Wir müssen draußen bleiben

Online-Sperren Ein Geschäft mit dem Schild „Ausländer dürfen hier nichts kaufen“ wäre ein Skandal. Warum akzeptieren wir so etwas im Internet?
Ausgabe 10/2014

Es hätte ein großer medialer Coup werden können, doch es brachte der ARD vor allem Spott und Häme. Der NDR-Journalist Hubert Seipel führte im Januar ein exklusives Interview mit NSA-Whistleblower Edward Snowden in Moskau. Parallel zur Ausstrahlung in der ARD war das Video auch im Netz verfügbar. Allerdings nur mit deutscher Übersetzung. Weltweit stößt das Interview auf Interesse, aber wer aus dem Ausland den Videostream betrachten wollte, der bekam nur zu lesen: „Dieses Video ist in Ihrem Land nicht verfügbar.“

Die ARD veröffentlichte sogar zeitgleich mit dem Video einen Frage-und-Antwort-Katalog, in dem sie ihr Vorgehen zu erklären versuchte. Weder für die Ausstrahlung der englischen Originalversion noch für eine Ausstrahlung ins Ausland besitze man die nötigen Rechte. Was verwunderte, denn produziert wurde das Interview von einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft des NDR. Das Possenspiel war hier aber noch nicht zu Ende: Am nächsten Tag war die ARD plötzlich doch in der Lage, das Interview im englischen Originalton bereitzustellen – doch weiterhin nur in Deutschland, Internetsurfer aus dem Ausland blieben ausgesperrt.

Die Geschichte um das Snowden-Interview könnte als Kuriosum in die Geschichte eingehen, ein absurdes Beispiel für den Bürokratismus im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber bedauerlicherweise markiert sie einen besorgniserregenden Trend: Aus den unterschiedlichsten Gründen wird an vielen Stellen versucht, das eigentlich transnationale Netz wieder in nationale Bahnen zu lenken.

Das extremste Beispiel hierfür ist vermutlich die Volksrepublik China. Im Land der aufgehenden Sonne werden die Bürger seit dem Jahr 2003 durch die „Great Firewall“ vor allzu regierungskritischer Propaganda geschützt. Facebook, Twitter, Youtube und zahlreiche andere international erfolgreichen Webdienste sind im Land nicht verfügbar. Die Strategie der chinesischen Regierung ist dabei zweigleisig: Viele ausländische Angebote werden gesperrt, dafür gibt es im Land eigene Dienste, die mit den Zensurbehörden kooperieren und sehr ähnliche Dienste anbieten. Statt Youtube kann man Videos auf Youku hochladen, Sina Weibo ist ein Angebot ähnlich wie Twitter und Renren gilt als das chinesische Facebook.

Antiquiertes Urheberrecht

In Deutschland darf sich vor allem die Verwertungsgesellschaft GEMA auf die Brust schreiben, den Netzzugang einzuschränken. Während sich Youtube fast überall auf der Welt mit den Musikverwertungsgesellschaften auf die Auszahlung von Werbeerlösen geeinigt hat und somit die Betrachtung von Musikvideos ermöglicht, sperrt sich die GEMA gegen ein entsprechendes Abkommen in Deutschland. Stattdessen treffen sich die beiden Konfliktparteien regelmäßig vor Gericht.

In den USA erfreuen sich in den letzten Jahren die Onlinevideotheken Netflix und Hulu großer Beliebtheit. Nutzer können dort gegen eine Abogebühr jede Menge Filme und Serien online ansehen. Immer wieder taucht die Frage auf, wann in Deutschland ein vergleichbares Angebot entsteht. Dabei ist doch eine andere Frage viel naheliegender: Warum können Anwender hierzulande nicht einfach ein Abo bei Netflix oder Hulu abschließen? Wer das versucht, wird schnell enttäuscht. Bereits beim Aufrufen der Portale erhält man die Mitteilung, dass das Angebot nur in den Vereinigten Staaten verfügbar sei.

Die Gründe sind in diesem Fall, ähnlich wie beim Problem mit der GEMA, Urheberrechte. Netflix hat Verträge mit Filmstudios und Fernsehsendern, die das Streamen der Sendungen nur in einem Land zulassen. Es ist eines von so vielen Beispielen, wie das völlig antiquierte Urheberrecht die Entwicklung im Internet beeinträchtigt.

Versucht man, sich das Verhalten von Netflix in der Offlinewelt vorzustellen, erscheint es besonders absurd. Was würde man über eine Videothek denken, die an ihrer Tür ein Schild anbringt: „Für Ausländer ist unser Service nicht verfügbar.“ Auf Nachfrage erführe man dann, dass die DVD-Hersteller keine Genehmigung zum Verleih an Nichtdeutsche erteilt hätten. Es wäre ein Skandal, und das völlig zu Recht.

Rassismus ist jedoch meist nicht der Grund für den modernen Netznationalismus. Die Ursachen sind vielfältig: Urheberrechte, staatliche Zensurbestrebungen oder wie im Falle der ARD einfach nur die Mühlen der Bürokratie. Doch das Ergebnis bleibt in allen Fällen dasselbe: Ein Netz, das eigentlich transnational ist, wird national beschränkt.

