Erfolg hat nur der Emotionale

Kompetenz Eva Illouz´ aufschlussreiche Analyse der "Gefühle im Kapitalismus"

Früher lief man unruhig durch die Stadt, blickte im Café jeder Schönen nach und vielleicht nach Jahren passierte es dann: Blicke kreuzten sich, die ersten Worte und sie war gefunden, obwohl man nichts über sie wusste.

Heute, so Eva Illouz, Soziologieprofessorin an der Hebrew University in Jerusalem, hat das Internet "alles" geändert. Millionen Menschen suchen sich ihre Partner im Netz, bedürfen nicht mehr des Zufalls in der U-Bahn, noch beschränkt sich der Markt ihrer Möglichkeiten auf ihr Büro. Man hechelt auch nicht mehr blind einer Liebe auf den ersten Blick hinterher, braucht nicht mehr eilig zu entscheiden oder sich einfach hinreißen zu lassen. Im Gegenteil, Reflexionskompetenz ist angesagt. Denn im Internet muss man sich erst mal klar werden, wer man selber ist. Man beantwortet diverse Fragebögen, wie man lebt, was man mag, was man an sich selbst am attraktivsten findet, das Gesicht, die Figur oder den Bauchnabel.

Solch ein Akt der Selbstbewusstwerdung verstärkt sich noch dadurch, dass man außerdem ein Profil seines Wunschpartners erstellt. Ähnlich wie auch der dabei regelmäßig zu entrichtende Obolus, klingt dergleichen noch nach traditioneller Heiratsvermittlung. Doch das ändert sich schnell durch die ungeheure Menge der Angebote, die sich dem Netsurfer eröffnen. Da wird man nicht nur zwangsweise wählerisch, man muss es werden. Andere Angebote, die nicht optimal dem Profil des Wunschpartners entsprechen, kann man gar nicht mehr wahrnehmen, braucht man schon ein Ordnersystem im PC, wo man die Daten der vielen Idealkandidaten speichert, verlöre man sonst schnell den Überblick.

Derart häufen sich denn auch die Blind Dates, hat man die Hürde des ersten Telefonats überstanden. Das mag zunächst verwundern. Trotz optimal passender Profile beginnt die Masse der Treffen von Angesicht zu Angesicht mit einem Fiasko, vor dem schon die Internet-Partnervermittlungen warnen. Nicht nur enttäuscht der potenzielle Traumpartner zumeist, wenn er plötzlich vor einem sitzt und letztlich doch anders aussieht als sein Foto oder das Video. Derartige Gespräche erstarren auch gerne in sich wiederholenden Routinen, im Abfragen von Daten oder im Erzählen immer derselben Witze.

Wieso werden dann überhaupt gelegentlich auf diese Weise glückliche Ehen geschlossen? Das klingt doch alles nach einem schier entemotionalisierten und hoch rationalisierten Paarungsverhalten im Zeitalter des WWW! Indes liegt darin keineswegs der Clou des Buches von Eva Illouz. Die Autorin stützt sich auf zahlreiche vor allem auch eigene empirische Untersuchungen. Dadurch erhält es einen sehr lebendigen Charakter, gleichzeitig lässt das Buch wissenschaftlich nichts zu wünschen übrig. Der Band ist entstanden im Rahmen der Adorno-Vorlesungen an der Universität Frankfurt im Jahr 2004, wo Illouz eingeladen war, so dass im Hintergrund auch immer der Abgleich mit den Theorien von Habermas und der alten Frankfurter Schule um den legendären Schulmitbegründer stattfindet - durchaus eine interessante theoretische Bereicherung zwischen den empirischen Studien.

Erfolg jedenfalls, so Illouz, haben vielmehr auch bei der netzgestützten Partnersuche vor allem jene, die sich in der Begegnung emotional sympathisch zu präsentieren verstehen, auf andere freundlich einzugehen wissen, eben über das verfügen, was Illouz eine emotionale Kompetenz nennt. Ist das nicht banal? War das nicht immer so?

