Für Tomás Borge - letztes noch lebende Gründungsmitglied der Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN) und während des Jahrzehnts einer sandinistischen Regierung bis 1990 Innenminister - besteht kein Zweifel: "Gegen Daniel zu sein, bedeutet für die Spaltung zu sein." Soviel Rückhalt von dieser Seite mag überraschen, denn nach dem Sieg der sandinistischen Revolution im Juli 1979 war Borge ziemlich unverhohlen der Meinung - der älteste, erfahrenste - und wohl auch charismatischste - der neun Comandantes de la Revolución sollte die Rolle des "primus inter pares" übernehmen. Doch Koordinator der nach dem Sturz des Diktators Somoza gebildeten Regierungsjunta wie des FSLN-Direktoriums - später dann auch Staatspräsident - wurde der um eine Generation jüngere und die Massen bei weitem weniger elektrisierende Daniel Ortega. Der hatte dieses Mandat nicht zuletzt seinem Bruder Humberto zu verdanken, dem in militärischer wie politischer Hinsicht stets ein strategisches Naturtalent bescheinigt wurde, immerhin führte er seit 1979 als Armeechef und Verteidigungsminister mit dem Sandinistischen Volksheer (EPS) das effektivste Machtzentrum im neuen Nikaragua.
Doch augenblicklich ist es ausgerechnet Humberto, der öffentlich dafür plädiert, Daniel aus der ersten Reihe zurück zu ziehen. Und zwar am 21. Januar, wenn die 400.000 Mitglieder der Frente mit einem internen Votum ihre Kandidaten für die im November fälligen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen küren. Glaubt man den Meinungsforschern, so besäße der Ex-Präsident die weitaus besten Chancen, noch einmal das Amt zu gewinnen, das er 1990 im Schatten des von den USA entfesselten Contra-Krieges gegen die unbedarfte Verleger-Witwe Violeta Barrios de Chamorro verloren hatte (s. Übersicht).
Bei den Kommunalwahlen im November 2000 konnten die Sandinisten mit dem Triumph von Ex-Tourismusminister Herty Lewites nicht nur Managua erobern, es fielen nahezu alle wichtigen Städte (Chinandega, Somoto, León, Esteli) wieder an die FSLN. Um die Gunst dieses Trends nicht zu verspielen, müsse jetzt von einer "Position der Mitte und der nationalen Einheit aus agiert sowie eine Formel gefunden werden, um als moderate Kraft glaubhaft zu wirken", verlangt Humberto Ortega in einem gerade veröffentlichen Thesen-Papier, das als Absage an eine Kandidatur seines mit dem Stigma des Verlierers behafteten Bruders gelesen wird. Dahinter steht zweifelsfrei auch die Befürchtung, Daniel Ortega könnte mit seinem Rentrée Nikaragua wieder in einen Zustand scharfer politischer Polarisierung versetzen.
Allerdings macht sich der emeritierte General, der wegen gesundheitlicher Probleme zuletzt viel im Ausland weilte - weshalb interne Gegner finden, er habe den Kontakt zur nikaraguanischen Realität verloren -, für keinen der anderen Bewerber stark. Dazu muss neben dem ehemaligen Planungsminister Alejandro Martinez sowie dem weithin unbekannten FSLN-Aktivisten Martin Lopez vor allem der einstige Vizeaußenminister Hugo Tinoco gerechnet werden - ein gebildeter, besonnener Mann, der zur Zeit der FSLN-Regierung die Kontakte zu westlichen Staaten hielt. Ex-Bildungsminister Carlos Tunnerman - ein Intellektueller mit hohen moralischen Ansprüchen - hielt sich denn auch mit der Bemerkung nicht zurück, Humberto Ortegas Vorstoß reflektiere vor allem das Betreben der zu erfolgreichen Privatunternehmern konvertierten Spitzen-Genossen, ihren spezifischen Interessen Geltung zu verschaffen.
