"Noch sind wir nicht beim Sieg Heil traurigen und unvergessenen Angedenkens angelangt, aber viel fehlt nicht mehr." Nicht nur die internationale Presse, wie etwa die hier zitierte italienische Tageszeitung Il Messagero, zeigte sich im November 1966 bestürzt, die politische Öffentlichkeit in der Bundesrepublik war entsetzt. Eine Kleinpartei provozierte großes Aufsehen und düstere Erinnerungen an das "Dritte Reich": Bei den Wahlen zum Hessischen Landtag am 6. November 1966 erreichte die erst zwei Jahre zuvor gegründete NPD 7,9 Prozent - und das in einem sozialdemokratischen regierten Bundesland. "Im roten Musterland ein rechtes Menetekel", titelte die Süddeutsche Zeitung, die von einem "Schock aus Hessen" sprach. In Politik und Blätterwald hielt man kurz die Luft an. "Sind die Nazis wieder da?", lautete die bange Frage. Nur zwei Wochen später folgte die nächste Tartarenmeldung: Auch bei den bayerischen Landtagswahlen kam die NPD auf 7,4 Prozent. Damit hatten innerhalb von zwei Wochen insgesamt über eine Million Wähler ihr Kreuz bei der NPD gemacht.
Erstmals seit dem kurzfristigen Erfolg der Sozialistischen Reichspartei (SRP) Anfang der fünfziger Jahre schien sich ein nicht bloß regionaler rechtsextremer Aufwind anzukündigen, eine, wie es naturalisierend hieß, "NPD-Welle" nahm Gestalt an. Doch dies war erst der Anfang. Im Herbst 1966 diagnostizierten Umfrageinstitute der NPD ein Wählerreservoir von zehn bis 15 Prozent. Die Erfolgsserie setzte sich 1967 und 1968 fort, als die NPD auch in die Landesparlamente von Bremen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg einzog, in Stuttgart mit ihrem bis heute besten Landtagswahlergebnis von 9,8 Prozent. Damit waren der NPD insgesamt 61 Mandate in sieben Landesparlamenten und fast 550 kommunale Mandate zugefallen - ein später nie mehr erreichter Höhepunkt rechtsextremer parlamentarischer Repräsentanz. Doch trotz der von Demoskopen genährten Prognosen eines wachsenden Zulaufs und entgegen immer wieder angestellter, auf den ersten Blick verblüffender Vergleiche mit dem Aufstieg der NSDAP seit 1928, scheiterte die Partei in den Bundestagswahlen 1969 mit 4,3 Prozent der Zweitstimmen. In allen nachfolgenden Wahlen sank die NPD wieder in die Bedeutungslosigkeit.
Nach dem Einzug der NPD ins sächsische Landesparlament vor zwei Jahren und nun im September dieses Jahres in den Landtag Mecklenburg-Vorpommerns und mehrere Berliner Bezirksverordnetenversammlungen muss man sich fragen, ob sich gegenwärtig die damalige Erfolgsgeschichte der NPD wiederholt.
Bedingungen des Aufstiegs
"Man kann wieder wählen! Man wählt NPD" - mit dieser Parole warb die Partei seit der Bundestagswahl 1965 für sich. Mit etwa 28.000 Mitgliedern war sie die erste bundesweit erfolgreiche Sammlungsbewegung am rechten Rand. Der Partei gelang es nicht nur, die bisherigen Stimmen für rechtsradikale Splitterparteien zu bündeln, sondern auch das Potenzial vormaliger Nichtwähler zu aktivieren und das Vakuum, das sich mit dem Beginn der Großen Koalition in Bonn am rechten Rand auftat, für sich zu nutzen. Gerade weil die NPD wahlsoziologisch - und in Kontrast zur mehrheitlich von braunen und rechtsextremen Biografien geprägten Funktionärsebene - nicht primär die Partei der alten Nazis war, hatte sie Erfolg und wurde zu einem politischen Problem der besonderen Art. Von Wahlerfolg zu Wahlerfolg verschob sich das Wählerprofil der jungen Partei weiter in die Mitte der Gesellschaft. Auf ihrem Höhepunkt sprachen Politologen sogar von einer "Volkspartei in nuce" (Hans Maier/Hermann Bott).
