Schüsse aus der Lachgaspistole

Lobbyisten unterwegs Norbert Röttgens Fallrückzieher - oder: Die Trojanischen Pferde des Bundestages sind weiter auf dem Geläuf und dürfen ungehindert ihre Runden drehen

Wenn David Odonkor geschmückt mit einem Emblem des Energiekonzerns Eon auf der Brust in der Bundesliga stürmt, dann wissen nicht nur die Fußballfans, dass er seine Tore für Borussia Dortmund schießen will. Wenn dagegen nach der Sommerpause der CDU-Abgeordnete und Ex-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz wieder den Reichstag betritt, wissen nicht einmal die Kollegen aus der eigenen Fraktion, ob der umtriebige Rechtsanwalt an diesem Tage die Interessen der Steuerzahler oder die des größten Subventionsempfängers Ruhrkohle AG vertritt. Denkbar ist auch, dass er diskret als Aufsichtsrat der Deutschen Börse oder für seine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz zur erweiterten Offenlegung der Nebeneinkünfte von Parlamentariern streitet. Denn mit neun weiteren Kollegen aus den Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP hat er gegen jene Neuregelung geklagt, die vom Bundestag gegen Ende der 15. Legislaturperiode (2002 - 2005) mehrheitlich verabschiedet wurde.

Karlsruhe hat signalisiert, mit einem Urteilsspruch in dieser Sache sei Mitte September zu rechnen. Die Chancen der Frondeure um Merz, das Gesetz nebst Ausführungsbestimmungen zu kippen, stehen nicht schlecht; denn der Job der Volksvertreter wird nach dem "Diätenurteil" des Bundesverfassungsgerichts von 1975 oft "falsch interpretiert".

Recht auf Faulheit

Um zu klären, wann, wie und warum Trojanische Pferde unter den Abgeordneten ins Rennen gehen dürfen, scheint eine Rückblende in die Zeit der vorangegangenen Legislaturperiode geboten. Was war geschehen? Die artgerechte Haltung des CDU-Generalsekretärs, Laurenz Meyer, und des Vorsitzenden der CDU-Sozialausschüsse, Hermann-Josef Arentz, durch den Energiekonzern RWE war aufgeflogen. Doch der zu erwartende Entrüstungssturm der Sozialdemokraten blieb aus, sie verfielen stattdessen in beredtes Schweigen. Und sie hätten es bis heute nicht gebrochen, wäre da nicht die Politikerlohn-Liste des VW-Konzerns aufgetaucht. Erst jetzt, als die Käuflichkeit von Parlamentariern wie zu Zeiten des Flick-Parteispendenskandals nicht mehr zu leugnen war, besannen sich die Fraktionsführungen auf das "Nebenthema" Regeln für Nebentätigkeiten von Mitgliedern des Hohen Hauses. Da sich die Medien und die Öffentlichkeit an den legalen und illegalen Nebenjobs redlich abarbeiteten, war es wohl geraten, Handlungsbereitschaft zu demonstrieren, indem das Schein-Kontrollsystem durch etwas mehr Transparenz ein wenig verbessert werden sollte.

Soweit jedenfalls die Logik der Regisseure im einem zusehends virtuelleren Staatstheater. Dabei hätte es doch eigentlich darum gehen müssen, inwieweit die geleisteten Zahlungen Sonderinteressen - vorrangig die der Wirtschaft - begünstigten. Aber die Fälle der sündigen Parlamentarier aus Bund und Ländern, die als Lobbyisten unterwegs waren, sollten keine allgemeine Debatte über den Politiker als "Interessenvertreter" und die permanente Gefahr seiner Bestechlichkeit auslösen. Das hätte ja Lawinen losgetreten. Der Typus des Abgeordneten als Anwalt von Sonderinteressen ist in den Fraktionen nicht nur bekannt, sondern stillschweigend geduldet. Das liegt nicht allein an der kommerziellen Energie einzelner Abgeordneter, es muss gleichermaßen einer zweideutigen Rechtsprechung angelastet werden. Wohl definiert das Bundesverfassungsgericht (BVG) ein Abgeordnetenmandat als "Fulltime Job", dessen Ausübung "im Mittelpunkt der Tätigkeit des Bundestagsmitglieds stehen soll", führt aber weiter aus: "Unbeschadet dieser Verpflichtung bleiben Tätigkeiten beruflicher oder anderer Art neben dem Mandat grundsätzlich zulässig." Rechtliche Grundlage bleibe das "freie Mandat", das in "Unabhängigkeit und Unverantwortbarkeit" (BVG) durch die Abgeordneten ausgeübt werde. Dazu meint der Jurist Peter Häberle: "Es ist der Freiheit des Abgeordneten überlassen, wie intensiv er sein Mandat erfüllt." - In der Praxis bedeutet das nichts anderes, als dass es ein Recht auf Faulheit im Mandat zugunsten einer anderen lukrativeren Tätigkeit gibt.

