Die Artenvielfalt unter den Außenministern ist groß. Natürlich ist der Variantenreichtum unter, sagen wir, den Schmetterlingen oder Lurchen größer. Aber Minister für Äußeres sind doch, nicht zuletzt ihrer öffentlichen Auftritte wegen, abgehoben von gewöhnlichen Kabinettsmitgliedern. Justizminister beispielsweise, deren Sachgebiet deutlicher umgrenzt ist als das Feld der Außenpolitik, gleichen einander weit eher als die wechselnden Herren des Auswärtigen Amtes.
Ist es dennoch möglich, einen Merksatz über diese unterschiedlichen Außenminister aufzustellen, der einigermaßen allgemeingültig ist? Ein Versuch muss erlaubt sein. So will ich nach ziemlich guter Bekanntschaft mit einer Reihe von diesen Amtsinhabern,
sinhabern, in einem Falle sogar einer gewissen Vertrautheit, die Behauptung wagen: Bedeutende Außenminister sind in ihrem Haus wie in der Öffentlichkeit eher umstritten als populär.Die Umstrittenheit ergibt sich aus ungewohnten, anfangs noch lange nicht mehrheitsfähigen politischen Vorhaben. Die Popularität beruht im Kern auf einer weithin dem herrschenden Apparat des Außenministeriums angepassten Amtsführung. So wird kein Anstoß erregt, freilich auch keiner gegeben.Willy Brandt zum Beispiel, Außenminister in der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD von 1966 bis 1969, musste sich mit Hilfe Egon Bahrs zunächst einen Planungsstab als eine Art Gegenapparat im Bonner Auswärtigen Amt aufbauen. Nur so konnte er seine Vorstellung - es war durchaus eine Vision - von einer Vertragspolitik mit dem Ostblock, einschließlich des anderen deutschen Staates, in Planszenarien mühsam gegen das widerstrebende Haus konkretisieren.Den Apparat nicht zu irritieren und etwaige eigene Entwürfe aufs Marginale oder auch nur hochgestimmte Verbale zu beschränken, sichert dagegen dem Minister eine gute Nachrede, sofern er auch sonst die Mitarbeiter im dienstlichen Umgang rücksichtsvoll behandelt. Es zahlt sich aus: zunächst innerhalb des Amtes und von dort ausgehend alsbald auch in der Öffentlichkeit. Die Beamten selber streuen absichtsvoll die gute Meinung, die sich über den vorgesetzten Politiker bilden soll, denn ein populärer Minister gibt sich halbwegs zuverlässig zufrieden mit den Vorlagen, die auf seinen Tisch kommen.Im selbstsicheren Apparat des Auswärtigen Amtes, der von seiner hohen Fachkenntnis durchdrungen ist - von der er aber auch von Fall zu Fall eingeengt wird -, blieb Außenminister Brandt für alle erkennbar umstritten. Das lag gewiss auch daran, dass mit ihm ein Emigrant, ein Roter, ein Mann ungewisser, unehelicher Herkunft in das seit 1949 christlich-demokratisch geprägte Ministerium kam. Die Restauration herkömmlicher Mächte und Konventionen war in Westdeutschland nach dem Krieg binnen kurzem sehr konkret geworden; nicht zuletzt in der hohen Ministerialbürokratie.Aber weit stärker doch, so ließ sich aus beobachtender Nähe erkennen, entsprang die heftige Umstrittenheit, die einige Male bis in bösartige Illoyalität gegenüber Willy Brandt hinein führte, dem eingepflanzten Misstrauen des Apparats gegen eine - im Ansatz wirklich radikal - neue Außenpolitik. Wohin sollte das führen: Entspannungssuche auch im Osten, und dies nicht nur rhetorisch? Die Anerkennung des Status quo als Voraussetzung für dessen schrittweise Überwindung? Inzwischen hat sich dieser außenpolitische Schritt als der wohl folgenreichste der Bundesrepublik erwiesen.Willy Brandt war imstande, durch ein schier undurchdringliches Dickicht eine Schneise zu denken. Aber am Ende der Schneise, so reagierte der Apparat überwiegend reflexhaft, würde alles im Ungewissen liegen. Nichts war rechtlich abgesichert; fraglich war, ob die USA die Westdeutschen gewähren lassen würden; nicht denken ließ sich, dass die etwaige Anerkennung des Phänomens »DDR« vielleicht unumgänglich werden würde. Die Warnungen der - offen wie verstohlen - lange andauernden Opposition im Amt vor den Ungewissheiten der neuen Politik waren pflichtgemäß. Stil und Art der Opposition waren es oft nicht. Ich denke, dass sich genau in diesem Konflikt das politische Durchhaltevermögen und die konzeptionelle Bedeutung der Arbeit eines Außenministers erweisen. Unumstritten, gar messbar populär ist Brandt seinerzeit in der Mehrheit der Öffentlichkeit niemals gewesen.Ach, die Artenvielfalt der Außenminister. Ganz natürlich muss in ihr früher oder später eine Variante auftreten, die ihr Amt zunächst einmal dazu benutzt, ihre Regierungsbrauchbarkeit um jeden Preis nachzuweisen. Das ist nicht gegen den naturgemäß eher verharrenden als vorantreibenden Apparat zu leisten. Etwaige abweichende politische Ideen, für deren Verwirklichung man einst gewählt werden wollte, müssen auf eine reibungslose Anpassung an die Vormacht USA reduziert werden, was dann freilich in den Motiven überhöht, sozusagen geadelt werden muss.Dabei wächst die Notwendigkeit, endlich eine angemessen realitätsbezogene europäische Politik unter Einschluss Deutschlands innerhalb aller internationalen Verflechtungen, einschließlich der USA, grundlegend neu zu bedenken. Derzeit geschieht konzeptionell wenig anderes als das im Grunde planlose - und teure - Herumdoktern an der Lage, wie sie vor zehn Jahren in Europa und daraus folgend in der Welt entstanden ist.Der Amtsapparat dankt es der Ministervariante, die unter diesen unsicheren Verhältnissen gedanklich jetzt nicht stört. Die unzweifelhaft hohe Sachqualität der Beamten im Detail vermittelt in der täglichen Morgenbesprechung mit dem Chef das beruhigende Gefühl, die Welt einigermaßen im Griff zu haben oder sie doch wenigstens ohne weitere, ungewöhnliche Bemühungen bis zum nächsten Ernstfall sich selbst überlassen zu können. Wenn dann ein solcher Minister in ordentlichem Schuhwerk einher kommt, was freilich ganz ideologiefrei zu empfehlen ist, so hilft ihm der Apparat über jede Straße und steckt ihm Sprechzettel - stilistische Änderungen bleiben dem Chef unbenommen - in jede Tasche.Und die deutschen Fernsehzuschauer freuen sich zu sehen, wohin eine Amtsinhabe einen Menschen führen kann. Meinungsumfragen belegen es. Die Vielzahl kleidsamer Fernsehauftritte - für das demokratische Publikum am TV-Schirm die fassliche Konkretisierung von Außenpolitik - kaschiert für längere Zeit einen etwaigen Mangel an sachlicher Substanz. Die Politik ist von den Inhalten auf die Vermittlung der gefälligen Interpretation der Inhalte abgesunken.Offenbar verführt kein anderes Amt eine bestimmte Art politischer Begabung so leicht dazu, sich überparteilich zu wähnen wie das Auswärtige. Die dafür hilfreichen Selbsttäuschungen liegen stets nahe. Die Basis, auf der ein solches Talent einst fußte, wird zum Schemel.