Ist das alles? Das fragten sich Betty Friedan und ihre ehemaligen Kommilitoninnen ängstlich, als sie im Jahre 1957 nach 15 Jahren zum Klassentreffen zusammen kamen. Der Abschlussjahrgang des privaten Smith Women College von 1942 traf sich und tauschte Erfahrungen aus. Was den Frauen unangenehm zu Bewusstsein kam, war, dass sie trotz ihrer sehr guten Ausbildung ausnahmslos das Leben von Vororthausfrauen und dienstbaren Geistern für ihre gleich gut qualifizierten Ehemänner führten.
Ist das alles? Die Frage machte die Runde, und Betty Friedan, die zu jener Zeit drei Kinder großzog und als freie Autorin arbeitete, entwickelte einen Fragebogen und bot verschiedenen Magazinen erfolglos ihre Reflexionen über dieses Treffen an. Erst nach fünf weiteren Jahren Recherche entstand ihr Buch The Feminine Mystique (deutsch 1966: Der Weiblichkeitswahn), das 1963 in den USA mit einer Auflage von zunächst 3.000 Exemplaren erschien, die bald auf drei Millionen erhöht werden musste.
Der Vorwurf, sie habe ihre Theorie aus privaten Anekdoten weißer Mittelschichtsfrauen entwickelt, war so zutreffend wie frauenfeindlich. Denn diese Frauen waren nun einmal die erste Generation nach dem 2. Weltkrieg, die zwar die gleichen Bildungschancen wie ihre männlichen Altersgenossen hatte, aber dennoch wie zuvor ihre Mütter zu Hause bleiben sollte. Das Unglück der Ehefrauen, ein Problem, das bis dahin keinen Namen hatte, wurde durch Betty Friedans Beschreibung zu einem internationalen Synonym für die Notwendigkeit einer Frauenbefreiungsbewegung. Das women´s liberation movement war zwar in den USA schon an den Unis aus der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und der Arbeiter(innen)bewegung für gleiche Bezahlung entstanden. Doch Betty Friedan wusste mit ihrem unerwarteten Bucherfolg vom Weiblichkeitswahn politisch strategisch zum Nutzen aller Frauen umzugehen.
Im Juni 1966 lud sie die Vertreterinnen der Automobilgewerkschaft und der Bürgerrechtsbewegung beim dritten Treffen des Frauenausschusses in Washington zu einer gemeinsamen Debatte ein. Aus diesem Treffen entstand die National Organisation for Women (NOW), deren erste Präsidentin Betty Friedan wurde. Sie legte Wert darauf, dass NOW nicht nur eine Organisation von Frauen, sondern auch von Männern für Frauen sein konnte.
NOW hatte sich von Anfang auf zur Aufgabe gemacht, das Versprechen des 1961 eingesetzten Frauenausschusses nach Antidiskriminierung wahrzumachen. Dieser Ausschuss war auf Druck der Arbeiterinnenbewegung eingerichtet worden, ohne bis 1963 Ergebnisse erzielen zu können. Auf Druck der Ausschussfrauen wurde dann ein erster Report verfasst, der bestätigte, was bekannt war: Obwohl die Frauen durch die erste Frauenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts das Wahlrecht erhalten hatten, blieben sie in nahezu allen Lebensbereichen diskriminiert. Betty Friedan und viele andere beobachteten diesen Prozess nicht nur mit Ungeduld, sondern wollten ihrem Anspruch nach Gleichheit wie die Bürgerrechtsbewegung mit neuen Strategien zum Erfolg verhelfen. Gleichheit bedeutete für sie vor allem, dass Frauen nicht allein für die Erziehung der Kinder verantwortlich sein sollten, sondern sich die Gesellschaft in Form von ganztägigen Kinderbetreuungs-Einrichtungen daran beteiligen sollte. Zusätzlich setzte sich NOW von Anfang an für das Recht der Frauen auf Abtreibung ein. NOW entwickelte sich schnell zu einer landesweiten Organisation, die überall Büros unterhielt und heute noch circa 500.000 Mitglieder hat.
