Es gibt viele Gedenktage: Zum Beispiel den internationalen Frauentag, den Weltgesundheitstag, den Tag der bedrohten Rohrdommel - und den Welttheatertag. Wer nicht gleichberechtigt ist, wer vom Aussterben bedroht ist, wer trotz seiner Wichtigkeit nicht ausreichend beachtet wird - für den gibt es Gedenktage.
Nun soll das Theater spätestens seit dem Aufblühen der modernen Mediengesellschaft dem schleichenden Tode verfallen sein. Doch das alle neuen Fragen und medialen Formen wie ein Vampir aufsaugende Theater lebt immer weiter. Überall in der Welt, mal munter, mal weniger munter. Mal unterdrückt, mal unterstützt. Es lebt, es wird geliebt oder gehasst. Weil es nicht nur Realitäten abbildet, sondern auch Utopien sinnlich durchzuspielen vermag. Theater ist stets auch Möglichkeitsform und Medium für den Dialog.
Auf den setzte nach dem Zweiten Weltkrieg die Unesco, als sie 1947 die Gründung des Internationalen Theaterinstituts (ITI) initiierte. Das verstand sich immer, gerade auch zu Zeiten des Kalten Krieges, als eine Institution, die mit den Mitteln des Theaters Kulturdiplomatie zu betreiben und Völkerverständigung zu proklamieren suchte. Was, vor dem Überhandnehmen eines theatralen Warenaustausches auf unzähligen internationalen Festivals, erst einmal bedeutete: die anderen über deren Theaterkunst kennen zu lernen.
Das deutsche ist das größte unter den rund hundert nationalen ITI-Zentren. Es fungiert, finanziert von der Kulturstiftung der Länder, mit seinen internationalen Kontakten als eine Art "Außenministerium des deutschen Theaters". Dagegen sind seine nationalen Aktivitäten am 27. März, der 1961 als Eröffnungstag des damals alljährlichen Festivals "Theater der Nationen" in Paris zum Welttheatertag erklärt wurde, eher gering. In Deutschland wird der Welttheatertag vor allem durch den an diesem Tag verliehenen (undotierten) ITI-Theaterpreis wahrgenommen. In diesem Jahr geht er an den Opernregisseur Peter Konwitschny, weil, so die blumige Juryprosa, seine Interpretationen "Fragen an diese, unsere Welt" seien, "Fragen, die nicht selten radikale Gegenstimmen provozierten" in "der heutigen, also widersprüchlichen, rastlosen, kriegerischen Welt."
In den meisten der übrigen ITI-Ländern wird der Welttheatertag mit Festen, Symposien, Diskussionen und besonderen Theateraufführungen begangen. In Bangladesh paradieren zum Beispiel alle Theater mit mehr als tausend Schauspielern auf den Straßen von Dhaka.
Auch eine Botschaft wird immer verkündet, jedes Jahr von einem Theaterschaffenden eines anderen Landes. Die illustre Liste vereint unter anderem Cocteau und Barrault, Béjart und Albee, Havel und Neruda, Brook und Olivier, Soyinka und Schostakowitsch. Es sind oft wunderbare Bekenntnisse zum Theater, geprägt von festen Hoffnungen in dessen ästhetische Kraft und gesellschaftliche Wirksamkeit. Als im letzten Jahr der mexikanische Dramatiker Victor Hugo Rascón Banda in seiner Grußbotschaft beklagte, dass "die Technologie" versucht habe, "das Theater in ein Feuerwerk, in ein Jahrmarktsspektakel zu verwandeln" und zugleich froh konstatierte, dass wir heute erlebten, "wie wieder der Schauspieler vor das Publikum" trete, so dass wir "Zeugen der Rückkehr des Wortes auf die Bühne" seien, klang dies wie ein Kommentar zu Entwicklungen zwischen theatraler Eventkultur und einer Renaissance des vom Schauspieler geprägten "Sprechtheaters" in Deutschland.
Und wenn in diesem Jahr Scheich Dr. Sultan Bin Mohammad Al-Quasimi, Mitglied des Hohen Rates in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Gouverneur des Emirats al-Shariqua (Sharjah), von seinem Weg zum Theater berichtet, erkennt man ein tiefes humanistisches Vertrauen in die Kraft des Theaters auch in einem fremden Kulturkreis: "Sein wahres Wesen begriff ich erst, als ich mich mit dem Schreiben, Inszenieren und Spielen eines politischen Stücks befasste, das die Staatsmacht damals verärgerte. Sie beschlagnahmte alles, was sich im Theater befand, und es wurde vor meinen Augen geschlossen. Angesichts der Soldaten mit ihren Waffen blieb der Seele des Theaters nichts anderes übrig, als sich ins Gefühlsleben zu flüchten und darin zu verharren. (...) In mir verankerte sich die umfassende Überzeugung, dass das Theater einen die Menschheit vereinenden Faktor darstellt, durch den der Mensch die Welt mit Liebe und Frieden umgeben und Horizonte des Dialogs zwischen den verschiedenen Rassen und Farben mit ihren unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen eröffnen kann."
