Massaker in der Botschaft

GUATEMALA Ein spanischer Untersuchungsrichter ermittelt gegen ehemalige Diktatoren wie Rios Montt und Lucas Garcia - Parallelen zum Fall Pinochet sind unübersehbar

Eigentlich wollte Ex-Diktator General Rios Montt - derzeit Präsident des Kongresses von Guatemala - im Mai eine offizielle Reise in die USA und nach Frankreich antreten, doch wurde der Trip stillschweigend gestrichen. Aus gutem Grund: Dem Ex-Diktator, hätte es im Ausland ähnlich ergehen können wie Augusto Pinochet, der seinen Aufenthalt in Großbritannien über Gebühr verlängern musste und einer Auslieferung an Spanien nur entging, weil ihm ein ärztliches Gutachten Verhandlungsunfähigkeit attestierte. Auch gegen Rios Montt, der sich Anfang 1982 ins Präsidentenamt geputscht hatte, das er nach einem Staatsstreich des Generals Mejia Victores im August 1983 wieder abgeben musste, ist in Madrid Anklage wegen Völkermords, Folter und Terrorismus erhoben worden. Die Liste der Beschuldigten umfasst derzeit neben Rios Montt und Mejia weitere Staats-, Armee- oder Polizeichefs Guatemalas (siehe Kasten).

Dieser späte Versuch, Gerechtigkeit zu schaffen, beruht auf einer Strafanzeige, die von der 1992 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Indígena-Aktivistin Rigoberta Menchú erstattet wurde. Dem Verfahren haben sich inzwischen spanische Gewerkschaften und internationale Menschenrechtsgremien angeschlossen. Im März hatte sich der spanische Ermittlungsrichter Guillermo Ruiz Polanco - ungeachtet einer unverblümten Blockade seitens einer mit Spaniens Rechtsregierung eng liierten obersten Staatsanwaltschaft -für den Fall zuständig erklärt. Im Schatten des damaligen Gezerres um Pinochet wurde das Strafverfahren gegen die guatemaltekischen Obristen offiziell eröffnet, und Ermittlungsrichter Ruiz schritt zur Beweisaufnahme.

Einer der ersten gehörten Zeugen war Maximo Cajal: Einst spanischer Botschafter in Guatemala, als im Januar 1980 drei Dutzend indianische Campesinos friedlich in seine Residenz eindrangen, um dadurch die Aufmerksamkeit auf ein gerade von der Armee verübtes Massaker an ihresgleichen zu richten. Unter ihnen der Vater von Rigoberta Menchú, der getötet wurde, als eine Polizeieinheit unter Mißachtung internationalen Rechts das Botschaftsgebäude stürmte und die Besetzer nebst zwei spanischen Botschaftsangehörigen erschoss. Missionschef Maximo Cajal, selbst schwer verletzt, konnte gerade noch von Diplomaten in ein Hospital gerettet werden. Dorthin brachten die Helfer auch einen Campesino, der unter einem Leichenberg lag und daher als einziger der Besetzer überlebte - allerdings nur für kurze Zeit. Vermummte verschaffen sich Zugang zur Klinik und entführten den Verletzten. Drei Tage später fand man dessen verstümmelte Leiche vor der Universität von Guatemala-City. Der spanische Botschafter wurde daraufhin in die US-Mission verlegt - dem einzigen Ort, der Schutz vor den staatlichen Todesschwadronen verhieß. - Dieser spektakuläre Vorfall ist zwar ebenso wie die während der folgenden beiden Jahre verübten Morde an vier in Guatemala tätigen spanischen Priestern nur eine Fußnote in der Bilanz der Gräuel, die in diesem Land über Jahrzehnte mit staatlicher Order verübt wurde, doch verschafft er Richter Guillermo Ruiz formaljuristisch eine unangreifbare Handhabe, um sich an der Aufarbeitung eines Massenverbrechens zu versuchen, das schlicht aus der Geschichte gestrichen wurde.

Als 1996 ein Friedensabkommen mit der seit 1962 operierenden linken Guerrilla geschlossen wurde, bestand der Preis für dieses Agreement in einer Blanko-Amnestie für die Militärs, die etwa 150.000 Zivilisten auf dem Gewissen hatten und zirka 50.000 verschwinden ließen. 92 Prozent der Opfer gehen auf das Konto von Armee, Polizei sowie der von beiden unterhaltenen Todesschwadronen - der Rest auf das der Guerrilla. Dies ermittelte die 1996 als Konzession an die zivile Demokratiebewegung eingesetzte Wahrheitskommission, von der die Militärs nach wie vor des Genozids beschuldigt werden. Zum gleichen Resultat kam ein Report, den Erzbischof Juan Gerardi veröffentlichte - der Geistliche fiel 1998 einem Attentat zum Opfer.

Gleichfalls als Folge des Friedensabkommens von 1996 existiert nun mit dem 60-jährigen Juristen Julio Arango in Guatemala ein staatlicher "Generalprokurator für Menschenrechte". "Wir haben gute Gesetze und eine exzellente Strafprozessordnung - aber beides wird nicht angewandt", signalisierte er seine Zustimmung zu dem im fernen Spanien eröffneten Verfahren, "in Guatemala besteht nur formal, nicht wirklich ein Rechtsstaat. Die Justiz funktioniert seit vielen Jahren nicht, das Verfahren in Spanien könnte zumindest die historische Wahrheit festhalten."

Ganz anders sieht das naturgemäß der Hauptbeschuldigte Rios Montt: "Völkermord hat es im Kosovo oder in Uganda gegeben - bei uns wurde ein bewaffneter Konflikt ausgetragen." Eine der Stützen dieser Gesellschaft, der den Militärs geschäftlich eng verbundene Anwalt Julio Cintron Galvez, hat als Reaktion auf die in Spanien begonnen Ermittlungen bei der Generalstaatsanwaltschaft Guatemalas eine Strafanzeige wegen Vaterlandsverrat gegen Rigoberta Menchú deponiert. Im Falle einer Verurteilung droht der Nobelpreisträgerin eine Haftstrafe zwischen 10 und 20 Jahren.

Gute Argumente sind das beste Geschenk

Legen Sie einen Gutschein vom digitalen Freitag ins Osternest – für 1, 2 oder 5 Monate.

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden