In seinem Geburtsland Rumänien war er Wortführer einer kleinen Gruppe deutsch schreibender Autorinnen und Autoren, die vom Banat und von Siebenbürgen aus auch hierzulande Aufsehen erregten. Nach kontroversen Oppositionserfahrungen - gegen einen so nur in der rumänischen Diaspora möglichen deutschen Traditionalismus und gegen eine kommunistische Partei, der er auf der Suche nach Alternativen einige Zeit angehört hatte - konnte Richard Wagner (zusammen mit seiner damaligen Frau Herta Müller) 1987 in die Bundesrepublik ausreisen. Hier lebt er seit 15 Jahren; am 10. April wird er 50 Jahre alt. Die ersten 35 Jahre seines Lebens hatte er als Deutscher unter Ausländern verbracht, nach der Übersiedlung ins Kernland seiner Sprache fand er sich unversehen
versehens als Ausländer unter Deutschen wieder. Von den Erfahrungs-Spuren lebenslanger Fremdheit ist vor allem seine Prosa durchzogen. Er hat zwar immer wieder auch Gedichte veröffentlicht; in der Prosa dieses gleichermaßen unbekannten wie produktiven Autor indes - dessen Werk mittlerweile gut zwei Dutzend Bände mit Gedichten, Erzählungen, Romanen und Essays umfasst - schwingt ein Ton mit, den man vielleicht "lakonisch-engagiert" nennen kann. Dass Wagners unaufgeregte Genauigkeit im Ost-West-Getöse leicht überhört wird, verwundert nicht, aber es ist schade. Ob sich der Literaturbetrieb für diesen Autor mehr interessieren wird, nachdem er unlängst den erstmals verliehenen "neuen deutschen Literaturpreis" erhielt, muss sich zeigen. Schon die ersten Erzählungen Wagners - entstanden 1988/89, soeben neu aufgelegt als Taschenbuch - handeln von jener Zäsur, die sein (Schriftsteller)Leben bis heute prägt: der Westreise mit einem Rucksack voller Ostleben. Ausreiseantrag zeichnet das unspektakulär-genaue Bild des Intellektuellen-Alltags in einem stalinistischen Staat (ein ganz heißer Lektüretipp in Zeiten, da die Urteile derer, denen solches erspart blieb, immer selbstgerechter werden); Begrüßungsgeld dokumentiert den verzweifelten Versuch, in der Konfrontation mit einem anderen, neuen Leben weiterzuschreiben - gegen Beliebigkeit und hektischen Überfluss. Als Richard Wagner diese Texte schrieb, konnte er nicht ahnen, dass ihm kurze Zeit später ein ganzes Land folgen würde. Die Erfahrungen des Umbruchs in Osteuropa hat er später in zahlreichen Essays aufgearbeitet, die sich kundig-kritisch mit osteuropäischer Geschichte und Gegenwart auseinander setzten - und dabei wohltuend unterschieden von populären Abrechnungsritualen. In seiner Prosa (Die Muren von Wien, Giancarlos Koffer, In der Hand der Frauen, Lisas geheimes Buch, Im Grunde sind wir alle Sieger ) kultivierte er unbeirrt seine spezifischen Tugenden des Beobachtens. In der Tradition des Flaneurs - aber beileibe nicht so gelassen und entspannt wie die Vorbilder des 19. Jahrhunderts, wohl auch nicht so wohlhabend - durchstreifen seine meist männlichen Protagonisten das Neue: Deutschland, Österreich, Italien - vorzugsweise Großstädte an den Nahtstellen zum Osten (Wien, Berlin, Triest). Ihre Eindrücke verdichten sich zu Kurz-Protokollen von Augenblicken, Gerüchen, Assoziationen; präzise poetische Miniaturen absurder Alltagskatastrophen - wahrgenommen aus der Perspektive eines unaufgeregten, meist auch unbeteiligten, Betrachters. Wagners Figuren sind Voyeure - auch im herkömmlichen Sinne; Menschen, die ohne große Hoffnung an öffentlichen Orten (Bars, Peep-Shows, Bordellen) nach