Rechthaberei macht die Welt nicht besser

Themenwechsel Nicht der Militanz, sondern dem Abbau von Grundrechten sollte die Aufmerksamkeit gelten

Erneut wird in der Linken die Gewaltfrage debattiert. Nachdem am 2. Juni die Großdemonstration gegen die G 8 in Auseinandersetzungen endete, gingen Vertreter von Attac auf Distanz zum Schwarzen Block. Der Schriftsteller Raul Zelik kritisierte daraufhin die einseitige Fokussierung auf die Mit-Demonstranten (Freitag 23/07). Wer Gewalt ablehne, müsse auch das Handeln der Polizei verurteilen. Eine Distanzierung von Mitstreitern führe, so Zelik, zur Annäherung an eine potenziell gewalttätige Staatsmacht. In einer Replik betonte Peter Wahl vom Attac-Koordinierungskreis, die Gewalt in Rostock sei von einzelnen Demonstranten ausgegangen (Freitag 25/07). Strukturelle Gewalt rechtfertige nicht die unmittelbare physische Gewalt. Die dürfe auf Demonstrationen nicht geduldet werden. Ihm antwortet Günter Küsters von Attac Köln.

Viele Aktive wollen Lehren aus den bewegten Tagen an der Ostsee ziehen. Peter Wahl aber zeigt sich im Freitag rechthaberisch: Seine Distanzierung von den Autonomen, ausgesprochen am Tag nach der Auftaktdemo, erhält er aufrecht. Damit schließt er vorschnell eine ganze Strömung von weiteren gemeinsamen Aktionen aus.

Zunächst habe ich, wie zahlreiche Mitstreiter bei Attac, Wahl entschuldigt. Wir hofften, seine Äußerungen seien aus dem Druck erwachsen, den die geballte Pressemacht führende Innenpolitiker erzeugt hatten. Tatsächlich bestand nach den Ausschreitungen am Rande der Kundgebung so etwas wie ein Erklärungsnotstand: Laut schallte die Forderung, die Organisatoren sollten verurteilen, sich distanzieren, gar in einer Art Amtshilfe die Polizei dabei unterstützen, Steinewerfer aus dem Kreis der Autonomen zu verhaften. Die Demo-Leitung befand sich in einer schwierigen Lage, es fehlte an eigenen Informationen, um das Geschehen überblicken zu können. Der ständige Hubschrauberlärm über dem Kundgebungsplatz, der Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas auch gegen friedliche Demonstranten - all das sorgte zusätzlich für eine chaotische Stimmung.

In Erinnerung an frühere Großdemonstrationen in der BRD hätte man in Rostock Polizisten in der üblichen grünen oder blauen Dienstuniform erwarten können. Stattdessen setzte die Staatsgewalt auf Machtdemonstration, nicht auf Deeskalation: Das Demonstrationsrecht wurde wiederholt in Frage gestellt.

Der Abbau von Demokratie, das massive Aufgebot von Sicherheitskräften bis hin zum Einsatz der Bundeswehr und sollten die Globalisierungskritiker einschüchtern und mundtot machen. Doch nun haben sich die politischen Kräfteverhältnisse nach Jahren von Aufklärung und Protest zu unseren Gunsten verschoben. Im Vorfeld der Großdemo am 2. Juni haben wir jedoch kaum bedacht, dass die Globalisierungsgewinnler dies nicht so einfach hinnehmen werden.

Grundrechte werden zunehmend eingeschränkt, Überwachungstechniken vervollkommnet, manche wollen die Bundeswehr im Inneren einsetzen und die Polizei mit Gummigeschossen ausstatten - und wir sollen über Militanz in unseren Reihen debattieren? Sollten wir nicht eher den Charakter und die Rolle des Staates diskutieren und seine Wandlung vom Rechts- zum Sicherheitsstaat?

Bevor man abschließend urteilt, sollte man ein paar Dinge klären: Warum wurde bei der Demonstration noch während der Auseinandersetzungen die Polizei-Einsatzleitung ausgetauscht? Warum stand das fragliche Polizeiauto am Rande des Kundgebungsplatzes? Traten, wie Teilnehmer bezeugen, schon an diesem Tag agents provocateurs auf?

Statt einen Untersuchungsausschuss zu fordern, gibt sich Peter Wahl im Freitag mit der herrschenden Sicht der Dinge zufrieden und zieht über vermeintliche nützliche Idioten im Lager der Autonomen her: "Natürlich gibt es sie, die agents provocateurs ... Und garantiert gibt es sie auch unter schwarzer Kapuze." Obwohl das Geschehen bis heute nicht geklärt ist, will er die Autonomen nicht mehr als Bündnispartner dulden, wie er gegenüber dem Sender n-tv erklärte.

Natürlich: Die Ausschreitungen sind zu verurteilen. Es ist aber falsch, in einer derart unübersichtlichen Situation vorschnell die Zusammenarbeit aufzukündigen. Rückblickend gebührt all jenen Dank, die unmittelbar nach der Demo in den Camps die Lage diskutierten, um anschließend die Blockaden diszipliniert und friedlich zu Ende zu führen - gemeinsam mit den Autonomen.

Für die Zukunft heißt das: Ziviler Ungehorsam sollte verstärkt in die Aktionsformen von Attac aufgenommen werden. Die Autonomen gehören weiter zum breiten Bündnis - sie sind aber aufgefordert, sich Kritik und Debatte innerhalb der Linken zu stellen. Die Bilder der Straßenschlachten spielen schließlich auch den staatlichen Organen in die Hände.

Günter Küsters lebt in Köln und ist Mitglied im Attac-Arbeitskreis WTO und Weltwirtschaft.


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