Das beste Beispiel für eine aufgeblasene Partei hat in den vergangenen Jahren die FDP abgegeben. Zur Bundestagswahl 2009 stiegen die Liberalen auf 14,6 Prozent – um in der Wählergunst bis heute auf Werte um die fünf Prozent abzustürzen. Dieser schnelle Verfall hat nicht nur mit der unzeitgemäßen Programmatik der Freidemokraten und Fehlern beim Regieren zu tun, sondern spiegelt auch die Enttäuschung der Wähler, mit der sich jede demokratische Partei nach dem Eintritt in die Regierung auseinandersetzen muss.
Dies sendet eine Mahnung an die Grünen. Auch der gegenwärtige Aufschwung der Umweltpartei wird nicht ewig dauern – wenngleich ihr Boden nicht so tief liegen dürfte, wie der der liberalen Konkurrenz. Die Grünen profiti
en profitieren von ihrer traditionellen, klaren Profilierung besonders in der Energie- und Klimapolitik, und werden die Grenzen der alten Generationen- und Milieupartei allmählich sprengen.Bis zur nächsten Bundestagswahl könnten den Grünen drei fette Jahre bevorstehen. In Baden-Württemberg lagen sie Mitte September, ein halbes Jahr vor der Landtagswahl, laut einer Umfrage von Infratest Dimap bei über 27 Prozent, weit vor der SPD (21 Prozent). Erstmals scheint eine Landesregierung unter grüner Führung möglich. Zur gleichen Zeit veröffentlichte Forsa eine Umfrage, derzufolge die Grünen erstmals bundesweit auf 24 Prozent kamen und sich damit noch vor der SPD einreihten.Dieser grüne Aufschwung hat zwei Ursachen. Zunehmend mehr Menschen scheinen die grüne Programmatik wahrzunehmen als attraktive Kombination aus Bewahren und Erneuern. Den zentralen Punkt dieses inhaltlichen Bogens aber bildet die Jahrhundertfrage der Energie- und Klimapolitik. Auf welchen Energiequellen soll unser Wirtschafts- und Lebensmodell basieren, ist der Systemwechsel hin zu den Erneuerbaren Energien möglich, und was bedeutet dieser Wandel für die Gesellschaft insgesamt? Mit diesen Fragen sind die Grünen groß geworden, bei den Antworten sind sie noch immer Vorreiter. Es ist dieser Markenkern, der zwischenzeitlich als veraltet galt, der nun aber den Aufstieg der Ökos in neue Dimensionen bedingt.Grandiose FehleinschätzungMöglicherweise unterlief Angela Merkel eine grandiose Fehleinschätzung, als sie die Renaissance der Atomkraft zum Hauptthema ihrer Energiepolitik machte. Die Wiederbelebung dieses eigentlich schon befriedeten Konflikts könnte wesentlich dazu beitragen, dass die Union die Regierungsmacht verliert. Denn Merkel hat für eindeutige gesellschaftliche Frontstellungen dort gesorgt, wo in den vergangenen Jahren oft Nebel waberte. Nun weiß man wieder genau: Die Union ist pro Atomkraft. Mit der Energiewende hat sie trotz allen Geredes ihres Umweltministers Norbert Röttgen nicht viel im Sinn.Anders bei den Grünen: Sie waren schon immer die Partei der Energiewende. Und selbst ihre ergrauten Alt-Vorsitzenden sind noch heute bereit, sich für diese Überzeugung von Wasserwerfern nassspritzen zu lassen. Jede Blockade in Gorleben, jede Anti-Atom-Demonstration ist automatisch auch Wahlwerbung für sie.In dem alt-neuen Konflikt um Energie- und Klimapolitik markieren die Grünen damit die klarste Alternative zur Regierung – im Gegensatz zur SPD. Zwar versuchen die Sozialdemokraten seit Jahren, das Umweltthema von den Grünen zurückzuholen. Im Vergleich ist ihre Position aber undeutlich: Manchmal will sie Kohlekraftwerke, dann wieder nicht.Auf Entzauberung verzichtenDabei arbeitet die Zeit für die Ökopartei. Die Preise konventioneller Energie werden steigen und Konflikte um die globale Verteilung von Ressourcen wie Öl, Gas und Kohle zunehmen. Zudem muss man damit rechnen, dass wachsende Klimaschäden und steigende Temperaturen zu vermehrten Naturkatastrophen wie Dürren und Überschwemmungen führen. Weil diese Zusammenhänge mehr Menschen präsent sein werden, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Grünen Zugang erhalten zu Milieus, die ihnen bislang verschlossen waren. Ihre aktuellen Zuwächse kommen zu einem guten Teil aus dem bisherigen Wähler-Reservoir der SPD../resolveuid/8f820937055a60c642f3b32dca305570/image_previewKann man deshalb aber davon sprechen, dass die Grünen in den Rang einer Volkspartei aufrücken? Wahrscheinlich nicht. Nicht jede Partei mit 25 Prozent ist gleich eine Volkspartei. Trotz aller Zuwächse bildet die Wähler- und Mitgliederschaft der Grünen die Sozialstruktur der Bevölkerung nicht annähernd ab. Außerdem sind die Bindungen moderner Wähler an Parteien heute flüchtiger als früher. Angesichts der neuen energiepolitischen Frontstellung dürfte es den Grünen gelingen, ihren Aufschwung bis zur nächsten Bundestagwahl 2013 im wesentlichen durchzuhalten. Allerdings werden sich früher oder später Ermüdungserscheinungen bemerkbar machen.In Hamburg mussten die Grünen, die dort zusammen mit der CDU regieren, dies schon feststellen. In den Auseinandersetzungen um das Kohlekraftwerk Moorburg und die Schulreform haben sie Misserfolge verbucht und Zustimmung verloren. Ähnliche Ernüchterungen werden sich in Nordrhein-Westfalen einstellen, wenn beispielsweise das Kohlekraftwerk Datteln gegen das Votum der Grünen errichtet wird, obwohl sie zusammen mit der SPD regieren. Auch ein eventueller grüner baden-württembergischer Ministerpräsident wird Probleme bekommen, falls er nicht den Mut aufbringt den Bahnhofsneubau Stuttgart 21 zu stoppen. Und in Berlin wird die Grüne Renate Künast vielleicht Regierende Bürgermeisterin, muss dann aber ihrer eigenen Klientel im wohlhabenden Südwesten der Stadt den Fluglärm des neuen Großflughafens schmackhaft machen.