HENRY KISSINGERS CHILENISCHE VERGANGENHEIT Die Verstrickung des Ex-Außenministers in die Ermordung des Generals René Schneider und des amerikanischen Journalisten Charles Horman
Gerade hat EL PAIS, die bedeutendste Zeitung Spaniens, einen Vorabdruck aus einem Buch publiziert, das am 30. April in England erscheinen soll. Autor ist der Amerikaner Christopher Hitchens, der neue Fakten über die Destabilisierung des chilenischen Präsidenten Salvador Allende zwischen 1970 und 1973 durch die damalige US-Administration zusammengetragen hat. Ins Visier des Autors geriet dabei vor allem ein Mann, der zur fraglichen Zeit in Washington zuerst Richard Nixons Sicherheitsberater und danach Außenminister war. Hitchens Werk trägt den Titel: The trial of Henry Kissinger.
Joyce Horman hat exakt die Hälfte ihres 56-jährigen Lebens mit dem vorderhand noch vergeblichen Versuch zugebracht, den Schreibtischtäter Kissinger vor Ge richt zu bringen. Sie ist
28;ter Kissinger vor Ge richt zu bringen. Sie ist die Witwe des unmittelbar nach dem Militärputsch vom 11.September 1973 in Santiago de Chile entführten und ermordeten US-Journalisten Charles Horman. Dessen Schicksal fand weltweite Beachtung, nachdem 1982 Costa-Gavras in seinem Film Missing anhand dieses Falles vorgeführt hatte, wie die US-Regierung mit den chilenischen Schlächtern kooperierte, wenn es darum ging, politische Gegner oder auch bloß zu gut informierte Zeugen - selbst, wenn es sich um US-Bürger handelte - auszuschalten."Mein Mann wurde umgebracht, weil er an Informationen aus erster Hand über die Beteiligung der Navy an den Putschvorbereitungen gelangt war", erklärt Joyce Horman heute. Sie ist weiter davon überzeugt, dass ihr Mann, den man zuerst in das als Internierungslager missbrauchte Fußballstadion von Santiago brachte, von Pinochets Leuten erst umgebracht wurde, nachdem es dafür grünes Licht aus Washington gegeben hatte. Grünes Licht von Henry Kissinger, der damals alle Aktionen in Sachen Chile persönlich leitete. In diesem Sinne erstattete Hormans Witwe bereits 1977 in den USA Strafanzeige gegen den Ex-Außenminister, doch das Verfahren kam nicht voran, weil konkrete Beweise fehlten. Die US-Behörden verweigerten die Herausgabe von Dokumenten aus Gründen der "Nationalen Sicherheit". Wenn doch Einsicht in einige Akten erzwungen werden konnte, waren dort die wesentlichen Passagen geschwärzt - um die Persönlichkeitsrechte Kissingers zu wahren, die laut Gesetz bis zum Ableben des Betroffenen gelten.Santiago, 22. Oktober 1970 - Attentat auf General SchneiderGegen 9.15 Uhr passiert am Vormittag das 22. Oktober 1970 der Dienstwagen von René Schneider in Santiago die Kreuzung Avenida Sebastian el Cano - Avenida Martin de Zamora, als zwei Autos der Limousine des Generals dicht folgen. Am Ende der Straße, nach zirka 500 Metern, wird dessen Fahrzeug plötzlich von zwei entgegenkommenden Wagen blockiert. Der Generalstabschef und seine Begleitung sehen sich von den Attentätern eingekeilt. Sekunden später fallen die tödlichen Schüsse.Weil sie nicht untätig darauf warten wollte, schloss sich Joyce Horman im Dezember als Klägerin dem Verfahren gegen Augusto Pinochet in Chile an. Dies nicht zuletzt in der Hoffnung, auf diesem Umweg an Belastungsmaterial gegen Kissinger zu gelangen.Einiges an wertvollen Hinweisen dürfte nun durch Christopher Hitchens Buch an die Öffentlichkeit gelangen. Darauf lässt der Vorabdruck in EL PAIS schließen, in dem zwar erst das allererste Kapitel der Verschwörung - der Mord an dem verfassungstreuen General