Das Ganze: ein sehr besonderes Bekenntnis zu einem politischen Theater. Wo man genauer hinschaut in der internationalen Theaterwelt, ist das Theater ein politisches Medium. Mal im klassenkämpferisch direkten, plakativen, mal im praktischen, aufklärerischen Sinn. Wie dabei Texte und Autoren in verschiedenen Kulturkreisen unterschiedliche Wirkung und Wichtigkeit bekommen können, zeigt das Beispiel Brecht. In Deutschland besetzen seine Parabelstücke die Positionen Unterhaltungs- und Einverständnistheater. Brechts Didaktik gilt als veraltet bis peinlich - nur in Claus Peymanns Berliner Ensemble nicht, obwohl sie gerade dort so wirkt. Und als Michael Thalheimer in Hamburg Brechts Puntila und sein Knecht Matti inszenierte, interessierte ihn nicht die Herr-Knecht-Beziehung, sondern er entdeckte im Puntila das Luxusproblem einer Baal´schen Zerrissenheit. Ganz anders in Mittel- und Südamerika, aber auch in Asien und Afrika, wo Gewalt und Macht die sozialen Unterschiede bestimmen. Hier wird Brecht gerade in seiner dialektischen Didaktik geschätzt. Im Beiprogramm des ITI-Festivals "Theater der Welt" in Stuttgart 2005 arbeiteten in einem Workshop Schauspieler aus dem Sudan, aus Pakistan und Palästina an Brechts Der gute Mensch von Sezuan. Die Teilnehmer aus einer Gesellschaft mit sich verschlechternder Lebenssituation, in der der einzelne sich kaum selber zu helfen vermag, aber von zahlreichen Hilfsorganisationen umsorgt wird, sollten später in Konfliktregionen selbst aufklärerisch arbeiten. Wie die Spieler ihre alltäglichen Erfahrungen mit sozialer Phantasie auf Brechts Figuren übertrugen, wie mit der Figur der Prostituierten Shen Te die "Frontlinie der Geschlechter" berührt wurde, was zu heftigen Konflikten führte, das zeigt, welche dialektische Sprengkraft Brechts Stücke in anderen Kulturkreisen haben können.
Die Arbeit des ITI zeichnet aus, dass sie auf Hilfe zur Selbsthilfe ausgerichtet ist. Wie in Afghanistan oder im Sudan, wo sich in Projekten wie My unknown enemy Schauspieler verfeindeter Länder begegnen und zu Leitern von Spielgruppen ausgebildet werden, die später vor Ort Konfliktprävention und -lösung betreiben sollen.
Solche Theaterarbeit ist weit weg von dem theatralisch reichen Gastspieltheater aus allen Erdteilen, das sich bei den großen europäischen Festspielen zu einer eventkompatiblen Ästhetik polieren und abschleifen lässt. Gegen diese immanente Globalisierung setzt das ITI auf didaktische Hilfe zur theatralen Selbsthilfe.
Auch im deutschen Theater heißt derzeit das Zauberwort "Untersuchung der Wirklichkeit". Klassiker wie die Orestie und Die Perser des Aischylos oder Schillers Wallenstein werden nicht mehr als Beeindruckungstheater inszeniert, sondern auf ihre politischen Gegenwartsimpulse hin befragt. Da wird Shakespeares Romeo und Julia in eine Deutsch-Türkische Migrantenszene verpflanzt oder man veralbert Alltagsrealität in Stadtteil-Soaps. Das Theater bringt als "Spezialisten des Alltags" bezeichnete Laien auf die Bühne - oder es geht selbst zu Recherche-Projekten aus dem Theater heraus in die städtische Realität. Um dort Leute, Begegnungen und Situationen aufzunehmen, die im Theater künstlerisch verdichtet weiter erzählt werden. Für die Untersuchung der Wirklichkeit auf ihre Widersprüche und ästhetischen Impulse hin spielt man sogar in der Straßenbahn oder in Privatwohnungen. Sicher, in deutschen Großstädten gibt es auch weiterhin das bürgerliche Beeindruckungstheater, doch vor allem herrschen Projekte vor: zu Religiosität, zu Globalisierung und Arbeitslosigkeit.
In Ländern der so genannten Dritten Welt ist politisches Theater oft viel einfacher und praktischer. Wie in Malawi, wo Drama Groups auf Dorfplätzen und Fußballfeldern auftreten. Ihr Spiel zur Aids-Aufklärung entwickelt sich in beständiger Interaktion mit dem Publikum und mündet in heftigen Diskussionen. Vergleichbar sind diese unterschiedlichen Theaterformen nur schwer. Immerhin bringen sie, jede auf ihre Art, dem Publikum Aufklärung.
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