Die Deutsche Wehrmacht versuchte 1941/42 Leningrad mit anderthalbjähriger Blockade auszuhungern. Doch Hitler kam dennoch nicht in diese Stadt, die er vom Erdboden verschwinden lassen wollte. Dafür kam jetzt ausgerechnet am Vorabend jenes 22. Juni, an dem vor 60 Jahr der nazideutsche Überfall auf die Sowjetunion begann, Leni Riefenstahl, Hitlers beste Filmpropagandistin in das heutige St. Petersburg, um auf dem dortigen Internationalen Dokumentarfilm-Festival Message to man einen "Goldenen Kentauren" als Würdigung ihrer "Verdienste um die Filmkunst" in Empfang zu nehmen. Festivaldirektor Michael Litvjakov verkündete begeistert, dass dies und die Vorführung ihrer Filme ein Beleg dafür sei, dass "wir nun endlich die volle Freiheit erreicht haben".
Vor übervollem Haus gezeigt wurde nicht nur Olympia, der der Welt Sand in die Augen streute, als Hitler in einer Geheimschrift der deutschen Industrie bereits die Erprobung der Kriegswirtschaft verordnete und die Reichswehr sich auf den Angriffskrieg im Osten vorbereiten ließ. Gleich zweimal gezeigt wurde hier auch ihr "im Auftrag des Führers hergestellter" NS-Reichsparteitagsfilm Triumph des Willens, der die Prädikate "staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll", "volksbildend" und "Lehrfilm" erhielt und den Goebbels bei der Verleihung des "Nationalen Filmpreises" als "monumental, durchzittert vom Tempo der marschierenden Formationen, stählern in der Auffassung und durchglüht von künstlerischer Leidenschaft" pries. Also jenes perfide "Dokument der einmütigen Gefolgschaftstreue zum Führer und damit zu Deutschland", das "gleichzeitig der ganzen Welt den Friedenswillen des deutschen Volkes verkörpert im Führer in eindrücklicher Weise vor Augen" führen sollte.
Was hat Festivaldirektor Litvjakov, der Anfang der siebziger Jahre noch für seinen Film Diese unruhigen Studenten in Frankfurt Daniel Cohn-Bendit interviewte, bloß zu dieser Provokation veranlasst, gegen die die von dem deutschen Dokumentaristen Thomas Frickel geleitete internationale Jury, aber auch Demonstranten vor dem Festivalkino protestierten? Wollte er seinem in den letzten Jahren etwas dahindämmernden Festival Aufmerksamkeit verschaffen? Oder wurde er einfach zum Opfer seiner äußerst umtriebigen "Deutschland-Expertin" Galina Antoschevskaja, die diese Aktion nachhaltig vorantrieb, als bekannt wurde, dass die Petersburger Filiale des Goethe-Instituts/Internationes eine Seminarveranstaltung zu den Riefenstahl-Filmen plante.
Eine kritisch-analytische Auseinandersetzung mit diesen Filmen ist sicher sinnvoll und nützlich. Ganz sicher aber nicht öffentliche Festival-Vorführungen, zu denen lediglich Hitlers Regie-Favoritin auf Pressekonferenzen ihre abwiegelnden Lebenslügen vorträgt. In einem Interview, das sie der Izvestija-Korrespondentin Julija Kantor gab, beklagt Riefenstahl, dass der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs die Kontakte zu ihren russischen Neffen und Cousinen abbrechen ließ, von "denen ich seither nichts mehr gehört habe". Kein Wort der Entschuldigung für all das Unglück, das deutsche Soldaten über Russland und Leningrad/St. Petersburg brachten, und das ihre Filme vorbereiten halfen. Und natürlich schloss sie sich auch nicht den deutschen Festivalgästen an, die am 22. Juni Blumen am Denkmal der Blockade-Opfer niederlegten. Denn sie will ja mit all dem gar nichts zu tun gehabt haben. Sie hätte immer nur "nach dem Ideal, nach dem idealen Menschen" gestrebt. Ob sie damit wohl Hitler gemeint hat? Im Interview behauptet sie schließlich: "Die Partei war damals unzufrieden mit den Filmen. In jenen Jahren waren die Partei und Hitler keine Synonyme". Doch über Stalin hätte sie niemals einen Film drehen wollen: "Ich wollte keine politisch-propagandistischen Dokumentarfilme drehen". Goethe-Instituts-Präsident Hilmar Hoffmann stellte bereits 1988 in seinem Buch Und die Fahne führt uns in die Ewigkeit. Propaganda im NS-Film fest: "Die Riefenstahl hat sich immer gegen den Vorwurf gewehrt, sie hätte sich als Magus der Ideologie missbrauchen lassen. Recht hat sie. Sie war schließlich die Bannerträgerin des Führers im faschistischen Film, der nach Susan Sonntag die Unterwerfung glorifiziert, den blinden Gehorsam feiert und den Tod verherrlicht."
Doch Festivaldirektor Litvjakov meinte Triumph des Willens gegenüber seinen Kritikern als "Meisterwerk der internationalen Filmkunst" mit angeblich sogar "antifaschistischer Tendenz" verteidigen zu dürfen. Er hätte besser Mein Kampf seines früheren Festivalgastes Erwin Leiser zeigen sollen, der durch Zitate (für die Leni Riefenstahl vergeblich um Honoraranteile stritt) die Gefährlichkeit dieses Films entlarvte. Oder aber den ebenfalls mit Zitaten aus Nazi-Dokfilmen den Gewöhnlichen Faschismus demaskierenden Film von Riefenstahls Altersgenossen Michail Romm, der in diesem Jahr 100 geworden wäre. Denn "der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch": Auch in Petersburg und anderen russischen Gegenden tauchen inzwischen immer häufiger Neonazis auf, für die der Riefenstahl-Rummel auf diesem Message to Man-Festival natürlich ein "innerer Reichsparteitag" war. In Russland, wo Identitätsverlust und Mafia-Kapitalismus Sehnsüchte nach einer "starken Hand" keimen lassen, bieten Straßenverkäufer ganz ungehemmt Hitlers Mein Kampf an, werden Filme gedreht, die die Oktoberrevolution zur "jüdischen Verschwörung" erklären, und sogar Nobelpreisträger Aleksandr Solschenizyn meint im soeben erschienen 1. Band von Zweihundert Jahre gemeinsam (1775-1995), "die Juden" als "revolutionären Brandsatz" bezeichnen, Pogrome als Ausfluss der "tragischen Züge des russisch-ukrainischen Charakters" verharmlosen und den militant antisemitischen Schwarzhundertschafts-Führer Purischkewitsch einen "kultivierten" Mann nennen zu dürfen, der die Juden angeblich nur "mit ökonomischen und kulturellen Mitteln, nicht etwa mit Fäusten" bekämpfen wollte ... Leni Riefenstahl und ihre Filme zu ehren, bedeutet da nichts anderes als Öl ins Feuer zu gießen. Einige hat der Skandal aber auch wachgerüttelt: Gegen diese gefährliche Message to man protestierten unter anderem Petersburger Bürger, die jüdische Gemeinde und der Fernsehkanal TV-6.
Das Medienreferat unseres Auswärtigen Amtes wies in einer Presseerklärung ausdrücklich darauf hin, dass Leni Riefenstahls Petersburg-Reise und Filmvorführungen mit keinerlei öffentlichen Bundesmitteln gefördert wurden: Die Festivalleitung hatte sich nämlich auch noch Chancen auf derlei Unterstützung ausgerechnet.
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