So gut Betty Friedan als öffentliche Sprecherin auf Podien überzeugen konnte und Frauen zu politisieren wusste, so sehr fehlte ihr die Kompetenz zur Kooperation mit Gleichgesinnten. Sie konnte mit den jüngeren, radikaleren Frauen des women´s liberation movement, die der NOW ab Ende der Sechziger Jahre zuströmten, nicht gut umgehen. Der antihierarchische Anspruch jener Zeit war für Betty Friedan eine Zumutung und das feministische Begehren, Sexualität neu zu diskutieren, eine Peinlichkeit. Sie begann sich von den radikaleren Mitstreiterinnen zu distanzieren und diese distanzierten sich von ihr.
Linke Feministinnen würdigen sie bis heute als eine engagierte, bürgerliche Gleichheitspolitikerin. Anders als diejenigen, die mit allen Themen auch die Systemfrage stellen wollten, blieb sie bei ihrer Passion für das Mögliche. Sie wollte die Energie des Widerstands für die Gleichheit der Frauen umsetzen und sich nicht, wie die Frauen des women´s liberation movement gleichzeitig mit Kapitalismus, dem Krieg in Vietnam und der völligen Umkrempelung des privaten Lebens beschäftigen. Sie mochte dem Schlachtruf "Das Persönliche ist politisch" nicht in die private Selbstbeobachtung der Selbsterfahrungsgruppen folgen. Als Vertreterinnen von women´s liberation 1968 die Miss-Amerika-Wahlen erfolgreich störten und damit in alle Medien gelangten, war Betty Friedan nicht länger die Repräsentantin der neuen Frauenbewegung.
Noch bevor sie von der NOW-Präsidentschaft abgelöst wurde, gelang ihr 1970 ein Coup, als sie auf einer Massendemonstration auf der New Yorker 5th Avenue zu einem Frauenstreik zugunsten gleicher Löhne für Frauen aufrief. Sie marschierte dort Hand in Hand mit einer Suffragette aus der 1. Frauenbewegung, um auf diese Weise die Notwendigkeit des kontinuierlichen Kampfes um Gleichheit der Frauen zu dokumentieren. Das machte es den Medien leicht, sie und ihre Ideen als alt und obsolet abzustempeln, während die jungen Feministinnen als zwar politisch irre, aber sexy und hip vermarktet wurden.
Betty Friedan war eine radikale Gleichheitspolitikerin, allerdings nicht wenn es um die Rechte lesbischer Frauen ging. Sexualität galt ihr als Politikum im Hinblick auf Mutterschaft, aber nicht als Frage des Lebensstils. Als lesbische Frauen innerhalb von NOW das Thema auf die Antidiskriminierungs-Agenda setzen wollten, wollte Betty Friedan nicht mitgehen, diffamierte sie gar öffentlich als "lavender menace", als "lila Übel". 1970 musste sie die NOW-Präsidentschaft abgeben, weil sie nicht mehr über genügend Rückhalt verfügte. In späteren Jahren nahm sie es ihren ehemaligen Mitstreiterinnen übel, dass sie bei Feierlichkeiten übergangen wurde. Beim 25-jährigen Jubiläum 1992 in Washington war sie schließlich eine von vielen. Es war der Einzelkämpferin anzusehen, dass ihr das nicht recht behagte.
Doch was war das Geheimnis von Betty Friedan? Ende der Neunziger Jahre, als ich sie bei einer Konferenz in New York über Armut debattieren hörte, verstand ich, was ihr gelang. Als die anderen, gleichfalls Wohlhabenden auf dem Podium von den unbezahlbaren sozialen Kosten sprachen, reagierte sie scharf: "Okay, dann lasst uns die Armen umbringen." Ich habe selten eine so aufklärende Debatte über die Ungerechtigkeit erlebt, bei der die Anklagende keine Verliererin war. Man muss sie sich als eine feministische Erleuchtung von Marcel Reich-Ranicki vorstellen.
Eloquent, kämpferisch und unterhaltsam. So lange sie konnte, war sie auf Tour, weltweit wurde sie auf Konferenzen eingeladen und war präsent. Sie war als Persönlichkeit eine Radikale des Augenblicks, verehrt und gefürchtet und viel zu unberechenbar, um mit ihr rechnen zu können. Das zeigte sich auch, als sie 1981 ihr zweites Buch The Second Stage (Der zweite Schritt) veröffentlichte und harsche Kritik an den vermeintlichen feministischen Verirrungen übte. Die Frauenbewegung sei zu lesbisch und zu links gewesen, sie habe die gesamte Gesellschaft verändern wollen und damit letztlich nur den Rechten den Weg geebnet, lautete ihr strenges Verdikt.
