Trash wider Willen

IM KINO Rosa von Praunheim hat seinen ersten Mainstream-Film gedreht. Mit "Der Einstein des Sex" porträtiert er Magnus Hirschfeld

Schon früh gerät Magnus Hirschfeld mit den Moralvorstellungen seiner Zeit in Konflikt. Als kleiner Junge sitzt er eines schönen Sommertages am Ostseestrand und malt sich lustige Bilder fröhlich koitierender Haustiere in den Block. Der Sand ist weiß, der Himmel blau, die grünen Halme biegen sich sacht im Gras. Klein-Magnus ahnt nichts Böses in dieser Stunde, doch schon pirscht sich ein neugieriger Gendarm heran, erblickt bestürzt seine Kunst und zieht dem Kleinen die Ohren lang. Gewissermaßen leitmotivisch stellt Regisseur Rosa von Praunheim diese Begebenheit seinem Filmporträt voran.

Magnus Hirschfeld (1868-1935) ist eine widersprüchliche Figur. 1897 ruft der Arzt und Sexualwissenschaftler das "Wissenschaftlich-humanitäre-Komitee" (WhK) ins Leben, um für die Abschaffung des Schwulen-Paragraphen 175 einzutreten. Das WhK gilt als die erste deutsche Schwulenorganisation und Hirschfeld damit als Begründer der Schwulenbewegung. Er verfolgt zwei Ziele, gegen das Unrecht ankämpfen und als bedeutender Wissenschaftler in die Geschichte eingehen. 1919 bezieht Hirschfeld sein Institut für Sexualwissenschaften im Berliner Tiergarten. Er betreibt Familienberatung und sammelt für sein Sexualmuseum Stöckelschuhe, seltsame Selbstbefriedigungsmaschinen und erotische Kunst. Der Sexualwissenschaftler entwickelt sich zu einem begehrten Redner und hält Vorträge in der ganzen Welt. Doch als die Nazis 1933 sein Institut plündern, zerstören sie auch sein Lebenswerk. 1935 stirbt Hirschfeld in Nizza im Exil, später gerät er in Vergessenheit. Seine eigene Homosexualität hat der mutmaßlich erste Kämpfer für Schwulenrechte dabei stets verheimlicht. Offenbar aus Angst, an Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Für Rosa von Praunheim ist Magnus Hirschfeld damit doppelt interessant, doch einen auch nur ansatzweise interessanten Einstieg hat er für seinen Film Der EinsteindesSex nicht gefunden. Er nähert sich der Person Magnus Hirschfeld streng chronologisch, er fängt vorne an und hört hinten auf. So ist Hirschfelds Alterungsprozess der einzige Spannungsbogen, den der Film hergibt. Erst ist Hirschfeld jung, dann älter, dann ist er dick, zum Schluss hat er graues Haar. Zwischendurch werden zwar alle biographisch wichtigen Stationen Hirschfelds abgehakt. Warum er was wann tut, bleibt allerdings völlig im Unklaren. Ein Lexikon-Eintrag würde einem wahrscheinlich mehr über Magnus Hirschfeld sagen. Doch von Praunheim wollte es dieses Mal besonders gut machen. Der Einstein des Sex sollte ein voll funktionstüchtiger Film werden, geradlinig erzählt, ernst und frei von Trash. Um die Epoche täuschend echt darzustellen, hat die Austattung sich die Mühe gemacht, sämtlichen Schauspielern Bärte anzukleben. Weil der Ort der Handlung Berlin ist, versuchen einige Schauspieler zu berlinern, obwohl sie es nicht können. Ben Becker gestikuliert ständig und unpassend mit den Armen, weil er meint, dass man so einen aufbrausenden Dichter spielt. Die beiden Hirschfeld-Darsteller Friedl von Wangenheim und Kai Schuhmann sagen unentwegt Sätze, die sie selbst nicht glauben. Das Drehbuch ist eine einzige Katastrophe, es hat keinen roten Faden, es ist spannungsfrei, die Dialoge sind haarsträubend. Putzig nimmt sich der Versuch aus, die Hauptperson zu psychologisieren: ständig müssen die beiden Hirschfelds Schokolade futtern, als Ersatzbefriedigung sozusagen. Dass die Szenen überhaupt irgendwie zusammen hängen, legt allein der betuliche Off-Kommentar nah, der mit den Tonfall eines Märchenonkels eingesprochen ist und dabei sehr an Ulrich Wickert erinnert. Alle Szenen, die Erotik andeuten möchten, zählen schon jetzt zu den dümmsten der Filmgeschichte. Der geheime Favorit ist allerdings der Säbeltanz der südländischer Matrosen.

Doch damit nicht genug. Die Austattung ist ein Witz, das Licht ein Desaster. Manche Szenen sind überblendet, manchmal belegen komische Schatten weite Teile des Bildes, oft stimmen die Anschlüsse nicht. Erst ist es hell, dann kommt ein Schnitt: gleiche Szene, gleicher Raum, und plötzlich ist es dunkel. Offenbar wusste während der Dreharbeiten niemand, was er tut. Zudem ist der gesamte Film in einer Halbtotalen gefilmt, mitunter sogar mit Weitwinkel, der Schnitt ist dementsprechend lahm. Zwar wurde dabei eindeutig Filmmaterial benutzt, doch es sieht bizarrerweise aus wie Video. Die Musik ist gnadenlos kitschig, der Himmel hängt voller Geigen, dass es sowas wie Schauspielerführung gab, darf man nur vermuten. Der Einstein desSex ist geradezu grauenhaft langweilig, kurzum: Konnte denn da niemand eingreifen?

Seit über dreißig Jahren dreht Rosa von Praunheim Filme, dreißig Jahre hat er bis zu seinem ersten Mainstream-Film gewartet. Hat man Der Einstein des Sex hinter sich gebracht, weiß man auch warum. Noch immer kann von Praunheim keine Geschichten erzählen, keine Spannung aufbauen und auch keine Stimmung. Trotz guter Schaupieler (Wolfgang Völz und der gesamte Becker-Clan) ist der Film bis ins kleinste Detail absoluter Trash wider Willen. Es ist schon beachtlich, dass sich ein Verleih gefunden hat, diese Bodenlosigkeit in die Kinos zu bringen. Insofern ist Der Einstein des Sex auch ein mutiger Film. Von Praunheim hat einmal im Zusammenhang mit der Berlinale eine Prügelstrafe für schlechte Filme eingefordert. Wäre man seiner Forderung nachgekommen, hätte er die diesjährigen Filmfestspiele nicht überlebt.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden