Eingemauert in Ruinen

Nordafrika Die Militärs in Ägypten unterlaufen die ­Demokratie. Wenn die ­Revolution scheitert, hat das schlimme Folgen für Europa

Erneut steht Ägypten am Scheideweg. Seit neun Monaten sind die Generäle an der Macht und haben alle Hoffnungen zunichte­gemacht, die sich mit diesem Übergangsregime verbanden. Sie haben weder für Stabilität in der Region gesorgt, wie es sich der Westen nach dem Sturz des Diktators Mubarak vom Militärrat vor allem erhoffte. Und sie blockieren den Übergang zur Demokratie, den sie dem Volk auf dem Tahrir-Platz versprochen hatten. In der Woche vor den Parlamentswahlen zeigt sich: Die mächtigen Männer in Uniform stehen für Stagnation. Sie haben in den vergangenen Monaten alles getan, um den Erfolg der Demokratiebewegung zu unterlaufen und die eigene Macht abzusichern.

Eigentlich sollten die Wahlen, die am Montag beginnen, ein neues Zeitalter am Nil einläuten: den Aufbruch zur Demokratie, zu einem freien Ägypten. Die jüngsten Szenen vom Tahrir-Platz aber wirken wie eine Zeitreise zurück in den Januar. Es ist erschreckend, dass sich die Offiziere genauso verhalten wie Mubarak in den letzten Tagen seiner Herrschaft: Mit großer Härte gehen sie gegen die Demonstranten vor, die in den vergangenen Tagen erneut Wandel eingefordert haben. Aus dem arabischen Frühling am Nil droht eine gescheiterte Revolution zu werden.

Dabei zeigt ein Blick in das Nachbarland Tunesien, dass es auch anders geht. Die Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung sind weitgehend friedlich verlaufen. Ein ziviler Übergangsrat hat dort die Regierungsgeschäfte übernommen. Die Demokratie beginnt, feine Wurzeln zu schlagen.

In Ägypten dagegen drohen Chaos und Gewalt. Denn die Militärs sind eng mit Mubarak und dem alten Regime verflochten. Es geht um Waffengeschäfte, um Netzwerke, die viel Geld bringen, um eine Ökonomie, in der Wirtschaftsbosse nicht Krawatten, sondern Schulterklappen tragen. Da ist Demokratie schlecht fürs Geschäft.

Eine der Lehren aus der Mubarak-Diktatur lautet: Niemand darf über dem Gesetz stehen. Auch das Militär nicht. Sonst löst eine Form der Bevormundung die andere ab. Es ist es schon fast so weit. Die Offiziere haben sich an den Schalthebeln der Macht bequem eingerichtet. Und deshalb nimmt keiner der Demonstranten den Militärs die Zusage ab, im nächsten Jahr zugunsten einer Zivilregierung abzutreten.

Der Westen mag in diesen Tagen anderes zu tun haben, als sich mit Nordafrika zu beschäftigen. Aber es wäre ein schwerer Fehler, den Wandel zu verschlafen. Bleibt Nordafrika Unruheherd, könnte das für Europa wesentlich teurer werden als die griechische Schuldenkrise. S­chon jetzt lebt Ägypten fast ausschließlich von Währungsreserven, die bald verbraucht sein werden. Sollte der Staat mit seinen 85 Millionen Einwohnern scheitern, dann wird Europa viel Geld in die Hand nehmen müssen, um eine Katastrophe abzuwenden.

Doch vom Engagement westlicher Staaten ist kaum etwas zu bemerken. Außenminister Guido Westerwelle ergeht sich in wohlfeilen Appellen, seit er sich auf dem Tahrir-Platz fotografieren ließ. US-Präsident Barack Obama hat seinen Frieden mit dem Militärrat geschlossen, weil er glaubt, er halte die Stabilität in der Region aufrecht. Der gleiche Militärrat, der für die Ausschreitungen bei einer Demonstration von Moslems und Kopten verantwortlich gemacht wird sowie für den Sturm auf Israels Botschaft.

Aber der Westen kann nicht neutral bleiben. Denn die zivile Gesellschaft hat keine Panzer oder Waffen. Sie braucht Hilfe. Es reicht einfach nicht, ab und an einen Blogger einzufliegen, ihn zu sich aufs Podium zu setzen und solidarische Worte zu sprechen. Obama, Merkel und Sarkozy müssen deutlich machen, dass der Militärrat für sie in der Zukunft kein Partner sein wird.

Die Zurückhaltung des Westens speist sich auch aus der Sorge vor den Islamisten. Es gibt wohl kaum einen Begriff, der mit mehr Klischees behaftet ist. Es stimmt: Die Fundamentalisten der Muslim-Bruderschaft sind auf dem Weg, bei den Wahlen eine Mehrheit zu erringen. Wahr ist aber auch: Die Angst davor ist im Westen maßlos übertrieben. Es ist erstaunlich, dass in den Mutterländern der Demokratie das Vertrauen in demokratische Prozesse so gering ist. Sind diese gestartet, ist auch von den Islamisten kein großer Schaden zu erwarten. Sie können sich eben nicht – wie im Iran – in einen Gottesstaat zurückziehen. Dafür sind die Probleme zu groß und die ökonomischen Grundlagen zu schmal. Auch deshalb versuchen sich die Islamisten in einer neuen Form des politischen Islam: den pragmatischen Islamismus, der Touristen und ausländische Investoren nicht abschreckt. Sie haben keine andere Chance, als sich politisch zu bewähren.

Auch nach einer freien Wahl wird Ägypten noch keine gefestigte Demokratie haben. Wir sollten uns da keine Illusionen machen. Auch Frankreich war wenige Monate nach dem Sturm auf die Bastille weit von Demokratie entfernt. Die Ziele einer Revolution setzen sich immer erst in der zweiten Generation durch. Es hat keinen Sinn, im Namen des Konsens auf den Trümmern alter Häuser neue zu bauen. Die Trümmer müssen beseitigt und die Ruinen niedergerissen werden. Das braucht Zeit. Aber diese Zeit müssen wir uns nehmen.

Hamed Abdel-Samad ist deutsch-ägyptischer Politikwissenschaftler und Autor

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