Mit diesem Buch hat Betty Friedan für lange Zeit die Sympathien der radikaler gewordenen Gefolgschaft verloren, ohne die der Rechten für sich gewinnen zu können. Selbst die Frauen, die erst durch die Lektüre von Friedans Weiblichkeitswahn politisiert worden waren, mochten sich nun nicht länger auf sie beziehen. Die Linken wollten sie nicht verteidigen, ohne dass die Rechten ihre Angriffe auf sie deswegen eingestellt hätten.
Seit den neunziger Jahren beschäftigte sich Betty Friedan mit der unwürdigen Behandlung von Alten. In ihrem Buch The Fountain of Age (deutsch: Mythos Alter) setzte sie sich dagegen ebenso vehement zur Wehr wie einst gegen den Weiblichkeitswahn. Obwohl das Buch sich gut verkaufte und in viele Sprachen übersetzt wurde, konnte sie damit nicht an ihren frühen Erfolg anknüpfen.
Bis heute bekämpfen die aktiven Rechten des Magazins Human Events in den USA Betty Friedans Weiblichkeitswahn. Noch im Mai 2005 setzten sie es auf der "Liste der schädlichsten Bücher des 19. und 20. Jahrhunderts" ein. Damit ist Betty Friedan die einzige Frau und der Weiblichkeitswahn in illustrer Runde von Kommunistischem Manifest, Hitlers Mein Kampf, der Mao-Bibel, dem Kinsey-Report, John Deweys Democracy and Education und dem Kapital. Ungeheuerlich ist die Begründung: Betty Friedan setze "das traditionelle Leben der Mutterschaft mit einem Leben in einem komfortablen Konzentrationslager" gleich. Zudem sei sie seit ihren Mittdreißigern eine stalinistische Marxistin gewesen, eine nahe Vertraute der US-Führer der 5. Kolonne im Kalten Krieg. Und weiter: "Ein ungenannt gebliebener, kommunistischer Physiker in Berkeley war ihr Liebhaber" und habe mit Robert Oppenheimer an der Atombombe gearbeitet.
Bei allem backlash - vor dem gerade Betty Friedan immer wieder gewarnt hat: Mit ihrem Tod ist der historischen Dramaturgie ein gerechter Coup zu ihren Ehren gelungen. Als die "staubigste Ikone des modernen Feminismus" am 4. Februar verstarb, war sie die Top-Nachricht eines Top-TV-Abends. Ausgerechnet während der Übertragung des diesjährigen Super Bowl in Detroit zur teuersten Sendezeit gab man Betty Friedans Tod als "Nachricht des Tages" bekannt. Wieder und wieder wurde aus dem Weiblichkeitswahn zitiert, bis schließlich ein Interview mit ihr aus dem Archiv gesendet wurde. Sharon Stone und Hillary Clinton rühmten Friedans Verdienste öffentlich, in Internetforen begeisterten sich - nicht anders als vor vierzig Jahren - Männer und Frauen über ihre Thesen und das Selbstbewusstsein, mit dem sie sich dem Weibchen-Image widersetzte und die Möglichkeiten eines freieren Frauenlebens proklamierte. So gelang Betty Friedan postum, was sie sich zeitlebens gewünscht hatte: die Anerkennung des Mainstream-Amerika.
Was bleibt? Keine der Forderungen von Betty Friedan, wie das Recht auf Abtreibung, rund um die Uhr geöffnete Kindergärten und gleiche Bezahlung für Männer und Frauen, haben sich erfüllt. Und doch hat Betty Friedan vorgemacht, wie unwürdig manche Illusionen sind. In einer Zeit, in der Fernsehsoaps mit Vorortdramen Kasse machen, bleibt Betty Friedan die wahre Stimme der desperate housewives.
Halina Bendkowski ist Agentin für Geschlechterdemokratie und traf Betty Friedan in den neunziger Jahren verschiedentlich.
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