Der so im Parlament angesiedelte "embedded lobbyist" muss demzufolge in seiner Fraktion aus seinen speziellen Neigungen kein Hehl machen. Wie punktgenau gerade die Fraktionen solche Interessenvertreter in den Ausschüssen zu positionieren pflegen, zeigt das Beispiel des Bundestagsabgeordneten Reinhard Göhner (CDU/CSU), der als Mitglied der Bundestagsausschüsse für Wirtschaft und Technologie sowie Arbeit und Soziales von seiner "Nebentätigkeit" her seit 1996 Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA) ist. "Ein grauenhafter Interessenmischmasch", kommentierte der linker Umtriebe unverdächtige Ex-BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel.

Gleiches konnte er bis zum vergangenen Wochenende bei seinem ehemaligen Verband besichtigen: Der dort als Hauptgeschäftsführer der BDI nominierte CDU-Abgeordnete und Jurist Norbert Röttgen, derzeit parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, wollte sein Bundestagsmandat zunächst auf keinen Fall niederlegen. Wegen "der Verpflichtung gegenüber seinen Wählern im Wahlkreis Rhein-Sieg II", versteht sich. Erst ein allgemeines Unbehagen - auch in der Union - zwang Röttgen zum Fallrückzieher.

Hohes Ansehen im Hohen Hause

In der Bundesrepublik ist jener Volksvertreter, der sich ausschließlich um das Wohl der Allgemeinheit kümmert und nur seinem Gewissen folgt, wie es immerhin die Mütter und Väter des Grundgesetzes vorsahen, bis auf einige wenige Idealisten leider Fiktion geblieben. Betrogen wird einmal mehr der Steuerzahler, denn nicht nur nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, auch in der normalen Praxis ist die Abgeordnetentätigkeit eine strapaziöse Vollzeitbeschäftigung. Die Sitzungswochen in Berlin und eine qualifizierte Wahlkreisarbeit lassen keinen Raum für Nebenarbeiten. Ungeachtet dessen genießen die Lobbyisten mit Mandat hohes Ansehen im Hohen Hause. Sie wecken wegen der vom jeweiligen Mäzen gern gewährten Privilegien (Dienstwagen, komfortable Büros, zusätzliche Mitarbeiter) Begehrlichkeiten wie Nachahmungstrieb. Diese Abgeordneten haben es nach dem Wertehaushalt und Weltbild so mancher Hinterbänkler geschafft, sich über den so genannten Nebenjob Einfluss und Macht gegenüber den Fraktionshierarchen, teilweise sogar der Regierung, zu sichern. Von satten Honoraren ganz zu schweigen.

Es gibt zudem eine beachtliche Schar von Gelegenheitslobbyisten unter den MdB, die als Zirkulationsagenten lautlos (häufig zwischen mehreren Auftraggebern) Vertrauliches aus Regierung und Parlament in Verbände und Unternehmen - wenn nötig auch an die Presse - schleusen. Manche vermarkten ihr Wissen nebst Empfehlungen über Beratungsfirmen wie etwa Ludger Vollmer, grüner Ex-Staatsminister im Auswärtigen Amt.

Vorrangig Verbände und Konzerne verfügen auf diese Weise über parlamentarische Frühwarnsysteme. Für die Honorierung der Dienstleister wählt man verschiedene, oft verschlungene Wege: Da sind zunächst die Spenden für den persönlichen Wahlkampf, dann der Sold für Beraterverträge bis hin zu Vergütungen, Aufwandsentschädigungen oder sonstige geldwerte Gefälligkeiten. Je nach Rang und Einfluss der Mandatsträger reichen die Liebesdienste vom Flug im Firmenjet über das Billett zum Wiener Opernball bis zur Kreuzfahrt im Mittelmeer. Oder - mehr für das parlamentarische Fußvolk gedacht - ein ordentliches Honorar für die Rede beim jüngsten Firmenjubiläum. Die besonders Umsichtigen zahlen freilich erst nach dem Ende einer eindrucksvollen Karriere im Plenarsaal oder Regierungsamt.

