Der Begriff Emanzipation hat wie viele andere das einst linke Lager gewechselt. Schon lange zurück wurde die Emanzipation durch rhetorische Überbeanspruchung derartig entleert, so dass Klügere begannen, von Emanzipation nicht mehr nebenbei zu sprechen. So links liegen gelassen, aber mental verbreitert, las die Werbeindustrie diese Hülse wieder auf. Nun, da Emanzipation ganz auf den Status quo reduziert ist, geben sich auch die modernen NATO-Vertreter engagiert emanzipiert. Was sich heute »robust« als Realpolitik empfiehlt, hat aber mit den Realitäten nur soviel zu tun, wie die Realpolitiker predigen.
Die Freitag- Debatte zum deutschen Sonderweg zeigt deutlich, wer am »realistischsten« ist. Karsten D. Voigt, »Koordinator der deutsch-amerikan
nator der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit« setzt einen unerreichten Maßstab an: »Bündnistreue als Emanzipation.« Seine Realitäts tüchtigkeit hat insbesondere Arno Klönne als eine der bloßen Macht verpflichtete Realitätsverblendung bereits kritisiert: »Bündnis(un)treue als Popanz.«Wenn man den vierteljährlichen NATO-Brief ( gratis beim Presse-und Informationsamt zu abonnieren!) versucht zu lesen, um die NATO-Strategien besser zu verstehen, wird man auch nicht wissender. Dort, wie beim Koordinator, herrscht die no-sense Sprache vor, die alles Nachfragen zum Nonsens erklären will. Im NATO-Brief herrscht eine Bulletin-Rhetorik, die auf das Agreement mit der Global-Allianz abzielt und zur Sprachangleichung aller aneinander dient. Bebildert ist das Magazin mit kantig entschlossen dreinschauenden NATO-Politikern - dazu Madeleine Albright - und Soldaten in Uniform, die weinende Frauen verschiedenen Alters trösten.Karsten D. Voigts geostrategischen Überlegungen zur Sicherheitsbehauptung bemühen nicht einmal das Moralin der Frauenopfer-Bilder und auch nicht das, was sein SPD-Kollege im Verteidigungsamt, Rudolf Scharping, in seinen Pressekonferenzen während des Kosovokriegs so arg strapazierte: Mitleid mit den Frauen und Kindern, aber kein Verständnis für die Deserteure aller Seiten. Karsten D. Voigt meldete, knapp militärisch schlussfolgernd, die Bündnistreue als Emanzipation vollzogen an und damit basta.! Alles andere widerspräche seiner Meinung nach den deutschen Interessen und sei von daher abzulehnen. Doch wen wundert dieser Marschmarschton noch? Nicht einmal seine früheren Juso-Genossen raufen sich die Haare ob solcher Orwelliade.Was mich wunderte und immer noch entsetzt, ist die Entwicklung der Grünen. Von den Grünen hatten die WählerInnen und AktivistInnen erwartet, dass sie sich keiner NATO-Doktrin einfach unterordnen und einen, ja »grünen Sonderweg« in der deutschen Sonderwegsdebatte antimilitaristisch diskutieren. Der Kosovokrieg hat wieder alle auf einen Mann gebracht. Die Auswirkungen der Kollateralschäden nach der militärtechnologischen »Balkanisierung« des Balkans sind bei weitem noch nicht ausgemacht. Die deutschen Grünen waren besonders in den USA für ihre Aufmerksamkeiten in der Ökologie, Geschlechterdemokratie und Gewaltfreiheit so ernst genommen, dass wieder Hoffnung bestand. Nicht das Washingtoner Establishment, wohl aber all jene, die auf eine Repolitisierung der Politik setzten und dafür transatlantische Verstärkung bei den deutschen Grünen suchten, sind herb enttäuscht.Als ob ihre 20-jährige Geschichte in Deutschland ein ABM-Projekt zur Regierungsveranwortung gewesen sei, sind die Grünen mit ihrem Regierungserfolg gescheitert. Ihr Fischen in der Mitte versagt in und an der Gegenwart. Wie es Joschka Fischer vor allem gelungen ist, immerzu den Helden zu geben; vom gefährlichen Straßenrevoluzzer gegen das System bis hin zum gefährdeten Repräsentationspolitiker des gleichen Systems, ist schon ein eigenes Kunststück, das der Würdigung bedarf. Er ist der mit Abstand beliebteste deutsche Politiker und wird es auch noch länger bleiben. Keinem gelang die Mobilanpassung so gut, und den schnellen Medien gefällt jedes Machtwort, das männermarkig daherkommt. Dass einer der Grünen so weit durchkam, macht den Rest noch anfälliger für Nachäffereien.Am 51. Tag des Kosovokrieges, am Himmelfahrtstag dieses Jahres, am 13. Juni trafen sich die Grünen zur 2. Außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz in Bielefeld, um für oder gegen ein Votum der grünen Kriegsunterstützung zu diskutieren. Bei dieser Debatte, die auch rückblickend als Höhe- und Glanzpunkt grüner Diskussionskultur angesehen wird, verloren die Grünen dennoch ihren