Noch ist die PDS nicht tot, auch wenn die Tränen von Gera für mehr als eine Trauerfeier gereicht hätten. Vielleicht war dieser Ausbruch der Gefühle nicht das letzte Wort. Vielleicht war dieser merkwürdige Parteitag nur eine Sackgasse, in die man hinein rennen muss, um sie später als solche zu erkennen, vielleicht ein reinigendes Gewitter, das die Positionen, die Charaktere und die Interessen so deutlich werden lässt, dass sie einem vernunftbegabten Verständigungsprozess doch noch zugänglich werden. Ob allerdings, nachdem der Nebel scheinbarer Gemeinsamkeiten endlich verschwunden ist, die Differenzen fruchtbar gemacht werden können, kann man mit gleichem Recht auch bezweifeln. Denn in Gera hat sich die PDS als eine Partei präsentiert, d
, der es - außer am Hang zum kollektiven Selbstmord - an allem mangelt. Ob das so sein musste und nicht eine von Lothar Bisky und André Brie angeregte Verschiebung der fälligen Wahlentscheidungen auf dem Parteitag, die einer Entladung persönlicher Animositäten und politischer Rivalitäten näher waren als einem programmatischen Votum, sinnvoller gewesen wäre, ist eine offene Frage. Nachdem nun aber geschehen ist, was offenbar geschehen musste, bleibt als erster Eindruck: Das erste und politisch verhängnisvollste Versäumnis ist die Eröffnung einer gehaltvollen Debatte. Statt das Debakel vom 22. September schonungslos auszuwerten, marschierten die Delegierten sehenden Auges - oder waren sie blind? - in eine Scheinalternative, in der sie - wie auch immer sie sich positionieren - nur scheitern können. Es kann weder darum gehen, die Wut im Bauch und die schöne, neue Welt im Kopf möglichst rein zu kultivieren, noch darum, sich im parlamentarischen und exekutiven Betrieb - so weit es geht - zu etablieren. Verbaler Radikalismus auf der einen Seite und prinzipienloser Reformismus auf der anderen - wer sich auf diese Alternative einlässt, hat schon verloren.Für jeden, der von außen auf die Partei schaut, sind die Defizite der PDS unübersehbar. Aber statt sie zu überwinden und sich zu fragen, mit welchem Profil man künftig wieder im Wettbewerb der Parteien bestehen kann, dominierte in Gera bei allen Fraktionen eine Realitätsverweigerung, die einer Sekte, nicht aber einer politischen Partei würdig ist. Die einen geißeln den Neoliberalismus der SPD und schlussfolgern, dass man sich von ihr fernhalten müsse. Aus dieser Sicht sind die Koalitionen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin das eigentliche Übel. Die anderen verweisen darauf, dass es zur Kooperation mit der SPD keine Alternative gebe, wenn man nicht auf Dauer ohne jeden Einfluss bleiben will.Gefangen in dieser absurden Gegenüberstellung steht am Ende die Reinheit des eigenen Anspruchs gegen die Logik des parlamentarischen Systems. Statt in eigener Souveränität schlüssige, visionäre, aber auch praxistaugliche Konzepte zu entwickeln und sich dann selbstbewusst zu fragen, unter welchen Bedingungen eine Koalition mit der SPD einzugehen ist oder nicht, auf welche Kernpunkte der eigenen Programmatik nicht verzichtet werden kann, hat sich die PDS auf das Glatteis einer abstrakten Diskussion begeben, die - wenn sie so weiter geführt wird - nur in der Bedeutungslosigkeit enden kann.Gera war nicht nur inhaltlich, sondern auch personell ein Fiasko. Dass im Vorfeld mit Gabi Zimmer und Dietmar Bartsch zwei Kandidaten für den Parteivorsitz gehandelt wurden, die beide nicht das Zeug haben, um die PDS aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit heraus zu führen, war schon ein schlechtes Omen. Aber es kam noch viel schlimmer: Eine Partei, die nach der verlorenen Bundestagwahl ihre Kräfte vereinen müsste, wählt zuerst Gabi Zimmer, die ihre Unfähigkeit zur Integration längst bewiesen hat, und dann einen Vorstand, in dem nur noch diejenigen vertreten sind, die eine schärfere Abgrenzung von der SPD verlangen, ohne selbst ein eigenes, alternatives Konzept auf den Tisch legen zu können. Senatoren aus Berlin, Minister aus Mecklenburg-Vorpommern und die beiden noch verbliebenen Bundestagsabgeordneten, also all diejenigen, die der PDS künftig ein mediales Gesicht geben könnten, sind aus der Führung verbannt.In radikaler Weise und in völliger Verkennung ihrer Lage hat die Partei auf ihre eigenen Mandatsträger verzichtet. Die Kluft zwischen dem Vorstand und den wichtigsten parlamentarischen Vertretern der Partei dürfte damit eher größer werden. Ob die PDS unter diesen Umständen überhaupt noch handlungsfähig ist, wird sich schon bald zeigen. Zynisch könnte man sagen: die PDS hat sich - moderner als alle Konkurrenten - in ein buntes Netzwerk verwandelt. Hier dürfen alle machen, was sie gerade wollen. Nur nicht der Vorstand, der für einen klaren antikapitalistischen Kurs sorgen soll. Vielleicht verstehen ja die Wähler diese neue Mischung aus Demokratie und Zentralismus.Siehe auch: Michael Jäger: Es gilt das gesprochene Wort