Nicht ganz. Denn Illouz folgt keineswegs jenen Theorien, die behaupten, mit der Entwicklung des Kapitalismus breite sich eine kalte, hoch reflektierte, gefühllose Welt aus, die von Prinzipien der Effizienz, der Kalkulation und der Rationalisierung beherrscht wird, also alles in allem in entfremdende Lebensformen mündet. Im Gegenteil, nicht zuletzt die Psychoanalyse Freudscher Prägung hat schon lange Einzug in die Mitarbeiterrekrutierung der Unternehmen gehalten. Die Wirtschaft erkennt, dass sich der Profit steigern lässt, wenn sich die Mitarbeiter nicht nur den Abläufen gut anpassen können, sondern wenn sie in diese Abläufe auch eine anregende Emotionalität einzubringen verstehen. Verkaufspersonal, das bei seiner Einstellung anhand von Tests seine emotionale Kompetenz beweisen muss, erhöht den Umsatz.

Umgekehrt hat, wer über emotionale Kompetenz verfügt, bessere Berufsaussichten, vor allen Dingen in vielen Berufen der Mittelschichten, für die diese emotionale Kompetenz zu einer wichtigen ökonomischen Ressource avanciert - was sich auch auf deren Internet gestütztes Paarungsverhalten positiv auswirken müsste - ein Aspekt, den das Buch offen lässt.

Der Kapitalismus ist somit für Illouz nicht schlicht rationaler geworden, sondern vor allem emotionaler - eine Tendenz, die sich durchaus auch den Demokratisierungsprozessen im letzten halben Jahrhundert verdankt. Wenn obrigkeitsstaatliche Strukturen wie asketische religiöse Orientierungen verblassen, lässt auch die Verdrängung der Emotionen nach. Ja, je bürgernaher die modernen Demokratien werden, um so mehr breiten sich emotionale Reflexe in ihnen aus - man denke nur an die Massenmedien und die davon geprägte Politik.

Vor allem aber geht der Prozess der Emotionalisierung des Kapitalismus seit einem Jahrhundert mit der Ausbreitung der Psychologie und der Psychoanalyse einher. 1909 begann Freuds Lehre ihren kometenhaften Aufstieg in den USA, als er dort zu Vorlesungen eingeladen war. Wenn die Zeitgenossen zunehmend von den traditionellen Lebenswegen abweichen wollen oder müssen, wenn es ihnen dabei schnell an Orientierung mangelt, dann verheißen solche Psychotherapien den Menschen mit einem höheren Maß an Selbstverwirklichung ein größeres Maß an Glück.

Peinlich nur, dass sich das zumeist als Illusion herausstellt. Denn je mehr solche Therapien um sich greifen, um so kränker werden die Menschen und nicht etwa gesünder. Freud hat uns alle zu Neurotikern erklärt und damit einen gewaltigen Markt geschaffen - längst nicht nur für Psychoanalytiker. Therapeuten wie Pharmaindustrie entwickeln denn durchaus ein gesteigertes Interesse daran, dass die Menschen zunächst einmal erkennen, dass sie überhaupt krank sind, oder wenigstens ihre emotionale Kompetenz verbessern sollten - was vielleicht auch das eine oder andere Beruhigungsmittel bewirkt.

Ergo, der moderne emotionale Kapitalismus macht weder gesünder noch glücklicher. Ja, seine Partnervermittlungsinstitute heben beispielsweise bei der Partnersuche im Internet mit ihren gleichfalls psychologisch instruierten Fragebögen die Emotion weitgehend auf, die die Beziehungen des 19. Jahrhunderts noch prägte. Doch während sich früher die Emotionalität auf die Privatsphäre beschränkte, hat sie heute in Beruf und Öffentlichkeit einen viel wichtigeren Ort für den sozialen Aufstieg gefunden, der sich dadurch in die ökonomische wie gesellschaftliche Entwicklung einklinkt.

Diese Bilanz erscheint arg pessimistisch. Doch Eva Illouz weist weniger daraufhin, dass diese Emotionalisierung fatale, als vielmehr keine positiven Folgen nach sich zieht. Letztlich hängt es vom Umgang des Einzelnen mit Internet, Therapie oder Berufswelt ab, daraus einen Nutzen zu ziehen. Allemal erweist sich dafür eine emotionale Kompetenz als unabdingbar, die zweifellos auch wieder mal ungleich verteilt ist. Aber wäre es nicht wirklich schade, seine Emotionalität nur in der eigenen Familie zu verbrauchen?

Eva Illouz: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. Aus dem Englischen von Martin Hartmann. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, 170 S., 14,80 EUR


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