René Schneider im Oktober 1970 - behandelt wird. Doch schon in dieser Phase tritt die zentrale Rolle Kissingers klar zu Tage."Abteilung für feuchte Angelegenheiten"Das Schurkenstück begann, nachdem Allendes Unidad Popular im September 1970 mit 36,2 Prozent der Stimmen die Wahlen gewonnen hatte und der Sozialist im Sinne der Verfassung binnen 60 Tagen vom Kongress in Santiago als Staatspräsident bestätigt werden sollte. Der damalige US-Präsident Richard Nixon meinte, dazu dürfe es erst gar nicht kommen. Er ließ sich hierbei weniger von politischen Überlegungen leiten als von privater Dankesschuld. Zu jenen US-Unternehmen, die in Chile viel Geld verdienten und nun befürchteten, unter einer Linksregierung könnten andere Saiten aufgezogen werden, zählte neben ITT und der Chase Manhattan Bank auch der Pepsi-Cola-Konzern. Dessen Chef Donald Kendall war Nixons erster zahlungskräftiger Klient, als der nach seiner Wahlniederlage gegen John F. Kennedy 1960 vorübergehend aus der Politik ausgeschieden und in die New Yorker Anwaltskanzlei von John Mitchell - dem späteren US-Justizminister - eingetreten war.Nixon übertrug die Causa Chile seinem Sicherheitsberater Kissinger, der nun seinem Präsidenten und dessen angestammter Gang, bei der antisemitische Pöbeleien zum Umgangston gehörten, beweisen konnte, kein Weichei zu sein. Der "Doktor", wie sich Kissinger stets gern nennen ließ, trat zur Befehlsausgabe gemeinsam mit dem damaligen CIA-Chef Richard Helms an, der über das Gespräch notierte: "Die Risiken sind unerheblich. Keine Beteiligung der Botschaft. Zehn Millionen Dollar zu unserer Disposition, wenn nötig mehr. Absoluter Vorrang - mit den besten Leuten, die uns zur Verfügung stehen ... Die Wirtschaft muß knirschen, 48 Stunden für einen Aktionsplan."Dessen Grundlinien wurden sogleich skizziert - hinter dem Rücken von Edward Korry, des US-Botschafters in Santiago. Zum Sonderstab gehörten neben Helms und Kissinger noch dessen Stellvertreter (der spätere Außenminister) General Haig sowie Thomas Karamessines. Letzterer leitete im Geheimdienst das Departement für Operative Aktionen, im Hausjargon "Abteilung für feuchte Angelegenheiten" genannt. Das Konzept war einfach: Durch Unruhen, Entführung und Mord sollte ein Putsch provoziert werden.Doch gerade da tauchten die Probleme auf: In Chiles Armee herrschte weithin die Tradition der verfassungskonformen Nichteinmischung vor. Diese Haltung verkörperte vor allem Generalstabschef René Schneider. Also entschied die ehrenwerte Gesellschaft von Washington: der General müsse verschwinden. Man dachte daran, ihn von rechtsextremen Offizieren entführen zu lassen und den Anschein zu erwecken, die Kidnapper kämen aus dem Umfeld Allendes, um damit dessen Bestätigung im Kongress zu verhindern.Skepsis herrschte vor allem bei der CIA. Helms erinnert sich: "Wir haben Kissinger klar zu machen versucht, dass die Erfolgsaussichten minimal waren. Der Doktor wollte dennoch mit allen Mitteln weitermachen."Botschafter Korry wies zur gleichen Zeit sein Personal in Santiago an, keinerlei Kontakte zur rechtsextremen Gruppierung Patria y Libertad zu pflegen, die als besonders militante Opposition gegen Allende galt. Doch war hinter seinem Rücken aus Washington bereits Order an den Militär-Attaché ergangen, in genau diesen Kreisen nach Verbündeten zu suchen. Am 15. Oktober 1970 wurde Kissinger mitgeteilt, es sei gelungen, den Patria y Libertad zugerechneten General Roberto Viaux anzuheuern. Am 18. Oktober meldete die CIA-Crew aus Santiago an Kissinger, die