Auswegen aus ihrer Verlorenheit suchen. Kaum einer hat die Einsamkeit im lärmenden Getümmel moderner Großstädte vergleichbar karg, exakt und beklemmend beschrieben. In seinem jüngsten Roman Miss Bukarest hat Wagner die lange gepflegte Trennung - hier essayistische Einmischung in mitteleuropäische Verwerfungen, dort protokollierendes Erzählen vom Alltag in der neuen Zeit - aufgegeben und versucht, erzählend zu fassen, was seine KollegInnen seit zehn Jahren mit mehr Betroffenheit als Fortune abhandeln: die politische Wende nach 1989. Das ist mutig, aber so richtig geglückt ist es auch ihm nicht. Zu loben bleiben Unaufgeregtheit und Lakonie, mit der Wagner das Thema anpackt. Theoretische Intelligenz und ein geschulter Außenseiter-Blick bewahren ihn vor pathetischer Rhetorik. Sein Roman bündelt drei Ich-Erzählungen: die des ehemaligen Securitate-Agenten Schullerus, der mit seiner deutschstämmigen Frau in den Westen ausgereist ist und jetzt als Privatdetektiv in Berlin arbeitet; die des ebenfalls ausgereisten Schriftstellers Klaus Richartz; und die von Schullerus´ zwanzigjährigem Sohn Christian, der durch die Lektüre der väterlichen Notizen konfrontiert wird mit einer Welt, die ihm zwar anhaftet, mit der ihn aber nichts verbindet. Auslöser für Schullerus´ Aufzeichnungen war der Tod einer - ebenfalls in Berlin lebenden - ehemaligen rumänischen Kommilitonin. In privaten Recherchen stößt er auf immer neue Verwicklungen und Verstrickungen seiner früheren Landsleute, mit denen ihn - nicht nur aus Opportunismus - längst nichts mehr verbindet. In seiner Ratlosigkeit schickt er die Aufzeichnungen schließlich an Richartz, der sie liest und weiterleitet an Schullerus´ Sohn, um dem die Augen zu öffnen über eine Zeit, die der nur vom Hörensagen kennt. Wagners Grundeinfall (Brechung und Spiegelung der Multiperspektivität durch eine Art "stiller Post" zwischen den Protagonisten) wird letztlich verspielt durch unentschlossenes Changieren zwischen Erzählen und Raisonnement. Am Projekt einer multiperspektivischen Rollenprosa hat er sich ein bisschen überhoben. Das durchaus eindrucksvolle Motiv der - über Kontrahenten und Generationen hinweg - fortdauernden Einsamkeit und Fremdheit klingt schüchtern an, aber Schullerus´ Lebensgeschichte dominiert alle anderen Handlungsstränge. Der ehemalige Geheimdienstler wird zwar auf sympathische Weise bieder, banal und undämonisch gezeichnet, aber die Sprache seines Sohnes klingt angelesen und aufgesetzt. Beim Schriftsteller Richartz weckt nicht nur der Name Assoziationen an den Autor, sondern auch sein Talent zur analysierenden Essayistik; die literarische Figur leidet allerdings unter ihrem unglücklichen Hang zur Sentenz ("Der komplette Wahnsinn meiner Jugend nimmt Platz auf dem Sofa meines Hirns"). - Verwickelte Handlungsstränge werden nicht erzählerisch aufgelöst, sondern in Figuren-Dialogen referiert. Trotzdem: auch wenn Wagners Versuch, die Verschränkung privater und politischer Ereignisse literarisch zu gestalten, nicht völlig überzeugen kann, lohnt sein Ansatz, populäre Themen neu zu fokussieren, die Lektüre des Romans allemal. Auf künftige Varianten darf man gespannt sein. Richard Wagner: Ausreiseantrag / Begrüßungsgeld. Erzählungen, Aufbau-Taschenbuch, Berlin 2002, 199 S., 7,95 EUR Richard Wagner: Miss Bukarest. Roman, Aufbau-Verlag, Berlin 2001, 190 S., 16, 50 EUR
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