie war die Wirkung auf Frauen?" Antwort einer Expertin: "Das hängt von den jeweiligen Frauen ab."
Ziemlich am Anfang dieser politischen Nacht hatte Friedrich Nowottny, früher im schönen, alten Bonn, das Rededuell in wenigen Sätzen erschöpfend rekapituliert. Als dann zur Werbung umgeschaltet wird, kann man den alten Fuhrmann noch aus dem Off hören: "Damit ist wohl alles gesagt. Nun könnten wir eigentlich nach Hause gehen." Er hatte Recht. Aber die Sendung ging nach der Werbung noch weiter bis zur nächsten Werbung.
Außerhalb der Werbeblöcke wird einmal auch Kai Dieckmann, Chefredakteur von Bild, gezeigt, der im großen Redaktionssaal die Schlagzeile seines Blattes vom nächsten Morgen preisgibt: Wer ist der Sieger?
Welche Frage. Sieger war die hiesige Demokratie, die sich am letzten Sonntag ein Sommerfest gegeben und dazu ihre modernste Garderobe angelegt hat: eine Verfassungswirklichkeit nach Medienzuschnitt. Das ist ein märchenhaftes Gewand. Anders als des Kaisers neue Kleider existiert es durchaus und verhüllt die Demokratie - und stellt sie dabei doch vollkommen bloß. Dennoch rate ich ab vom politischen Kulturpessimismus. Wir haben keine andere Demokratie. Nur diese Frage scheint mir erlaubt: Wie lange hält sie es aus, bis sie, um im Bilde zu bleiben, unter ihrer Hülle erstickt?
Das jeweils kleinere Übel zu wählen, entspricht der politischen Natur des parlamentarisch-pluralistischen Systems. Es liegt in seinem Charakter, Alternativen des Nicht-Idealen als ausreichend zur Wahl zu stellen. Das ist ein sympathischer Zug des Pluralismus. Er idolisiert weder Wähler noch Gewählte. Aber er verlangt ein gewisses Maß an sachbezogener Kommunikation zwischen ihnen. War es das, was am Sonntagabend vonstatten ging? Einer der Befragten auf dem Hinterhof des ZDF sagte im historischen Präsens über die gerade beendete Ausbreitung der Sachpositionen: "Schröder kommt lässiger rüber."
Hat Gerhard Schröders Regierungskunst die sachbezogene Kommunikation in der Politik verkümmern lassen? Sie war jedenfalls nicht darauf gerichtet, die Inhalte seiner Politik immer deutlich und unverkennbar hinter ihrer Präsentation hervortreten zu lassen. Links von Schröders derzeit geräumter Mitte sind Sozialdemokraten wie Sympathisanten der SPD verdrossen darüber, dass sie sich - neben einigen Regierungsbeschlüssen über hauptsächlich grüne Themen - nicht zuletzt auf allgemeine Ressentiments gegen Schwarz stützen müssen, um in Schröder ein kleineres Übel als in Stoiber zu erkennen: ihrem Gefühl nach.
Damit sind diese Wähler aus der Sachlichkeit dahin gelangt, worin sie bisher - oft nicht zu Unrecht - die Gegenseite der traditionellen SPD, die Schwarzen, befangen gesehen haben: in einer Art politischem Gefühlsfundamentalismus. Viele Linke machen sich Gerhard Schröder erträglich durch den Verdacht, Edmund Stoiber habe für den Wahlkampf Kreide gefressen und zeige nicht sein wahres Gesicht. Der Verdacht mag begründet sein. Aber ist das Rouge, das Schröder seit kurzem aufgelegt hat, von Dauer?
Die sogenannte Mediendemokratie inszeniert nicht nur harmlose Sommerpalaver vor einem Wahltag. Mit ihrer Hilfe wird in nicht allzu langer Zeit auch weiter verfestigt werden, was sich bereits zu bilden begonnen hat: Eine Herrschaftsstruktur, in der die politisch-gesellschaftlichen Entscheidungen mehr und mehr einer exklusiven politischen Klasse von Managern und ihren Experten vorbehalten sind, die in Kommissionen, Beiräten und diskreten Gesprächskreisen den Parlamentarismus außer Kraft setzt. Bei einer solchen faktischen Verfassungsänderung können die gesetzlichen Grundlagen der parlamentarisch-pluralistischen Demokratie gänzlich unangetastet bleiben. Gewisse Medien werden sogar durch öffentliche Spektakel wie TV-Duelle und ihre Nachbehandlung eine Pseudo-Demokratisierung vorantreiben, die unterhaltsam ist und ganz und gar ohne Bedeutung. Eine Basisbewegung, die gegen eine solche Entwicklung aufbegehrt, ist vorerst nicht zu sehen. Eine frühere hat ihre Wortführer an Ministerämter verloren.
Bundeskanzler Schröder hat die Praktiken der modernen Demokratie nicht erfunden. Ein solcher Vorwurf ginge ins Leere. Aber die modernen Formen kommen seinen stärksten Talenten entgegen. Seiner Neigung nach delegiert er das Bohren dicker Bretter. Besser jedoch als derzeit jeder andere Politiker im Land kann er bei passender Gelegenheit die flüchtige Aufmerksamkeit des Souveräns - vulgo: des Wahlvolks - fesseln und jenes Politikerbild vermitteln, das nicht irritiert. Manchmal denke ich, Gerhard Schröder ist in seiner Art der Entwicklung des Systems schon voraus.
Wird es nach der Bundestagswahl ruhig bleiben links von der Mitte? Die Frage richtet sich an SPD wie PDS, innerhalb oder außerhalb des Parlaments. Die Verwirklichung mancher Vorschläge der Hartz-Kommission oder entsprechender Ratschläge eines anderen Beirats eines anderen Kanzlers wird die sozialpolitische Amerikanisierung Deutschlands, mit und ohne Schröder, weiter vorantreiben: Ganz konsequent über die Aufkündigung des gesetzlichen Solidarpakts von Arbeitgebern und Arbeitnehmern aus Bismarcks Zeiten hinaus, wie es die Sozialdemokraten wegen der Riester-Rente auf Aktienbasis getan haben.
Der führende Freidemokrat Solms hat jüngst öffentlich geäußert, manche sozialpolitischen Einschnitte, wie die FDP sie im Sinne habe, ließen sich womöglich mit der SPD eher bewerkstelligen als mit der CDU/CSU. Die Sozialdemokraten seien disziplinierter. Welch ein Kompliment aus solchem Munde. Werden sie es sich weiterhin verdienen? Und wer wird sich länger sträuben bei einem etwa dafür geeigneten Wahlergebnis: Westerwelle, bis er Vizekanzler in einer Koalition mit der SPD wird, oder Schröder, um Kanzler zu bleiben dank der FDP?

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