Das Jahr 1999 wird als Katastrophenjahr in die Geschichte der SPD eingehen: Verlust der Macht in Hessen, Fiasko bei der Europawahl, Verlust der Macht im Saarland (wenn auch nur knapp), Absturz in Brandenburg. Diese verheerende Serie von Niederlagen - Ausnahme Bremen - hat fast die Qualität einer Volksabstimmung. Die Wählerinnen und Wähler strafen Landespolitiker ab und meinen den Bundeskanzler und seine Regierung. Denn Gerhard Schröder scheint vergessen zu haben, wofür er vor knapp einem Jahr eine komfortable Mehrheit erhielt: Er hatte versprochen, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen.
Die nächste Station des sozialdemokratischen Kreuzwegs wird am kommenden Sonntag erreicht. In Nordrhein-Westfalen drohen Kommunalwahlen. Sozialdemokratische Ober bürgerm
#252;rgermeister und Stadtverordnete werden die Quittung für den Austeritätskurs der Bundesregierung erhalten, der wie gewohnt die Schwächsten trifft: Rentner, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger. Wahlkämpfer an sozialdemokratischen Informationstischen müssen meist nicht über den verlotterten Stadtpark oder den öffentlichen Nahverkehr Auskunft geben, sondern da interessiert die unvermindert hohe Arbeitslosigkeit, da ist man empört, wenn Haushaltslöcher mit Rentnergroschen gestopft werden, und da fürchtet man, eine Zwei-Klassen-Medizin stehe ins Haus.Die SPD steckt in einer tiefen Vertrauenskrise, woran freilich nicht nur die Bonn-Berliner Politik schuld ist. Allzu häuslich-bequem haben es sich die an satte Mehrheiten gewöhnten Genossen in Nordrhein-Westfalen gemacht. In vielen Kommunen herrscht Parteibuchwirtschaft, wuchern Filz und Klüngel. Jüngstes Beispiel: Klaus Heugel, Verwaltungschef und SPD-Oberbürger meisterkan di dat in der rheinischen Klün gel-Metropole Köln, konnte der Versuchung nicht widerstehen und nutzte Insiderwissen aus seinen Ämtern für gewinnträchtige Aktiengeschäfte. Er wurde ertappt, die Staatsanwaltschaft nahm sich seiner an. Als Oberstadtdirektor wurde er beurlaubt, als Spitzenkandidat fallengelassen. Seine Partei steht nun, nach 43 Jahren ununterbrochener Regentschaft in der größten Stadt des Landes, ohne OB-Kandidaten da. Beste Chancen, Domstadt-Oberhaupt zu werden, hat nun der Kandidat der CDU, Harry Blum.Heugel ist kein Einzelfall in Sachen Genossengier. Man denke nur an die dubiosen Vorgänge um das Luxusdomizil des Bodo Hombach, der, obwohl alles andere als bußfertig, seine Parteiämter derzeit ruhen lässt; oder an die peinliche Affäre um den Gelsenkirchener Ex-Ober bür germeister Dieter Rauer, der sich großzügig Reisen in die USA bewilligte - auf Kosten des Steuerzahlers. Franz-Josef Drabig, ehemals kommender Mann der Dortmunder SPD, sündigte gleich zweifach: Auf dem Straßenstrich und vom Fiskus ließ er sich erwischen. Mit der OB-Kandidatur konnte es folglich nichts werden. Die vielen braven sozialdemokratischen Kommunalpolitiker, die täglich ihre Pflicht tun, müssen es ausbaden.Doch es geht nicht nur um Moral. Auch politisch stagniert das Land zwischen Rhein und Weser. Die Arbeitslosenquoten im Ruhrgebiet liegen bundesweit in der Spitzengruppe. Bildung und Ausbildung werden den Anforderungen eines tiefgreifenden Strukturwandels von Kohle-Stahl zu High-Tech nicht gerecht. Daran hat die Tatsache nichts geändert, dass der behäbige Landesvater Johannes Rau vom »Modernisierer« Wolfgang Clement abgelöst wurde. Auch um dessen Zukunft geht es bei den Kommunalwahlen am kommenden Sonntag. Schon jetzt, acht Monate vor der Landtagswahl, liegt die nordrhein-westfälische CDU laut Emnid mit 43 Prozent knapp vor der SPD mit 42 Prozent. Die zu erwartenden Stimmenverluste in den Städten und Gemeinden werden diesen Trend nicht gerade umkehren. Die Frage ist: Wie will Clement reagieren? Wird er Schröders Politik weiter unterstützen und damit die Macht in Düsseldorf verspielen, oder geht er, wie Reinhard Klimmt im Saarland, zum unpopulären Kanzler auf Distanz?Der nordrhein-westfälische Landtag muss te, gerüffelt vom Landesverfassungsgericht, während der Sommerpause zusammentreten und ein Wahlgesetz ohne Fünf-Prozent-Klausel beschließen. Das wird dazu führen, dass es in den Stadträten künftig erheblich bunter zugeht als bisher. Mehr unabhängige Wählergemeinschaften werden in die Rat häuser einrücken und für unorthodoxe Konstellationen sorgen. Auch die PDS, bislang chancenlos, könnte erstmals Mandate gewinnen und sich auf kommunaler Ebene auch im Westen etablieren - begünstigt durch das Abenteuer »neue Mitte«, auf das der SPD-Vorsitzende seine Partei festlegen will.Zum ersten Mal wählen die Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens ihr Stadtoberhaupt direkt. Auch das wird in einigen Kommunen für Komplikationen sorgen. Denkbar ist, dass ein sozialdemokratischer Oberbürgermeister mit einer CDU-Stadtratsmehrheit zurechtkommen müßte. Das könnte zum Beispiel in Bonn der Fall sein, wo seit fünf Jahren eine rot-grüne Koalition die Geschicke der Stadt bestimmt und die SPD mit Bärbel Dieckmann die Oberbürgermeisterin stellt. Herausforderer Helmut Stahl, CDU, wird der ebenso profilierten wie populären Amtsinhaberin kaum gefährlich werden. Doch für den Stadtrat drohen empfindliche Verluste. Eine konservative Mehrheit, vielleicht aus CDU, FDP und »Bürgerbund Bonn«, könnte Frau Dieckmann, wenn sie im Amt bestätigt ist, das Leben schwer machen.Ärger droht den Genossen auch durch eine weitere Neuheit. Wahlberechtigt sind erstmals schon Sechzehnjährige. Weder in Brandenburg noch an der Saar gab es für die SPD oder Rot-Grün unter Jungwählern eine Mehrheit; sie haben mehrheitlich CDU gewählt oder sind daheim geblieben. Nichts spricht dafür, dass die nordrhein-westfälische Jugend anders votieren wird. Fehlende Lehrstellen, ständiger Unterrichtsausfall an den Schulen und vergreiste Lehrkörper sorgen für Unmut und motivieren nicht dazu, das Kreuzchen bei der SPD zu machen.Der CDU wird so manche Mehrheit in den Schoß fallen. Sollte sie recht haben, wenn sie hämisch verbreitet, die SPD könne Wahlen nur noch gegen ihren Vorsitzenden gewinnen?
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.