Die NPD-Wahlerfolge der sechziger Jahre fielen in eine Zeit erheblicher Verunsicherung breiter Bevölkerungsteile. Die Regierung Erhard schlitterte in ihrer Endphase hart am Rande einer Staatskrise entlang. Die darauffolgende Große Koalition zwischen CDU/ CSU und den erstmals im Bund mitregierenden Sozialdemokraten stieß auf beträchtliches öffentliches Misstrauen. Insbesondere die erste Rezession der westdeutschen Nachkriegswirtschaft hatte für den NPD-Aufstieg eine wichtige flankierende Bedeutung. Hinzu kam die Diskussion um die APO und die Studentenrebellion, die die Gesellschaft polarisierte, sowie die dabei oft erkennbare staatliche Hilflosigkeit, die der NPD zusätzliche Sympathien bescherten. Dies gilt auch für die beginnende außenpolitische Neuorientierung der Bundesrepublik, denn die sich langsam abzeichnende Entspannungspolitik stieß als "Verzichtspolitik" auf heftigste Abwehr im rechten, besonders vertriebenenlastigen Wählerspektrum. Zudem, diskutierten vor allem konservative Intellektuelle und Politiker seit mehreren Jahren eine Aufwertung des Nationalbewusstseins - und gaben damit "grünes Licht für einen neuen, gereinigten Nationalismus" (Kurt Sontheimer). In diesen Zusammenhang gehört etwa die von CSU-Chef Strauß in der Wahlnacht von Bayern am 20. November 1966 verbreitete Ansicht, der NPD-Aufstieg sei die "Antwort auf die jahrelange Methode, alles was deutsch ist und was national heißt, in den Dreck zu ziehen".
Gefühlsgeladene Parolen
Die NPD hatte sich im November 1964 in Hannover konstituiert, erst auf dem dritten Parteitag im November 1967 wurde ein Programm beschlossen. Ihre Propaganda lässt sich am besten als "assoziativer Nazismus" (Erwin K. Scheuch) erfassen: Direkte Übereinstimmungen mit der NS-Ideologie wurden tunlichst vermieden. Nationalismus fungierte, auch mit Blick auf die heterogene und wechselnde soziale Basis, als so diffuser wie attraktiver programmatischer Kern und als ideologische Klammer. Die inhaltlichen Aussagen waren dürftig, eine Mixtur aus schlecht verhüllten Anschlüssen an das große braune Vorbild und einer Kopie nahezu aller politischen Stammtischparolen rechts der Mitte. Einerseits bemühte sich die Parteiführung, mit einem "stubenreinen demokratischen Vokabular" (Tages-Anzeiger, Zürich) die über ihr schwebende Verbotsdrohung abzuwehren. Andererseits konnte sie mit den gefühlsgeladenen Parolen an autoritär-nationalistische Vorstellungen und Ressentiments in der Bevölkerung anschließen. Die NPD wandte sich gegen den "Ungeist der Unterwerfung" unter die Siegermächte und die amerikanisierte Kultur, verlangte die Einstellung weiterer Entwicklungshilfe und wollte die "Gastarbeiter" wieder nach Hause schicken.
Die geschichtspolitischen Forderungen liefen auf eine Entkriminalisierung des "Dritten Reiches" hinaus. Die NPD wollte ein "wahres Geschichtsbild", agitierte gegen die "Lüge von der deutschen Alleinschuld" am Zweiten Weltkrieg und "gegen die Verherrlichung des Landesverrats" (also der Widerständler des 20. Juli 1944), forderte den Stopp von Wiedergutmachungszahlungen und vertrat den "Anspruch auf die Gebiete, in denen das deutsche Volk seit Jahrhunderten gewachsen ist". Und natürlich wollte sie "Schluss (machen) mit den einseitigen Prozessen zur Vergangenheitsbewältigung". Antisemitismus wurde nur mühsam verbrämt, die Nürnberger Gesetze gerechtfertigt und Auschwitz, das man regelmäßig mit Dresden aufrechnete, als "Kriegsmaßnahme" bezeichnet. Gefragt, was er mit den Juden damals getan hätte, antwortete Parteichef Adolf von Thadden, er hätte "vorgeschlagen, die Juden (...) zu deportieren". Wer lesen konnte, wusste also woran er mit den "Nationaldemokraten" war.