Präsidentschaftswahlen im Februar 1990
Violeta Barrios de Chamorro (Vereinte Oppositionsallianz /UNO) | 54,7% |
Daniel Ortega (FSLN) | 40,8% |
Sonstige Kandidaten | 4,5% |
Präsidentschaftswahlen im Oktober 1996
Arnoldo Alemán (Alianza Liberal) | 51,0% |
Daniel Ortega (FSLN) | 38,7% |
Guillermo Osorno (Camino Cristiano) | 4,0% |
Noel José Vidaurre (Partido Conservador) | 3,6% |
Sonstige Kandidaten | 2,7% |
Diesen neo-kapitalistischen Zweig der FSLN gibt es tatsächlich, und er ist ungefähr so alt wie der Bruderzwist im Hause Ortega, der eigentlich unter umgekehrten Vorzeichen begann: Vor den Wahlen von 1990 war es Daniel, der den unpopulären obligatorischen Wehrdienst abschaffen wollte. Wogegen sich der von osteuropäischen Beratern umgebene Humberto vehement wehrte. Prompt bescherten vorrangig die Stimmen der Mütter von Wehrpflichtigen der Kandidatin der US-Botschaft den Sieg. Als Violeta de Chamorro dann im Amt war und hauptsächlich ihren Schwiegersohn regieren ließ, erkannte der rasch, dass es besser sei, keinen Konflikt mit dem sandinistischen Heer zu riskieren, so dass Humberto Ortega noch bis 1995 als oberster Militär im Amt blieb. Und keiner verstand es wie er, das Erbe der sandinistischen Ära zu nützen, vorzugsweise indem er Staatseigentum mit Sinn für den eigenen Besitzstand privatisierte. Im Offizierskorps, in dem General Ortega viele der intelligentesten Köpfe des Landes ohne Ansehen ihrer sozialen Herkunft versammelt hatte, begann man sich fortan mehr um Renditen als Raketen zu kümmern. Es entstand, was das traditionelle Unternehmertum Nikaraguas nie zustande gebracht hatte: ein in hohem Maße gewinnträchtiges Geflecht von Firmen aller Art, bei denen man nie so genau wusste, wem sie gehören. Im Zweifelsfall - so sollte sich zeigen - etlichen Ex-Guerrilleros (allen voran Humberto Ortega).
Fortan wollte diese Klientel ihren Status nicht durch politische Experimente gefährdet sehen. Diese unternehmerischen Ambitionen kosteten die FSLN politisch einen hohen Preis, denn intellektuelle Aushängeschilder der zur Partei transformierten Guerrilla kehrten dieser enttäuscht den Rücken. Allen voran der Dichter Ernesto Cardenal und Ex-Vizepräsident Sergio Ramirez, der es gar mit einer - von der europäischen Sozialdemokratie mehr mit guten Wünschen als hilfreichen Taten unterstützten - Konkurrenzpartei versuchte, die freilich nie eine Massenbasis gewann.
Die "einfachen Leute" hingegen verhielten sich wie seit jeher in diesem Land: Sie schimpften zwar gegen "die Diebe da oben". Doch im Grunde galt ihnen aus Tradition jeder, der fähig ist, sich zu bereichern, und dies nicht tut, eher als vertrottelter "Warmduscher", von dem man eigentlich nicht regiert werden wollte. Das bestätigte der Erfolg des neuen Bürgermeisters von Managua: Herty Lewites, dessen Tourismus-Ministerium bis 1990 die lukrativen Devisen-Läden verwaltete, war immer schon ein Mann, der sich und seinen Clan nicht verkommen ließ.
Wenn die FSLN dennoch seit 1990 nie über einen Wähleranteil von knapp 40 Prozent hinauskam, dann lag das mehr daran, dass sie kein der neuen Lage angepasstes Projekt zu entwickeln vermochte und die Spitzenleute permanent in interne Fehden verstrickt waren. So gewann stets die Rechte mit dem Segen des Episkopats und dem Versprechen an die Wähler, sie würden nun fürstlich vom Tisch der USA gespeist werden. Doch seit Ende des Kalten Krieges besitzt für Washington der Präsident von Nikaragua kaum größere Bedeutung als ein Maulesel. Inzwischen könnten das auch viele Nikaraguaner begriffen haben. Ist es doch in Managua mit Händen zu greifen, dass im vergangenen Jahrzehnt die wenigen Reichen um noch vieles reicher geworden sind und dort, wo zu Zeiten der Sandinisten ewiger Mangel herrschte, nun nacktes Elend eingekehrt ist.
Daher will Humberto Ortega, dass die FSLN 2001 mit dem gleichen Rezept gewinnt, dessen Durchschlagskraft bei den Kommunalwahlen zu überzeugen wusste: Ohne Rücksicht auf ideologische Etiketten einfach die Kandidaten präsentieren, die jeweils vor Ort das höchste Maß an Respekt und Popularität besitzen.
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