Wie sitzt man in den Stadien? Sehen die Fußballer eigentlich gut aus? Passend frisiert? Was machen Waden, Strümpfe, Hosen? Gilt Knigge bei den Trainern und gibt es noch fußballerisches Liedgut? Der Freitag-Sportplatz kommentiert die Weltmeisterschaft 2002 als ein ästhetisches Phänomen. Denn eines ist klar: Fußball ist Geschmackssache.
In Schönheit sind schon viele gestorben. Immer wieder die Afrikaner, das sowjetische Team in den achtziger Jahren und zuletzt Bayer Leverkusen. Wer unsterblich werden will, muss vollkommen sein - die Gesetze der Kunst gelten auch für den Fußball. Der Zweck des Spiels - Tor und Titel - muss die Bewegung vollenden. Ein magischer Dreifach-Heber irgendwo im Mittelfeld, wie vom Dortmunder Brasilianer Dede zelebriert, bleibt eine leere Aktion.
Lassen wir die beiden Lieblingsthemen der unverständigen Kritiker - Kommerz und nationalen Eifer - einmal beiseite, dann ist Fußball vor allem ein ästhetisches Weltphänomen. Kampf und Dramatik des Spielverlaufs gehören dazu. Aber nur wenn Körper und Ball in Gestalt großer Künstler, wunderschöner Tore und erspielter Siege eins werden, dann ergeben sich die erhabenen Momente, die für Jahrzehnte und über Grenzen hinweg im Gedächtnis haften. Wer verstehen will, weshalb Pele, Johann Cruyff, Franz Beckenbauer, Dixie Dörner und Maradona zum Weltkulturerbe zählen und warum wir im Moment um die Franzosen und ihren Zinedine Zidane trauern, der muss von allem Brimborium absehen und sich ganz auf die Ästhetik dieses Spiels einlassen.
Äußerlich betrachtet, ist guter Fußball nichts weiter als die erfolgreiche Kombination erfolgreicher Zweikämpfe, manchmal ergänzt durch den tödlichen Pass oder den Schuss in den Winkel. So aber wäre die Faszination nicht zu erklären. Sie liegt vielmehr in der souveränen Herrschaft über den Ball und seiner Fügung in eine einmalige Idee. Die virtuose Fußfertigkeit ist nur ein Moment, das Geniale liegt im Geistigen, in dem Schöpfungsakt, der die Erwartungen des Gegners überlistet, transzendiert, könnte man sagen.
Bereits der Zweikampf hat unverkennbar ästhetische Qualität. Was für den Laien eine höchst triviale Angelegenheit ist - der Stürmer muss mit dem Ball am Verteidiger vorbei - ist in Wahrheit ein doppelter Widerspruch: Ballführend hat die Offensive den Vorteil der Zeit, weil sie die Aktion diktiert, aber auch den Nachteil, ihren Plan vollständig umsetzen zu müssen. Ein schönes Dribbling, das im Rückpass endet, ist weder Gewinn noch wirklicher Genuss. Der Verteidiger steht vor der umgekehrten Aufgabe: reagierend den Plan zerstören. Nun kann der Stürmer den doppelten Widerspruch durch pure Schnelligkeit zu lösen versuchen. Englands Michael Owen gelingt das hin und wieder. Aber so entsteht noch nicht die wahre Faszination. Fußballgeschichte wird erst dann geschrieben, wenn souveräne Ballkunst sich mit der Fähigkeit paart, immer wieder neue und genau für die Situation passende Bewegungsfolgen zu kreieren, die selbst dem besten Abwehrspieler keine Chance lassen. Wenn gesagt wird, Zidane und Luis Figo seien nicht ausrechenbar, dann ist es nicht allein die Technik, die begeistert, sondern vor allem die kreative Kraft und der einmalige Entwurf, die sich im Werk des Körpers zeigen und von uns als Schönheit empfunden werden. Um so enttäuschter sind wir, dass sich in Korea und Japan bislang noch keine neue Künstlergeneration präsentiert hat. Die großen Momente haben wir noch nicht gesehen.
Nicht nur im Zweikampf, Mann gegen Mann, sondern auch im Kombinationsspiel liegt die ästhetische Dimension ganz auf Seiten der Offensive. Dabei ist der tödliche Pass des Regisseurs ein wichtiges, manchmal auch für den unbedarften Zuschauer erkennbares Element. Yildiray Bastürks Zuspiel ohne Sichtkontakt, das zum 1:0 der Türken gegen die Brasilianer führte, war ein Beispiel. Fast ebenso schön Ballacks geschaufelte Flanke auf den Kopf von Miroslav Klose. Eine einzelne geniale Kombination kann zum Tor führen, aber Spielkultur ist natürlich weit mehr als das. Individuelles Können muss sich zu einem Ensemble fügen, das permanent ein neues Stück auf die Bühne bringt. Insofern bleibt die brasilianische Mannschaft mit einem genesenen Ronaldo vorerst das Maß der Dinge.
Fußball ist ein Kampfsport. Selbstverständlich. Aber sein Geheimnis ist die Schönheit der einmaligen und torvollendeten Bewegung. Wer das nicht versteht, versteht nichts. Wäre dieser Sport nur Kampf um den Ball, dann hätte Fußball tatsächlich nichts weiter zu bieten als die Wiederholung des Immergleichen. Aber genau so wenig wie Bücher als endlose Abfolge schwarzer Buchstaben begriffen werden können, lässt sich Fußball ohne Sinn für den inneren, für den künstlerischen Zusammenhang des Gesehenen verstehen und genießen.
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