Die Verbotsdebatte
Die Wahlerfolge der NPD provozierten eine inzwischen weitgehend vergessene, bemerkenswert breite und kontinuierliche Protestbewegung. Gleichzeitig wurde die Frage eines Parteiverbots kontrovers diskutiert, die seit dem Auftreten der NPD, besonders aber im Bundestagswahljahr 1969 im Zentrum der öffentlichen Auseinandersetzung stand. Der DGB forderte schon im Frühjahr 1966 ein Verbot der NPD, andere Organisationen, Intellektuelle, Prominente und viele politisch Engagierte schlossen sich dem an. Die innenpolitische Verbotsdebatte hatte eine höchst vorsichtig auftretende, um möglichst "geruchsfreien Nationalismus" (Spiegel) bemühte NPD-Parteispitze zur Folge. Und natürlich blieb Thaddens Verteidigungsrhetorik nicht ganz wirkungslos, wenn er Angriffe auf die NS-Vergangenheit eines Teils seiner Funktionäre mit dem Hinweis parierte: "Wir haben keinen in unserer Partei, der eine ähnliche Stellung hatte wie Herr Kiesinger." Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger war zwölf Jahre lang NSDAP-Mitglied und seit 1943 stellvertretender Leiter der Propagandaabteilung im Auswärtigen Amt.
Ein Argument zur Abwehr eines Verbots war überdies jenes ursprünglich zentrale Projekt der Regierung Kiesinger/Brandt zur Einführung eines Mehrheitswahlrechts. Erst nachdem die SPD-Blockade die Wahlrechtsreform zu Fall gebracht hatte, prüfte die Regierung ein Verbot. Innenminister Ernst Benda (CDU) sollte das seit zwei Jahren im Innenministerium gesammelte Beweismaterial erweitern und absichern. Zudem gerieten nun auch weitere "radikale Gruppen" ins Verbotsvisier, die soeben gegründete DKP und der SDS. Schließlich entschied sich die Bundesregierung doch gegen einen Verbotsantrag, da mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor der Bundestagswahl im September 1969 nicht mehr zu rechnen war. Nun sollten also zuerst die Wähler sprechen. Sie votierten - seinerzeit für alle Seiten eher überraschend - deutlich gegen eine rechtsextreme Erweiterung des Bonner Parlaments.
Inzwischen hat sich die demokratische Öffentlichkeit seit den späten achtziger Jahren widerstrebend fast daran gewöhnt, dass Parteien vom rechten Rand immer wieder mal die Fünfprozenthürde überwinden und dann meist nur eine Legislaturperiode in einem Landtag absitzen. Doch anders als in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ist die offene Flanke der deutschen Demokratie heute dadurch geprägt, dass soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Integration nicht bloß kurzfristig in Frage gestellt sind, sondern auf gegenwärtig nicht absehbare Zeit für zunehmend größere Teile der Gesellschaft unerreichbar scheinen. Die Republik erodiert mit dem Sozialen. Die deprimierend aussichtslosen sozialen Verhältnisse "ganz unten", die zunehmend auch die Mittelschicht betreffen, arbeiten tagtäglich gegen die Demokratie - und für die extreme Rechte. Insofern ist die Reaktionsrichtung des Protests dieselbe wie vor 40 Jahren, einzig das zugrundeliegende Strukturproblem wird diesmal aller Voraussicht nach kein Intermezzo bleiben.
Dr. Harald Schmid ist Politikwissenschaftler in Hamburg. Zuletzt erschien von ihm: Von der Katastrophe zum Stolperstein. Hamburg und der Nationalsozialismus nach 1945, Dölling und Galitz, Hamburg 2005 (mit Peter Reichel)
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