Natürlich kann man die nationalen Sperren häufig umgehen – und das ist auch gut so. Sogenannte Browser-Plug-Ins gegen die GEMA-Sperre bei Youtube sind im Internet leicht zu finden und auch in China wissen die meisten Menschen, wie sie mit Hilfe von Proxies einen Facebook-Account anlegen können. Einen Netflix-Account von Deutschland aus zu nutzen, dürfte allerdings schon etwas schwieriger werden. Egal, ob die Sperren umgangen werden können oder nicht: Sie sind in jedem Fall eine zusätzliche Hürde und längst nicht alle Nutzer sind technisch versiert genug, um Browser-Plug-Ins zu installieren oder ausländische Proxies zu nutzen.

Ein etwas anders gearteter Netznationalismus tauchte in der Debatte über die NSA-Affäre auf. Die deutsche Telekom schlug ein sogenanntes „Deutschlandnetz“ vor. Datenpakete zwischen Servern in Deutschland sollen das Land nicht verlassen dürfen. Der Vorschlag ist auf so vielen verschiedenen Ebenen absurd, dass es verwundert, warum überhaupt jemand ernsthaft darüber diskutiert.

Gegen die Massenüberwachung im Netz würde ein solches Deutschlandnetz kaum etwas bringen. Die NSA wird nicht darauf verzichten, in Deutschland Internetleitungen abzuhören, sollte sie dies für notwendig erachten. Und die grundsätzliche Prämisse, dass Datenschutz nur dann etwas zählen soll, wenn er zwischen zwei innerdeutschen Kommunikationspartnern stattfindet – sie zeigt auch, wes Geistes Kind das Deutschlandnetz ist.

Für die Telekom geht es dabei vor allem ums Geschäft, denn niemand besitzt in Deutschland mehr Internetleitungen als der Bonner Konzern. Obwohl es im Netz überhaupt nicht üblich ist, verlangt die Telekom für das sogenannte Peering, das Zusammenschalten von großen Internetleitungen, Geld von anderen Betreibern der Internet-Infrastruktur.

Zum Scheitern verurteilt

Es gehört zu den großartigsten Eigenschaften des Internets, dass es transnational ist. Das Netz ermöglicht es, Kontakte über tausende von Kilometern aufrechtzuerhalten, Onlinecommunities bilden sich unabhängig von der Nationalität oder dem Wohnort ihrer Nutzer und wer die Sprache versteht, kann morgens in Deutschland die neuesten Nachrichten einer indonesischen Regionalzeitung lesen.

Bevor es das Internet gab, versuchten sich einige Unternehmen mit national orientierten „Onlineservices“, darunter auch die Deutsche Bundespost. Der sogenannte Bildschirmtext (BTX) war ein Riesenflop. Gründe gab es dafür viele, so war BTX etwa als Top-Down-Service angelegt. Der einfache Nutzer hatte keine Möglichkeit, selbst Inhalte zu publizieren. Diese Möglichkeit begann erst mit dem Internet. Vor allem aber war BTX immer als rein innerdeutscher Service konzipiert und machte keinen Gebrauch von den Möglichkeiten der transnationalen Vernetzung, die heute selbstverständlich sind.

National orientierte Services wie BTX waren glücklicherweise zum Scheitern verurteilt. Das Deutschlandnetz ist der Bildschirmtext dieses Jahrtausends. Wer die Freiheit im Internet schätzt, sollte diesen Nationalisierungstendenzen entgegentreten. Ganz egal, wer der Gegner ist – ob die chinesische Firewall, die Bürokratie der ARD, die GEMA oder die Deutsche Telekom.

Hanno Böck ist Journalist und schreibt hauptsächlich über Internet-Themen

Neuland im Bundestag: Endlich ein Ausschuss fürs Internet

Die Netzpolitik ist nun auch im Deutschen Bundestag angekommen. Im Dezember 2013 wurde die Einsetzung des Hauptausschusses für „Digitale Agenda“ beschlossen. Im Februar kamen die Abgeordneten erstmals zusammen. Von Netzpolitikern verschiedener Parteien wurde ein solcher ständiger Ausschuss schon seit langer Zeit gefordert.

Im Mittelpunkt der Ausschuss-arbeit sollen die wirtschaftlichen Chancen durch die digitale Vernetzung stehen. Der Ausschuss hat unter anderem die Aufgaben, den Bundestag zu beraten und Gesetzentwürfe an die Modalitäten in der digitalen Gesellschaft anzupassen.

Bisher war für netzpolitische Belange der Unterausschuss „Neue Medien“ im Kulturausschuss zuständig. Zudem gab es im Bundestag eine En-quete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Die Experten in dieser Kommission hatten sich schon im November 2012 für einen ständigen Ausschuss im Parlament ausge-sprochen.

Auch in dem geänderten Zuschnitt der Ministerien zeigt sich die zunehmende Relevanz von Internet-Themen. Das neu benannte Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) ist nun auch für den Breitbandausbau zuständig. Parlamentarische Staatssekretärin ist die Netzpolitikerin Dorothee Bär (CSU), die das Einsetzen des Bundestagsausschusses gleich via Twitter begrüßte. TOT

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