Die Elite schmückt sich

Reichtum Oxfam wollte in Davos die steigende Ungleichheit zum Thema machen. Das konnte nicht klappen
Ausgabe 05/2015

Am ersten Tag des Weltwirtschaftsforums war Klaus Schwab schwer begeistert. Der Erfinder, Organisator und Chef des WEF lobte seine Veranstaltung als „Spiegel der Weltgesellschaft“. Nach Davos kämen nicht nur Staatspräsidenten und Konzernchefs, sondern auch Vertreter und Vertreterinnen der Zivilgesellschaft, um gemeinsam nach Lösungen für die großen Probleme der Welt zu suchen.

Tatsächlich büßte das World Economic Forum in den Schweizer Alpen auch im 45. Jahr seines Bestehens nicht an Attraktivität ein. Ex-FDP-Chef Philipp Rösler, den Schwab nach der letzten Bundestagswahl als Geschäftsführer nach Davos geholt hatte und der nun für die internationalen Regierungskontakte des Forums verantwortlich zeichnet, konnte über 40 Staats- und Regierungschefs begrüßen, mehr als im Jahr zuvor. Der Andrang der Interessierten auf den viertägigen Kongress in der vergangenen Woche war so groß, dass viele keine Eintrittskarte bekamen. Ohnehin drängelten sich über 2.000 Unternehmer, Investoren, Banker, Ökonomen und Politiker in den Gängen und Sälen des Kongresszentrums. Und weil sich das Forum gegenüber seinen Kritikern geöffnet hat, sind mittlerweile auch einige Organisationen der Zivilgesellschaft dabei. Winnie Byanyima, die ugandische Geschäftsführerin der Menschenrechtsorganisation Oxfam amtierte dieses Jahr als Co-Vorsitzende des WEF. Heißt das aber, dass in Davos ein gleichberechtigter Diskurs über Ursachen und Lösungen gesellschaftlicher Konflikte stattfindet?

Nein, ganz und gar nicht. Die Anliegen der Zivilgesellschaft werden beim WEF niemals hegemonial. Sie bleiben Zierde, Beiwerk, allenfalls ein interessanter Gedanke oder ein moralischer Appell. Gut beobachten ließ sich das am Beispiel der Debatte über Ungleichheit. In der Hoffnung, das Thema beim WEF gerade mit Byanyima als Co-Vorsitzender breit diskutieren zu können, veröffentlichte Oxfam zum Auftakt die neue Streitschrift „Reichtum. Alles haben und noch mehr wollen“.

1.600 Milliarden Euro

Die Vermögen der Superreichen sind demnach im Vergleich zum Besitz der großen Bevölkerungsmehrheit weltweit stark gestiegen. Die 80 reichsten Personen der Erde besaßen 2014 mehr Kapital als die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, legte Oxfam dar. 2010 habe dieser Personenkreis der Superreichen noch 388 Menschen umfasst. Die 80 Reichsten kamen auf ein addiertes Vermögen von 1,9 Billionen US-Dollar, nach aktuellem Kurs etwa 1.600 Milliarden Euro. Diese Summe wuchs laut Oxfam um ein Drittel während der vergangenen vier Jahre. Ein wesentlicher Grund sind die gestiegenen Aktienwerte der Unternehmen.

Byanyima sagte, die Ungleichverteilung hemme das globale Wachstum. Arme Menschen könnten weniger an der Wirtschaft teilnehmen als es wünschenswert sei. Um das immer schnellere Auseinanderdriften zu bremsen, forderte die Menschenrechtsorganisation höhere Steuern für große Vermögen. Sie unterstützt die Idee einer globalen Vermögens- und Kapitalsteuer, der zuletzt der französische Ökonom Thomas Piketty Auftrieb verliehen hatte.

Außerdem sollten die Löhne der Beschäftigten in aller Welt angehoben werden. Statt der kärglichen Mindestlöhne, die heute oft die Untergrenze der Bezahlung darstellten, sollten Arbeitnehmern existenzsichernde Einkommen gezahlt werden – auch in den asiatischen Zulieferfabriken von Branchen wie der Textil- oder der Technologieindustrie.

Zumindest vorgekommen ist das Thema Ungleichheit auf der Agenda des Davoser Elitetreffens in diesem Jahr: Eine Diskussion über „inklusives Wachstum im digitalen Zeitalter“ landete bei der Frage, ob die Polarisierung zwischen Arm und Reich in den kommenden Jahrzehnten nicht noch zu wachsen drohe; schließlich schreitet der Einsatz neuer Kommunikationstechnologien voran, die Wegrationalisierung einer Vielzahl von Beschäftigten gerade in der IT-Branche ist absehbar. Die Antwort der auf dem Panel sitzenden Manager des Telefonkonzerns Ericsson, der Kreditkartengesellschaft Mastercard und des indischen IT-Unternehmens Infosys: „Bildung“. Wenn die Kitas, Schulen, Unis und Einrichtungen der Erwachsenenbildung besser würden, könnten die Arbeitnehmer dank höherer Qualifikationen im Arbeitsprozess gehalten werden.

Bei derartigen Feststellungen enden Debatten, wie sie in Davos geführt werden. Benötigt ein besseres Bildungssystem nicht möglicherweise mehr Geld? Muss dieses Geld nicht irgendwoher kommen, muss es nicht irgendjemand bezahlen? Weder die Moderatoren stellten die Finanzierungsfrage noch wurde sie vom Publikum thematisiert. Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums spielte bei diesem Kongress in der Regel keine Rolle. Konsequenterweise gab es im Programm keine einzige Veranstaltung, die sich mit Steuerpolitik beschäftigte. Oxfams Versuch, zusammen mit den Mächtigen aus Wirtschaft und Politik Lösungen für das globale Ungleichheitsproblem vorzubereiten, ist gescheitert.

Nur ganz am Rande, fast verschämt, kam das Thema „Umverteilung“ vor. So brachte das Forum ein Papier heraus, in dem es Politikinstrumente analysierte, die zu einer ausgeglichenen Wohlstandsverteilung führen. Dabei wurde auch die Steuerpolitik genannt. Und der Ökonom Christopher Pissarides erläuterte während einer Pressekonferenz, wie sich auf „intelligente“ Weise Umverteilung bewerkstelligen lasse. Als Beispiel diente ihm Schweden. Dort subventioniere der Staat die Kinderbetreuung, damit auch Beschäftigte mit geringeren Einkommen diese in Anspruch nehmen. Vorteile: zusätzliche Arbeitsplätze in den Betreuungseinrichtungen plus höhere Familieneinkommen für die Beschäftigten, weil dank der Kinderbetreuung Vater und Mutter berufstätig sind. Damit wurde beim WEF wenigstens einmal beschrieben, dass hohe Steuern sozialen Fortschritt bewirken können – wenn man es nur will.

Solche Ansätze spielten im Mainstream des Forums aber keine Rolle. Denn die Hauptrichtung der Diskussionen bestimmten die Wirtschaftsleute, für die das Forum ursprünglich gemacht wurde. Und diese haben wenig Interesse, den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen. Höhere Steuern würden ihren Reichtum schmälern.

So gab es in Davos für jedes Problem der Welt eine Lösung, mit der man Geld verdienen kann. Regelungsmechanismen abseits des reinen Marktes entziehen sich der Vorstellungskraft jener, die sich hier Jahr für Jahr treffen.

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