Manche der gestrauchelten Trojanischen Pferde behaupten heute, sie hätten beispielsweise von VW oder RWE den Sold ohne Gegenleistung eingestrichen. Nur so ist die Einlassung des eingangs erwähnten Hermann-Josef Arentz zu verstehen, er habe für sein RWE-Entgelt "nichts getan". Das widerspricht nicht nur jeder Lebenserfahrung, sondern bringt die Auftraggeber in Verlegenheit: Wurden die Bedürftigen von RWE oder VW ohne jede Gegenleistung alimentiert, dann will es das Aktiengesetz, dass die beiden Aktiengesellschaften wegen Untreue anzuklagen sind. In dieser Richtung ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen die VW-Verantwortlichen. Vermutlich waren die solcherart begünstigten Volksvertreter "Schläfer", die immer dann aufwachten oder geweckt wurden, wenn für ihre Sponsoren im Parlament etwas anzubrennen drohte.

Das Beichtgeheimnis ist zu wahren

Die dramaturgische Funktion des ersten Akts der "Selbstreinigung" - sprich: des Untersuchungsausschusses in der vergangenen Legislaturperiode - bestand im alles verniedlichenden Schmierenstück "Nebenjob" darin, die Dümmsten der Sündigen laut Parlamentsjargon "als einzelne Übeltäter im Regen stehen zu lassen". Im zweiten Akt, überschrieben mit "Verabschiedung der Verhaltensregeln für Mitglieder des Bundestages", sollte der Anschein erweckt werden, hier würde Abhilfe geschaffen. In Wahrheit galt es zu verhindern, dass sich in der Öffentlichkeit Widerstand formiert und wirksame strafrechtliche Maßnahmen gegen alle Formen der Einflussnahme von Geld auf Politik verlangt werden. Mit Strafen bis zur Aberkennung des passiven Wahlrechts wie in Frankreich.

Stattdessen formulierten die Fraktionen ein Gesetz zur stufenweisen Offenlegung aller Nebeneinkünfte der Abgeordneten beim Bundestagspräsidenten. Selbstverständlich ist dabei das Beichtgeheimnis zu wahren. Wie beim Arzt und Anwalt gilt die Schweigepflicht. Dem Wähler wird dafür die Begründung serviert, eine Offenlegung aller Einkünfte lasse die in ihren gelernten Berufen tätigen Abgeordneten gegenüber ihren Konkurrenten ins Hintertreffen geraten!

Im dritten Akt präsentieren nun die Kläger um Friedrich Merz mit treuherzigem Augenaufschlag, was die Kollegen sorgenschwer unter Hinzuziehung ehrenwerter und gewissenhafter Verfassungsrechtler als "Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages" verabschiedet haben, dem Bundesverfassungsgericht. Sie wissen, alles wird sich ändern, aber eben so, dass alles so bleibt, wie es ist. Die vorgeschlagenen parlamentsinternen Sanktionen wirken - selbst wenn sie wider Erwarten im September als verfassungsgemäß durchgehen sollten - wie Schüsse aus der Lachgaspistole. Die Parlamentsverwaltung verfügt gegenüber verdächtigen Übeltätern über keine wirksamen Kontrollmöglichkeiten. Nicht einmal die durch Steuern bezahlten Wahlkreismitarbeiter eines Abgeordneten können daraufhin überprüft werden, ob sie wirklich nur und ausschließlich für dessen Wahlkreis arbeiten.

Es bleibt die Frage, warum sich Volksvertreter, wie bei Verkehrsunfällen üblich, nicht auch bei Regelverstößen, zu denen es in Ausübung ihres Mandats kommt, vor ordentlichen Gerichten verantworten müssen. Abgeordnetenbestechung gehört deshalb ins Strafgesetzbuch. Es ist der müde Schluss einer endlosen Geschichte über Geld, Macht und den Einfluss auf Gesetze, nach denen Millionen leben müssen. Die Spitzenpolitiker kümmert das wenig. Sie wissen um die sich immer weiter verkürzenden Relevanzzeiten politischer Skandale. Es wird ja nur das Vertrauen in die Demokratie demoliert.

Der Autor saß in drei Legislaturperioden für die SPD als Abgeordneter im Deutschen Bundestag.


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