Operationsvorbereitungen liefen "besser als erwartet", weshalb man "binnen 48 Stunden" die Ausrüstung für die Schneider-Entführung benötige: Vor allem Schnellfeuerwaffen, deren Herkunft "nicht nachvollziehbar" sein dürfe. Allerdings schien man sich in Washington der Gefahr bewusst zu werden, dass der auserkorene Partner, der 1969 schon einmal in einen Putschversuch verstrickt gewesen war und sogar unter Offizieren als "zu räudiger Hund" galt, aus dem Ruder laufen könnte.In einer Nachricht vom 16. Oktober an den CIA-Residenten in Santiago hieß es denn auch, man müsse alles unternehmen, um noch vor dem 24. Oktober (dem Tag, an dem Allende als Präsident bestätigt werden sollte) andere Machtverhältnisse zu schaffen, eine eingehende Überprüfung der Pläne von Viaux habe jedoch ergeben, die hinter diesem Mann stehenden Kräfte seien "noch zu schwach". Ein isolierter Putsch-Versuch könne mehr negative als positive Folgen haben. Deshalb sei der General unbedingt von voreiligen Aktionen abzuhalten. Ein Hinweis von "hohen Instanzen der USG" - USG stand für US-Government.50.000 Dollar für den Kopf des Generals Wer wiederum diese hohen Instanzen verkörperte, geht klar aus einem Protokoll über ein Gespräch hervor, das einen Tag zuvor Kissinger mit Haig und Karamessines geführt hatte. Letzterer beklagte sich über die Unzuverlässigkeit von Viaux und dessen geringen Rückhalt in der Armee. Ein Umsturz habe unter diesen Umständen eine Erfolgschance von 20 Prozent, das beeinträchtige Möglichkeiten für künftige Operationen gegen Allende erheblich.Bald aber meinte die CIA einen "respektableren" Anführer gefunden zu haben: General Camilo Valenzuela, Kommandant der Garnison von Santiago. Die neue Strategie lief nun darauf hinaus, von Viaux einen Putsch provozieren, ihn dann aber von Valenzuela anführen zu lassen. In diesem Sinne wurde in der Nacht des 19. Oktober versucht, General Schneider im Anschluss an ein offizielles Abendessen zu entführen. Das scheiterte - der General hatte den Heimweg in einem privaten PKW und nicht in seinem Dienstwagen angetreten.Dieser Misserfolg sorgte für Hektik in der CIA-Zentrale, wo man aus Santiago umgehend Erklärungen verlangte, da am Morgen des 20. Oktober eine Konferenz "mit hohen Instanzen" anstand. Schließlich wurden die Agenten vor Ort ermächtigt, Viaux weitere 50.000 Dollar für einen erneuten Entführungsversuch - noch am 20.Oktober - auszuzahlen. Auch diese Aktion scheiterte.Am 22. Oktober gelang es Viaux' Leuten dann doch, Schneider zu töten. Doch das führte nicht zu den in Washington erhofften Folgen - im Gegenteil: Viaux und Valenzuela wurden in Santiago vor ein Militärtribunal gestellt. Und in Washington verlor Henry Kissinger vorübergehend jegliches Interesse "an der Rettung Chiles". Er war nur noch bemüht, in keinerlei Zusammenhang mit der gescheiterten Operation gebracht zu werden. Dementsprechend ließ er Dokumente aus dem Amtsverkehr ziehen und eine ihm genehme Sicht der Vorgänge aktenkundig machen Dies bezeugt jedenfalls Ex-Botschafter Korry, der sich vom "Doktor" bald zum Sündenbock ausersehen fand, auf den alle Verantwortung abgeladen werden sollte.Christopher Hitchens resümiert mit Blick auf den "Komplex Schneider", Kissinger könne zumindest "der direkten Komplizenschaft bei der Ermordung eines demokratischen Soldaten eines demokratischen, friedlichen Staates" beschuldigt werden. Es bleibt nun abzuwarten, was der Autor über Kissingers Rolle beim Mord an Charles Horman zu berichten hat.n
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