gemeinsamen Geist. Dafür aber behielten einige ihre soeben eingenommenen Regierungs- und Verwaltungsjobs - und ließen ihre motiviertesten Frauen und Männer im Orkus verschwinden.So schlicht diese Erklärung ist, so wahr ist sie leider auch. Nachdem Joschka Fischer das Außenministerium endlich geschafft hatte, konnte ihn nichts mehr davon abbringen. Manche seiner KollegInnen sprachen von ihm, wie von einem Kind, das nach solch harten Wahlkampfeinsätzen halt den Rappel verdient, den es so begehrte.Obwohl die Grünen - prozentual einst wesentlich stärker - bereits in verschiedenen Landesparlamenten Erfahrungen mit der SPD gesammelt hatten, von der sie noch jedesmal thematisch und politisch geschwächt wurden, glaubten sie nun, als 6, 9-Prozent-Partei bundespolitisch relevant zu werden. Doch mit welchen Themen? Immer noch mit Ökologie, immer noch mit einem legitimen Quotennerv und mit Gewaltfreiheit?Joschka Fischer sprach es in seiner Rede beim Kosovo-Treffen geradewegs aus. Ihm war klar, dass er als regierungswilliger Außenminister das Erbe der Vorgänger zu übernehmen hatte. Glaubten die Grünen tatsächlich diesem Ruf nach Führung unter Preisgabe ihrer selbst folgen zu dürfen? Man musste keine Militärspezialistin sein, um von Anfang an zu sehen, dass der NATO-Einsatz sein Ziel, den Flüchtlingen zu helfen, verfehlte. Dabei wäre es die Aufgabe gewesen, die Militärs zu zwingen, Schutz für die massenhaft bedrohten Menschen bereitzustellen.Die Regierungsgrünen, und allen voran der Außenminister, bemühten die Lehren aus Auschwitz, die Deutschen nie wieder aus der Westbindung zu entlassen. Das Los traf mich - kein Mitglied, wohl aber aktive Unterstützerin der Grünen von Anbeginn - bei der 2. Außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz, gegen Ende der freien Aussprache auch sprechen zu dürfen. Ich fühlte mich besonders verpflichtet, die Auschwitzlehre anders zu deuten, nämlich nie mehr abzuwarten, bis Konflikte nur noch mit dem Militärisch-Industriellen Komplex zu verminen sind. War das nicht die Stärke der Grünen in der Opposition, Probleme zunächst kompromisslos zu analysieren? Ist das etwa kindisch? Auschwitz ist schließlich nicht das Symbol der alliierten Befreiung.Leider bekam ich erst später das Flugblatt der Grünen Partei aus den USA in die Hand, in dem über 250 US-amerikanische Jüdinnen und Juden ihre deutsche Schwesterpartei baten, die »Tragödie des Holocaust,« nicht für Clintons Machtpolitik heranzuziehen. Doch die US-amerikanischen jüdischen Grünen sind für die deutschen Grünen nicht mehr interessant, seitdem der Ruf nach Führung bedeutet, erwachsene deutsche Politik zu betreiben.Das Versagen der deutschen Grünen im Kosovo-Krieg ist gerade deshalb historisch zu nennen, weil sie keinen deutschen Sonderweg anmahnten. Doch es hätte nicht dabei bleiben müssen. Aber leider ist das Verschwinden der Grünen nicht mehr aufzuhalten. Eine neue (moderne?) grüne Junggruppe kritisierte die KrtikerInnen, die zum Wahlboykott bei der EU-Wahl aufriefen. Die Modernen bei den Grünen wollen die FDP ersetzen. Nur, die Grünen lebten vom Engagement ihrer UnterstützerInnen und die FDP nicht schlecht von ihren Sponsoren.Die Erosion der Grünen - das zeigen die jüngsten Wahlergebnisse - ist viel dramatischer als bisher oft angenommen. Den Berufsgrünen fällt eine öffentliche Klärung und Orientierung schwer, da sie um ihren Unterhalt fürchten müssen. Die Grünen haben nicht wie andere Parteien für ihre Aussortierten zu sorgen gewusst, also helfen sich die noch Präsenten im Stillen selber. Vielen fehlt jeglicher frühere Enthusiasmus für die gemeinsame Sache. Seitdem Joschka Fischer ganz frisch eine neue Parole ausgegeben hat, dass das Sparen seiner Regierung links ist, obwohl doch von ihm und anderen behauptet wurde, links sei obsolet, kommen viele Anhänger, Mitglieder und Sympathisanten der Grünen nicht mehr heraus aus dem Staunen. Bei der SPD gab es zumindest noch 30 Abgeordnete, die sich schüchtern an ihr Wahlversprechen erinnerten. Doch Revoluz zer konvertieren ganz offensichtlich nachhaltiger.Der Niedergangs der Grünen ist ein Trauerspiel, bei dem sich jede Häme verbietet. Wir erleben das Scheitern einer Generation, die nach 1968 nicht das Versagen ihrer Eltern wiederholen und sich mit ihren grandiosen Oppositionserfolgen nicht bescheiden wollte.Unsere Autorin ist langjährige wissenschaftliche Beraterin der Grünen und Initiatorin der Geschlechterdemokratie-Debatte
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